Mönchengladbach: „Hänsel und Gretel“

Premiere am 4.12.2016

Als harmlose düstere Familienoper ohne Farbe und Tiefgang

Kindern und Jugendlichen – und für diese Zielgruppe ist die Inszenierung sicherlich in erster Linie gedacht – kann man in der heutigen Zeit eine 8-minütige Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang kaum noch zumuten. Und so geht Regisseur Hinrich Horstkotte erst gar nicht das Risiko ein, daß die vielen jungen Leute schon nach drei Minuten ihr Handy rausholen. Er bebildert die Ouvertüre. Schon nach knappen zwei Minuten nämlich öffnet sich der Vorhang und wir sehen, wie so ziemlich die gesamte Besatzung des Grimmschen Märchenwaldes, angefangen bei Rotkäppchen über Dornröschen, Rapunzel, Aschenputtel und sogar die Sieben Zwerge, im großen Hexenofen verbrannt werden. Das ist lustig kurzweilig und lenkt die junge Zuschauergemeinde von der terilweise schweren Musik ab. Nein, liebe Opernfreunde, Otto Waalkes wird nicht mit verbrannt.

Obwohl ich denke, daß bei einem Pisa-Märchentest des heutigen Kinderpublikums sicherlich noch kaum jemand mehr als zwei Märchenfiguren nennen könnte. Na ja, immerhin wissen die Omas ja noch Bescheid (und die gab es reichlich in der Vorstellung) und können ihre Kleinen in der Pause aufklären, wenn diese nicht gerade ins Smartphone tippen…

Der immerhin originelle Anfang war dann auch schon die einzige groß erwähnenswerte Regieleistung, denn sonst verläuft alles in den bewährt tradierten Bahnen von Konvention, Kitsch und Lebkuchensüße. "Brüderchen komm tanz mit mir" Trallallalaaah trallalaah…

Im vorindustriellen Zeitalter – eben jener Zeit, als man noch Märchen erzählte statt vor der Glotze oder dem PC zu sitzen – siedelt die Geschichte. Regisseur Horstkotte hat gleich auch Kostüme und Bühnenbild mit entworfen, was sicherlich für ihn so praktisch, wie für die Niederrheinische Oper Krefeld Mönchengladbach kostensparend ist.

Alles wirkt ziemlich duster, schmutzig und elend. Es sind halt arme Leut, diese Besenbinders. Richtige bunte Farben existieren im sepiafarbenen Grundfarbton der Szene und Beleuchtung nicht. Die Bühne zieren als (quasi fil rouge der Inszenierung) handgebundene Besen aller Größen, die sich drehen, mal auf und abgezogen werden, schaukeln oder auch kopfüber mit über sechs Meter Höhe auch mal einen Wald evozieren, es könnten aber auch riesige Maler-Pinsel sein.

Ein zweiter roter Faden der Inszenierung sind kleine Lebkuchen Weckmännchen – realiter und aus Zerbrechlichkeitsgründen wohl aus Stoff, welche von großen Lebkuchenmännchen ständig irgendwie irgendwo verteilt werden. Ich muß zugeben, daß mich diese putzigen Spielpuppen eher an Mr. Beans Teddy (siehe Bild unten rechts) erinnerten.

Witzig, witzig: Zu "Ein Männlein steht im Walde" muß unser Hänsel gemütlich an einen Baum pieseln – natürlich mit dem Rücken zum Publikum, versteht sich ;-). Alles gänzlich jugendfrei und wohlbehütet. Jau verehrte Opernfreunde, das ist eben der Humor unserer Zeit. Diese Pinkelszene kam auch beim Publikum "tierisch" gut an. Oder sollte ich im Zielgruppen-Jargon besser schreiben: " geiler Einfall – Bombe!" Immerhin muß man auf so etwas erst mal kommen. Obwohl… einen pinkelnden Siegfried gab es schon beim Ring in München – doch das fand das Publikum gar nicht lustig, da haben sich die erwachsenen Zuschauer dann "tierisch" aufgeregt. Wagnerianer verstehen halt keinen Spass….

