Als eine der letzten großen Musiktheater-Produktionen aus der Zeit vor der Corona-Pandemie feierte Giuseppe Verdis „Rigoletto“ am vergangenen Sonntag seine Übernahme-Premiere am Mönchengladbacher Theater. Bereits im November 2019 erblickte diese Produktion in Krefeld das Licht der Welt und schon dort kam die stellenweise wenig schlüssige Umsetzung in vielen Kritiken nicht sonderlich gut weg. Dass man nun ausgerechnet das Karnevalswochenende für die Premiere nutzte, wird wohl eher Zufall sein. Allerdings passen Cyborg-Wesen und ein wenig Sci-Fi schon ganz gut in diese närrische Zeit. Von einem närrischen Treiben ist dieser „Rigoletto“ ansonsten aber doch Lichtjahre entfernt, auch wenn die Handlung laut Ansicht von Regisseurin Dorothea Kirschbaum in einer „nicht allzu fernen Zukunft“ angesiedelt sein soll. Bereits während der Ouvertüre bekommt Rigoletto seine Gilda zugestellt, in diesem Fall ein Roboter mit einer künstlichen Intelligenz. Rigoletto, in unserem Fall einsam und kinderlos, schließt dieses Wesen nicht nur in seine Arme sondern gleich ins Herz und behandelt das künstliche Wesen fortan offenbar wie eine eigene Tochter. Auch am Hofe des Herzogs von Mantua mischen sich Cyborg-Verkäufer unter die Menge und preisen die Dienste dieser Roboter an, die wie Butler auch gerne Getränke reichen und leere Gläser wieder entgegennehmen. Soweit offenbar die Grundidee dieser Inszenierung, deren Umsetzung leider einige logische Lücken aufweist.
Fraglich vor allem, warum Gilda in einem Moment noch mit den Plüschtieren Tee trinkt und somit offenbar in einem realen Alter von 4-6 Jahren angekommen ist, dies aber offenbar das richtige Alter für den lüsternen Herzog von Mantua zu sein scheint, um Gilda als seine nächste Geliebte auszuwählen? Jeder weitere Gedanke hierzu führt in eine absolut falsche Richtung! Kaum trifft Gilda nun auf den Herzog, altert sie wie durch Zauberhand in Sekunden um viele Jahre und verliebt sich Hals über Kopf in den Mann. Nun kann man sich vielleicht denken, dass der Herzog hier seine Finger im Spiel hatte, schließlich schleicht er als Student verkleidet samt Tablett ums Haus und sicher wird es in Zukunft ein leichtes sein, die Roboter durch geschicktes Hacking zu manipulieren. Doch dann passt es im zweiten Akt so gar nicht, dass der Herzog vor dem Vollzug des Liebesaktes offenbar sehr überrascht und abgeschreckt von Gilda lässt, da sie entblößt von den schönen Kleidern ihr Roboter-Dasein Preis gibt. Etwas unbeantwortet bleibt auch die Frage, warum sich Gilda nun aus Liebe für den Herzog selber opfert, indem sie sich ausschaltet und der Auftragsmörder Sparafucile ledig die Einzelteile auseinanderbauen muss. Und warum kann ein in Einzelteile zerlegter Roboter überhaupt noch singen? Da im Programmheft auch nur ganz allgemein auf „Robot Society, Cyborgs und Geminoidne“ eingegangen wird, ansonsten aber jede Erklärung zur Inszenierung fehlt, kann man fast vermuten, dass diese Fragen auch von der Regie gar nicht beantwortet werden können. Je weiter man sich als Zuschauer in diese Inszenierung vertieft, je mehr Kopfschmerzen bereitet es, hier den Sinn hinter vielen Dingen zu erkennen. Etwas sinnvoller scheint da das recht schlicht gehaltene Bühnenbild von Julius Theodor Semmelmann, das optisch durchaus gelungen daher kommt und eine fast raumschiffartige Atmosphäre erzeugt. Da die Hauptwand nach vorne und hinten gefahren werden kann, ergeben sich so immer wieder durchaus passenden Räume für die einzelnen Handlungsorte.
Zum Glück hat das Gemeinschaftstheater auch ein wunderbares Ensemble, das stets in der Lage ist, den Abend zu retten. Sophie Witte gibt eine sehr hörenswerte Gilda, hier sitzt jeder Ton perfekt und auch in den hohen Lagen bleibt ihr souveräner und kraftvoller Sopran absolut sicher. Die Rolle des Herzogs von Mantua wird von Woongyi Lee ebenso traumhaft interpretiert. Der junge Tenor, der 2018 zunächst im Rahmen des Opernstudios Niederrhein an dieses Haus kam und seit der Spielzeit 2019/20 festes Mitglied im Opernensemble ist hat sicher noch eine große Zukunft vor sich. Zu Recht gab es hier am Ende des Abends großen Beifall von den Zuschauern. Diesen erhielt auch der südafrikanische Bariton Jaco Venter, der als Gast in der Titelrolle für den erkrankten Johannes Schwärsky einsprang. Ein musikalisches ganz hervorragendes „Dreigestirn“, da können Prinz, Bauer und Jungfrau ihre Sachen packen. Man möge mir in Köln diesen auf der Hand liegenden Vergleich bei diesen Rollen verzeihen. Auch die weiteren Partien sind allesamt treffend besetzt, stellvertretend seien hier Hayk Deinyan als Graf von Monterone, Matthias Wippich als Auftragsmörder Sparafucile und Eva Maria Günschmann als seine Schwester Maddalena genannt. Auch der Herrenchor des Theaters kann unter der Leitung von Michael Preiser einmal mehr nachdrücklich sein Können unter Beweis stellen. Seit dem Beginn dieser Spielzeit ist der junge Dirigent Giovanni Conti Kapellmeister am Theater Krefeld und Mönchengladbach. Nach dem wunderbaren Musical „Liebe, Mord und Adelspflichten“ und dem Familienballett „Peter und der Wolf“ steht er bei „Rigoletto“ zum ersten Mal bei einer großen Opernproduktion vor den Niederrheinischen Sinfonikern, die er mehr als nur souverän durch den Abend leitete.
Aus dem Orchestergraben erklingt ein wunderbarer Verdi-Genuss, der zusammen mit den Sängern und Sängerinnen für einen musikalisch gelungenen Abend sorgt. Hinsichtlich der Inszenierung wurde eingangs ja bereits genug geschrieben und so verwundert es auch nicht, dass sich bei der Premiere unter den großen Schlussapplaus für die beteiligten Künstler auch zahlreiche Buhrufe für das Inszenierungsteam mischten. Man möchte sich gar nicht vorstellen, welches Opernhighlight hier möglich gewesen wäre, wenn man sich nicht in den Wirren der möglichen Zukunft komplett verfangen hätte.
Markus Lamers, 21. Februar 2023
Rigoletto
Oper von Giuseppe Verdi
Premiere Mönchengladbach: 19. Februar 2023
Inszenierung: Dorothea Kirschbaum
Musikalische Leitung: Giovanni Conti
Niederrheinische Sinfoniker
Weitere Vorstellungen: 23. Februar bis 11. Juni 2023