Münster: „Saul“, Georg Friedrich Händel

Premiere 27. Oktober 2018

Macht verdirbt Charakter

Eigentlich, so sollte man meinen, gibt es genügend – auch nicht so bekannte – Opern, an denen mehr oder weniger waghalsige Regiekonzepte ausprobiert werden können .Trotzdem wurden dazu in den letzten Jahren vermehrt Oratorien szenisch aufgeführt. Dafür eignet sich anscheinend besonders Saul von Georg Friedrich Händel auf den Text von Charles Jennens nach Erzählungen in den Büchern Samuel aus dem Alten Testament. Es gab davon zahlreiche Aufführungen, zuletzt im vergangenen Jahr in Glyndebourne oder vor einigen Jahren in Dortmund. Jetzt hatte eine szenische, ziemlich gekürzte (wieder mal) spezielle Münsteraner Fassung Premiere am Theater unter der musikalischen Leitung von Michael Hofstetter in der Inszenierung von Susanne Knapp.

Mehr Emotionen als dieses Oratorium kann auch eine Oper nicht enthalten:

Zunächst erfreut über den Sieg seines Feldherrn David vor allem über den Riesen Goliath ergreifen Neid und Eifersucht den König Saul, als Israels Frauen den Fehler begehen, David mehr zu preisen als den König. Obwohl als Hirte von niedriger Geburt liebt David gleichzeitig den Sohn Jonathan und die Tochter Michal seines Königs und wird von beiden Geschwistern wiedergeliebt. Zudem spielt er verführerisch auf der Harfe. Um das zu zeigen, trat er in Münster in Begleitung zweier Statisten mit je einem Bären- und Löwenkopf auf, wilde Tiere, die er vorher musikalisch gezähmt hatte. Panik über den befürchteten Machtverlust läßt Saul selbst vor Mordversuchen an David und seinem Sohn nicht zurückschrecken. Nach und nach nach fallen Familie und Volk von ihm ab. Sogar vom Gott verlassen sucht Saul auf Vermittlung der Hexe von Endor Rat beim verstorbenen Propheten Samuel. Dieser prophezeit ihm militärische Niederlage, seines und seines Sohnes Tod in der kommenden Schlacht und David als seinen Nachfolger, was auch so geschieht.

Diese Handlung wurde dargestellt in einem Einheitsbühnenbild (Christopher Melching) sängerfreundlich nach hinten durch einen Rundhorizont begrenzt. Bis in den Bühnenhimmel aufragendes Merkmal war ein riesiger Thron. Der Thronsessel für den jeweiligen König, erst Saul dann David, befand sich auf halber Höhe, darüber herrschte Gott allein, wie bereits in der ersten Strophe des gewaltigen Eingangschors besungen Above all heavn`s .. thou set thy glorious throne (Über alle Himmel strahlt Dein Thron). Vorne gab es ein viereckiges Bassin, in dem im ersten Akt David wohl zwecks Reinigung nach Kampf und Sieg von den Frauen mit viel Schaum eingeseift und danach abgetrocknet wurde – wie witzig?

Wie heute üblich waren König und Sohn in Uniformen etwa zum Beginn des vorigen Jahrhunderts passend gekleidet (Kostüme ebenfalls Christopher Melching) Hingegen sah man David und die jüngere Tochter Michal nach Eheversprechen mit David beide in weissem Kostüm.. Die ältere der beiden Töchter Sauls, Merab, trug eine festliche dunkelrote Robe, wohl weil sie zunächst in bissigen aber exakt gesungenen Koloraturen (Kathrin Filip) eine Ehe mit dem niedrig geborenen David ablehnte. Später bat sie ganz entgegengesetzt in lyrischen Legatobögen Gott um Seelenfrieden für ihren gemütskranken Vater.

Die Münsteraner Fassung begann mit dem bekanntesten Musikstück des Oratoriums, dem Trauermarsch aus dem dritten Akt. Dabei kletterte Saul langsam auf seinen Thron. Vielleicht sollte damit angedeutet werden, daß er ursprünglich zur Annahme der Königskrone von Gott und dem Volk gedrängt werden mußte (1. Samuel 20-24) Wie vor Jahren in Dortmund auch, benutzte die Hexe von Endor ihren Besen zu Reinigungsarbeiten. Ihre kurze Arie, mit der sie Samuel hervorruft (Infernal spirits – Geister des Abgrunds) wurde von Christian- Kai Sander mit wohlklingendem textverständlichem Tenor gesungen. Samuels düstere Prophezeiung sang als Gespenst auf den Bühnenhintergrund projeziert mit tiefem Bass Christoph Stegemann

Ein ganz kleiner Hinweis auf die Barockzeit bestand darin, daß bei der festlichen Symphony zur Eröffnung des Neumondfestes Tänzer in weissen Barockkostümen auftraten (Choreographie Jason Franklin)

Zum Schluß flegelte sich David als neuer König auf dem Thron herum. Den Amalekiter, der berichtete, wie er Saul in der Schlacht den Gnadenstoß versetzte (mit hellem Tenor Juan Sebastián Hurtado) ließ er grausam hinrichten. Die blutige Leiche blieb bis zum Ende in dem erwähnten jetzt leeren Bassin liegen. Unabhängig von ihrer Herkunft ist den Mächtigen zum Machterhalt jedes Mittel recht, sollte das wohl bedeuten. Deshalb endete der Abend abrupt mit dem Klagesang Mourn, Israel mourn (Klag Israel) – der aufmunternde Schlußchor war gestrichen.

