Mönchengladbach: „Stiffelio“

Besuchte Vorstellung am 06.10.13, (Premiere am 28.09.13)

Spannende Verdi-Rarität

Schon zum 200. Wagner-Geburtstag hatten die Bühnen Krefeld-Mönchengladbach auf eines der seltenen Frühwerke gesetzt (in Mönchengladbach ist der "Rienzi" ab dem 20.10.13 zu erleben, so wird zum 200. Verdi-Geburtstag die Rarität "Stiffelio" aufgeführt. Musikalisch vielleicht noch zum Frühwerk zu rechnen, obwohl die Oper zeitgleich zu "Rigoletto" komponiert wurde. So gewährt uns dieses Werk einen interessanten Einblick in die Werkstatt Verdis: neben recht konventionellen Stellen, wie gleich der Ouvertüre, gibt es für diese Zeit recht moderne Experimente für die italienische Oper. Schon die ungewöhnliche Handlung, eindeutig ein Griff Verdis, macht neugierig, denn die eigentliche Handlung hat schon vor Beginn der Oper stattgefunden: die mit dem Geistlichen Stiffelio verheiratete Lina hat die Ehe gebrochen. In der Oper geht es nur noch um die Entdeckung der Ehebruchs und der Reaktion der drei wichtigen Protagonisten. Stiffelio, der sich nach heftigen Eifersuchtsanfällen, in einer öffentlichen Predigt auf die Worte Christus "Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein" beruft. Lina, die mit schrecklicher Reue über ihre Verführung immer noch zu ihrem Mann steht. Und den soldatischen Vater Linas der aus übersteigertem Ehrbegriff den Verführer umbringt. Eigentlich spannend unspektakulär, mit der Pikanterie für das katholische Italien, das der verheiratete Priester sich entscheiden muß, natürlich spielt die Handlung in einem protestantischen Land.

Helen Malkowsky ist nach ihrem sehr gelungenen "Mazeppa" (Tschaikowsky), ab Januar wieder auf dem Spielplan, keine unbekannte Regisseurin an den Vereinigten Bühnen. Auch mit ihrer neuen Inszenierung schafft sie einen spannenden Opernabend der Extraklasse: auf Hartmut Schörghofers seltsam metallisch glitzernder, klaustrophobisch anmutender Bühne läßt sie die Handlung in einem sektenhaften Milieu spielen. Ganz ausgezeichnet gelingt ihr die differentierte Chorführung, hinter einmütig zur Schau gestellter Harmonie erspäht man immer wieder einen Blick auf die Abgründe einzelner Mitglieder dieser Gemeinschaft und erahnt den großen Druck, der auf jedem dieser "kleinen Herde" lastet. Ein gestickter Zwischenvorhang mit Landschaftsidylle fungiert schon zum Vorspiel als gewebter Pseudo-Schleier. Susanne Hubrichs Kostüme nehmen sich passend schlicht für diesen gesellschaftlichen Rahmen aus.

GMD Mihkel Kütson dirigiert einen sehr direkten Verdi, der die Brüche in der Qualitätsfaktur nicht zu kitten versucht. Mit den aufmerksamen Niederrheinischen Sinfonikern ist er dabei immer eng am Atem der Sänger. Kairschan Scholdybajew singt , wie Janet Bartolova ihre Lina, an diesem Abend zum ersten Mal den Titelhelden. Man kann sich immer auf diesen Sänger verlassen, denn er gestaltet mit musikalischem Geschmack. Außerdem gehört er zu den wenigen Tenören die einen sozusagen eingebauten Schluchzer in ihrem Timbre besitzen, was bei anderen manieriert wirkt, ist hier ein Teil der natürlichen Stimmfarbe, mir gefällt das sehr. Schwieriger ist da Janet Bartolovas Stimme zu beurteilen, denn im Laufe der Jahre haben die Höhen ihres Sopranes gelitten, da wird der einzelne Ton von unten angesungen, die Höhen gellen sehr laut und harsch. Schön klingt ihre Stimme, wenn sie nicht auf Volumen fokussiert, sondern auf Linie gestaltet. Die satte, gesunde Mittellage und Tiefe läßt an einen Wechsel ins Mezzofach denken. Nummer Eins des Abends jedoch ist eindeutig Johannes Schwärsky als Linas Vater Stankar, ein üppiger, in allen Lagen gut ausgeformter Bariton mit großem Atem für die lange Verdi-Kantilenen, so hört man dieses Fach nicht oft gesungen. Michael Siemon spielt mit attraktiver Physis den Verführer Raffaele und gefällt mit gut geführtem Tenor in dieser gar nicht so kleinen Partie. Hayk Dèinyan, Jerzy Gurzynski und mit rundem Mezzo Eva Maria Günschmann unterstützen bestens in den Comprimarii-Partien. Ganz hervorragend in seinen vokalen Aufgaben und den feinen, szenischen Nuancen der Chor des Theaters unter Ursula Stigloher.

Eine absolut sehens-und hörenswerte Produktion in der sogenannten "Provinz", der gar nichts provinzielles anhaftet. Die Zuschauer gingen auch bei der Rarität emotional mit und feierten die Beteiligten.

Martin Freitag
Bilder siehe unten