Premiere am 23.11.14
Ausgesprochen Spannendes „Opernmuseum“ in Rheydt
Von Jaques Offenbachs zu Lebzeiten leider nicht mehr uraufgeführter Oper Les Contes d´Hoffmann gibt es mittlerweile unzählige Versionen – Spieldauer zwischen zwei und dreieinhalb Stunden; also gelegentlich über vier Stunden mit Pause. Doch 3,5 Stunden Hoffmann muß nicht unbedingt sein, auch wenn es zu der deutschen Opernfreunde Lieblingswerk gehört. War vor Jahren noch die zweidreiviertelstündige Oeser-Fassung Stand der Dinge, gibt es heuer die um diverses Material noch erweiterte Kaye-Fassung, die unter Jeffrey Tate und Kent Nagano das Licht der Opernwelt erblickte. Es werden weitere folgen…
Bei den Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach spielt man, vernünftiger Weise, die Oeser-Fassung; mit immerhin noch dreieinviertel Stunden Aufführungsdauer. Immerhin beinhaltet sie sowohl Baccharole, als auch Diamanten-Arie. Beides ureigene Lieblingstücke des Publikums, die eigentlich nicht Bestandteil der Urfassung waren, und von Puristen bzw. der absoluten Werktreue sich verbunden fühlenden Rüpel-Regisseuren gelegentlich gestrichen werden.
Um Himmels Willen, was für einen Publikums-Aufstand hätte es in Rheydt gegeben, wenn diese "Highlights" nicht wiedererkannt worden wären 😉
Vor allem bei einem so applausfreudigem, wie dem Rheydter Publikum, welches nicht nur ergreifende Sterbeszenen ausgiebig mit Beifalls-, Bravo- und Jubelrufen goutierte, sondern auch ins vermeintliche Ende dermaßen enthusiasmisiert hinein klatschte, daß die letzten Takte der Musik nicht mehr zu hören waren… Das rhytmische sozialistische Einheitsparteitagsklatschen, beim Mainzer Karneval nennt man das "Klatschmarsch", wurde GsD diesmal nicht so lange durchgehalten, denn die Herz-, Schmerzapplaudierer setzten sich erfreulicher weise letztlich durch.
Nun ist es aber auch eine Unverschämtheit, daß man den finalen Vorhang (klares und eindeutiges Zeichen für "Jetzt ist die Oper zu Ende!") schon schließt, während noch die Niederrheinischen Musici freudvoll die letzten Noten zu Ende fiedeln. Eine glatte Zumutung für das Publikum, daß sie dann noch solange still sitzen sollen…
Ansonsten ist dem One-Man-Team (Regie & Bühne & Kostüme) bei dieser durchaus gelungenen Produktion in persona von Hinrich Horstkotte wenig vorzuwerfen. Wenn das Publikum in der heutigen Opernzeit einen Regisseur dermaßen unisono bejubelt (kein einziges Buh), hat der Kritiker sich freundlich anzuschließen. Und wenn man sich, quod errat demonstrandum, 1.) an der Wiener Staatsoper anno 1968 und 2.) an Otto Schenks Inszenierungsstil orientiert, kann die Sache kaum schief gehen. Immerhin laufen diese schönen Produktionen teilweise heute noch und werden immer noch, auch nach der zehntausendsten Aufführung, weiterhin bejubelt.
Bilder sagen mehr als Worte, wenngleich ich dazusetzen würde, daß es so muffig und altbacken, wie es über die Fotos auf den ersten Blick wirkt (eben typischer E.T.A. Hoffmann) dann doch ist – insbesondere der vierte Akt (Giulietta) gestaltet sich zu enormer dramaturgischer Dichte, denn er bricht das etwas museale Einheitsbühnenbild mit überraschenden surrealen Effekten auf.
Musikalisch arbeitet Kapellmeister Alexander Steinitz mit einer wahrscheinlich grippe-geschwächten kleinen Musikerschar (ich habe von oben rund 30 gezählt, kann mich aber irren…) ganz ordentlich, wenngleich mir die nur zehn Geigen doch etwas untergingen. Der Chor war von Maria Benyumova vorzüglich disponiert, auch wenn er gelegentlich (warum eigentlich?) aus dem Orchestergraben singen musste.
Grippegeschwächt ließ sich auch Johannes Schwärsky (Lindorf, Coppelius, Mirakel, Dapertutto) ansagen, obwohl er dann seine Partien doch in hoher Qualität präsentierte; eine vortreffliche Besetzung. Von der Grippe vollends dahingerafft wurde der ursprünglich vorgesehene Markus Heinrich und von einem wirklich grandiosen Sänger aus dem Opernstudio – James Park – ersetzt; man wünscht dem Nachwuchssänger eine glänzende Zukunft. Well done!
Mit Max Jota (Hoffmann) und Eva Maria Günschmann (Muse) hat das Stück die ideal besetzten Hauptfiguren, denen allerdings Hoffmanns Geliebte (Sophie Witte als Olympia & Janet Bartolova als Giulietta) nur wenig nachstehen. Der überragende Sangespart allerdings kam von Izabela Matula; eine Sängerin, die sich, da bin ich sicher, auch an der von mir hochgeschätzten Wiener Staatsoper wahrscheinlich durchsetzen würde. Merken Sie sich den Namen! Ansonsten: Bravi a tutti!
Eine schöne, herrlich altbackene Produktion fürs Publikum – egal ob alt oder jung und besonders für Opernanfänger sehr empfehlenswert, denn hier wird Oper so präsentiert, wie man sie in jedem Opernführer auch beschrieben findet. Viel anders wird die Uraufführung 1881 auch nicht gewesen sein.
Peter Bilsing / 24.11.14
Bilder Matthias Stutte
Etiam audiatur altera pars
"Bilderbuchperspektive"
schreibt unser Kollege Christoph Zimmermann (Merker-online)
"Spannender als ein Tatort"
Michael Zerban vom Opernnetz
hier noch mein persönlicher CD-Tipp
"Hoffmanns Erzählungen" auf deutsch – eine legendäre Aufnahme