Premiere am 23. Juni 2018
Wenn einunddieselbe Oper binnen einer Woche zweimal Premiere an nicht weit voneinander entfernten Theatern hat, ist ein Vergleich naheliegend, sogar zwingend. Umso mehr, wenn der inszenatorische Ansatz ein ähnlicher ist. Sowohl Sonja Trebes in Gelsenkirchen als nun auch ROMAN HOVENBITZER in Mönchengladbach haben die Familienkonstellation in „Nabucco“ mit der von Shakespeares „King Lear“ in Beziehung gesetzt, wobei dieser Verbindungslinie auch deswegen besonderes Gewicht zukommt, als Verdi dieses Drama zu veropern gedachte (was dann aber nicht zustande kam).
In Gelsenkirchen sieht man während der Ouvertüre Nabucco mit seinen Teenager-Töchtern, wobei sofort ins Auge springt, daß Fenena die Bevorzugte ist, während sich Abigaille in einer Ecke mit Plüschtieren begnügen muß. In Mönchengladbach wird diese Situation durch einen Videofilm vermittelt, dessen alte Konfliktbilder sich Abigaille während ihrer ersten Arie in Erinnerung ruft. Daß sie am Schluß in Tränen ausbricht, unterstreicht die starke Leidprägung, welche sie mit Machtsucht und Zerstörungswut zu kompensieren trachtet.
Sonja Trebes konzentriert die Opernhandlung vorrangig auf eine Spannung à trois, Roman Hovenbitzer weitet diese auf gleich mehrere Generationen aus. Wiederum dient die Ouvertüre für eine entsprechende Akzentsetzung. Ein Ahne wird beerdigt, beim anschließenden Leichenschmaus kochen familiäre Zwistigkeiten hoch, welche zu massiven Handgreiflichkeiten zwischen den Vorfahren von Nabucco und (!) Zaccaria führen. In der eigentlichen Oper hat sich diese Feindstimmung bei den Nachkommen zementiert, durch ideologische Differenzen sogar noch verstärkt.
„Wie in einer Art Familienaufstellung sollen… die großen politischen Themen ‚familiarisiert‘ und so im Kleinen verständlich und erfahrbar werden“, erklärt der Regisseur im Programmheft. Freilich geht dieses Konzept kaum auf, denn der verstärkte Chor des Theaters Krefeld/Mönchengladbach erreicht nachgerade Heeresstärke. Doch wenigstens schon hier ein Kompliment: die Kollektivsänger präsentieren sich in bestechender Form, musikalisch (Einstudierung MICHAEL PREISER) und auch szenisch. Die außerordentliche Lebendigkeit und darstellerische Variabilität seiner Szenen ist nachhaltig auch der ansonsten etwas fragwürdigen Inszenierung zu danken.
Mit Hovenbitzers „Nabucco“-Sicht wird man einfach nicht wirklich warm. „Ballast“ für seine Interpretation ist alleine schon der Librettotext, welcher auch durch die Übertitel nicht „gemildert“ wird. Da ist unablässig von Gott, Krone und anderen hochgreifenden Bildmetaphern die Rede, welche aber nur innerhalb eines ideologischen Völkerkonflikts wirklich Sinn machen. Auf einen zickigen Familienkrieg läßt sich das „Nabucco“-Sujet nicht verkleinern.
Doch selbst bei Hovenbitzers Konzept hätte das Finale nicht ausgehen müssen wie gezeigt. Nachdem der von Gewehrsalven niedergemähte Chor wieder auferstanden ist, findet die Nabucco-Familie samt Ismael und Zaccaria in alter Vertrautheit zueinander. Da wankt Abigaille herein, die zur Sklaventochter erniedrigte Frau, welche sich hochflammend zur Usurpatorin aufschwang. Nun hat sie ihre Schuld erkannt, sie weint, sie fleht – und wird in den Schoß der Gemeinschaft wiederaufgenommen. Friede, Freude, Eierkuchen. Nein, so konfliktlos kann und darf Verdis Oper nicht enden.
Das Bühnenbild von ROY SPAHN wirkt beiläufig, die einfallsreichen Kostüme von MAGALI GERBERONvermitteln hingegen recht glücklich zwischen Moderne und Historie.
Der Blechbläser-Beginn der Ouvertüre bei den NIEDERRHEINISCHEN SINFONIKERN macht zwar etwas frösteln, aber dann sorgt DIEGO MARTIN-EXTEBARRIA für überzeugende Italianità-Dramatik mit schönen instrumentalen Valeurs. In der Titelrolle bietet JOHANNES SCHWÄRSKY ausdrucksgesättigte Belcanto-Qualitäten, so daß man ein paar leichte Scharten gerne überhört. LYDIA EASLEY ist Abigaille. Diese Partie ist nahezu unsingbar, was die Leistung der Sängerin auch nicht ganz zu kaschieren imstande ist. Aber der dramatische Applomb gerät doch sehr überzeugend. MATTHIAS WIPPICH engagiert sich sehr für den Zaccaria. Die Partien von Anna, Ismael, und Oberpriester sind mit LISA KALTENMEIER, KAIRSCHAN SCHOLDYBAJEW und RAFAEL BRUCK überzeugend besetzt. Als Abdallo macht das Chormitglied SUN-MYUNG KIM auf seinen eminent schönen und ausdrucksvoll geführten Tenor aufmerksam. Da sollten einmal größere Soloaufgaben folgen.
Bilder (c) M. Stutte
Christoph Zimmermann 24.6.2018