Den David sang Michael Taylor mit ausdrucksvoller Countertenor-Stimme alle musikalischen Facetten und Feinheiten der Partie beherrschend und sehr textverständlich. Das zeigte gleich die erste Arie, in der er sich beim König für dessen Lob bedankt, aber Gott den Sieg zuweist.Ganz entgegengesetzt konnte er zum Schluß stimmlich Wut ausdrücken, als er die Hinrichtung des Amalekiters befahl (Impious wretch – verfluchter Mann) Ein Höhepunkt wurde die Arie, mit der er auf Bitten von seiner Braut Michal (ausdrucksvoll gesungen von Marielle Murphy) Gott um Heilung des kranken Gemüts von Saul bittet (O Lord whose mercies..). Das Liebesduett der beiden wurde ebenfalls zum musikalischen Höhepunkt.

In der Titelpartie zeigte Gregor Dalal schauspielerisch eindrucksvoll seinen aus Neid und Panik vor dem Ende der Herrschaft herrührenden psychischen Niedergang. Wenn auch vielleicht nicht immer mit der nötigen Basstiefe brachte er gekonnt stimmlich Wut zum Ausdruck bei A serpent in my bosom (eine Schlange in meiner Brust), wonach er Davids Laute zerbrach. Stimmlich stärker zeigte er im dritten Akt bittere Selbsterkenntnis vor Anrufung der Hexe mit Wretch that I am (Ich Unglücklicher)

Höhensicher und legato sang Youn-Seong Shim Saul`s Sohn Jonathan etwa im ersten Akt mit der Arie Birth and Fortune I despise, in der er unabhängig von Standesdünkel seine spätere Liebe zu David ankündigt – leider war sein Englisch besonders in den Rezitativen nicht sehr verständlich.

Wie in allen Oratorien Händels zeichnen auch hier die Chöre musikalisch äusserst eindrucksvoll die Stimmung des Volks. Auch weil wenig Bewegung von ihnen verlangt wurde, konnten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk musikalische Höhepunkte

singen. Genannt seien neben dem festlichen Eingangschor die Damen beim Lob Davids mit Begleitung durch das Glockenspiel oder zu Beginn des zweiten Akts der vielstimmige Chor bei Beschreibung des Neids als aus der Hölle geborenes Unheil. (Envy! eldest born of hell),oder später der fugierte Chor, in der Sauls Raserei geschildert wird (O fatal consequence) Ganz p gelang abschliessend das ergreifende Mourn Israel.

Hauptträger der musikalischen Handlung war das höher platzierte Sinfonieorchester Münster. Die musikalische Leitung hatte Michael Hofstetter übernommen – ein Spezialist für historisch-informierte Aufführungspraxis. Musikfreunde aus NRW werden sich erinnern, daß er 2000 in Dortmund einen kammermusikalisch durchhörbaren aber doch emotional ergreifenden Tristan dirigiert hat.

Beim Saul in Münster nahm er manchmal rasche Tempi, auch für die festlichen Klänge, sorgte für scharfe Akzente etwa bei Begleitung von Sauls Szene bei der Hexe von Endor. Problemlos gelang das Zusammenspiel zwischen Orchester und Solisten und Chören auf der Bühne.

Die grosse Teile des Orchestersatzes bestimmenden Streicher spielten mit Barockbögen. Zusammen mit den Bläsern – hier seien die Fagotte beim Erscheinen Samuels besonders erwähnt – freute man sich über farbigen abwechslungsreichen Klang. Das galt auch und besonders für die Begleitung der Rezitative durch die verhältnismässig groß besetzte Continuo-Gruppe, in der neben Orgel, Cembalo, Cello und Baß auch Laute, Theorbe, Fagott und das sogar das tiefe Kontrafagott mitwirkten

Trotz des abrupten Endes ohne festlichen Ausklang reagierte das Publikum im sehr gut besuchten Theater nach einem Moment der Besinnung mit lang anhaltendem Beifall und Bravos vor allem für die Darsteller der Hauptpartien, besonders David, für Chor, Orchester, besonders den Dirigenten, aber auch für das Leitungsteam.

Sigi Brockmann 28. Oktober 2018

Fotos (c) Jörg Landsberg