Stichwort Wagner & Humperdinck: dieser war ja ein Wagner-Epigone. Seine Liebe zu Richard Wagners Musik ist auch in dem Werk überall durchhörbar – negativ im Sinne der Textverständlichkeit. Diese war leider so schlecht, obwohl sich die hervorragenden Niederrheinischen Sinfoniker unter Diega Martin-Etxebarria noch zurückhielten, daß ich für die Zukunft hier unbedingt eine deutsche Übertitelung (wie auch bei Wagner heuer übich) empfehlen möchte, denn einzig Johannes Schwärsky (Vater) sang einigermaßen textverständlich; Sophie Witte (Gretel) ließ sich als indisponiert entschuldigen.

Es ist aber auch eine Teufelei mit dieser Humperdinck-Oper, denn eigentlich ist das Werk, welches sich ja besonders im ersten Teil mit wagnerscher Großsinfonik übers Publikum ergießt, keine Kinderoper. Zu groß, zu lang, zu brutal…

Doch halt: letzterem begegnet der Regisseur immerhin am Ende mit dem Gag, daß die Hexe ebenso wenig tot ist, wie die in der Ouvertüre verbrannten Märchengestalten. Und die sich zombiehaft durch die ganze Oper bewegenden Lebkuchenmännchen sind auch keine Untoten – das beruhigt ebenso wie die zeitgemäße Genderliberalität: am Anfang ist die Hexe ein Mann, später eine dicke Frau – immerhin namentlich benannt als Rosie Leckermaul (Ganz Großartig in Geschlechtervielfalt und Gesang Markus Heinrich).

Und wenn am Ende alle zusammenkommen und fröhlich herumhüpfen, dann darf sich auch die im Ofen via "Fatburning" abgemagerte Hexe vorne an der Rampe präsentieren und bekommt sogar einen Lebkuchenmann, um wieder Gewicht aufbauen zu können. Das große Besteck, welches von oben herunterhängt, symbolisiert dieses Geschehen gleich doppelt. Warum?

Peter Bilsing 4.12.2016

Dank an Matthias Stutte (c) für die Bilder – nicht immer die Pr-Besetzung zeigen

Credits Premierenbesetzung

Musikalische Leitung: Diego Martin-Etxebarria

Inszenierung, Bühne, Kostüme: Hinrich Horstkotte

Chor: Maria Benyumova

Kinderchor: Susanne Seefing

Dramaturgie: Ulrike Aistleitner

Statisterie des Theater Krefeld und Mönchengladbach

Kinderchor:"Theaterspatzen" Susanne Seefing

Damenchor des Theater Krefeld und Mönchengladbach

Es spielten: Die Niederrheinischen Sinfoniker

Peter, Besenbinder: Johannes Schwärsky

Gertrud, Frau des Besenbinders: Janet Bartolova

Hänsel: Susanne Seefing

Gretel: Sophie Witte

Knusperhexe: Markus Heinrich

Sandmännchen / Taumännchen: Gabriela Kuhn

P.S. OPERNFREUND TIPP

Wer Hänsel und Gretel als "Kinderoper" kritisiert, muss natürlich auch Vorschläge machen für richtige gute Kinderopern: warum spielt man solche Juwelen eigentlich nicht öfter, statt immer wieder diesen Humperdinck? Hier meine Tipps:

Where the wild things are (Oliver Knussen)

Die Bremer Stadtmusikanten (Richard Mohaupt)

The Dangerous Errand (Peter Maxwell Davies)

Das Gespenst von Canterville (Marius Felix Lange)

Peter Pan (Richard Ayres)

Ronja Räubertochter (Jörn Arnecke)

El Gato (Xavier Montsalvatge)

Der Goggolori (Wilfried Hiller)

Hexe Hillary geht in die Oper (Peter Lund)

Hilfe, Hilfe, die Globolinks (Gian Carlo Menotti)

Des Kaisers neue Kleider (Miloš Vacek)

Krabat (Cesar Bresgen)

Pollicino (Hans Werner Henze)

Die Schneekönigin (Marius Felix Lange)

Die Schwarze Spinne (Judith Weir)

Die versunkene Stadt (Violeta Dinescu)

um nur einige zu nennen….