Premiere 26. Mai 2018
Leichtfüssig und zweisprachig
Bekanntlich bezeichneten Wolfgang Amadè Mozart und sein Textdichter Lorenzo Da Ponte ihren „Don Giovanni“ als „dramma giocoso“ also in etwa „heiteres Bühnenstück“. Dabei gehören bei dieser Mischform vor allem die die Gefühle der einzelnen Personen so genial darstellenden Solo-Arien und Duette in den Bereich der „opera seria“ (ernste Oper), während viele Ensembles, die Verkleidungs- und Prügelszene der „opera buffa“ (heitere Oper) entsprechen, ebenso wie die gesamte Rolle des Dieners Leporello, der deshalb in Münster als Harlekin, gleichsam entsprungen der „commedia dell’arte“, kostümiert war. Überhaupt waren die schrillen dem Barock nachempfundenen Kostüme mit überdimensionierten Perücken (Sara Mittenbühler) der erste Eindruck der Aufführung, da sich alle Mitwirkenden vor und während (leider heute üblich) der Ouvertüre (musikalische Leitung GMD Golo Berg) auf einem Steg vor dem Orchestergraben aufreihten, überflüssige Hampeleien vollführten, um dann bis zum Beginn der eigentlichen Handlung wieder abzutreten – übrigens ganz ähnlich wie vor einigen Jahren am Opernhaus Dortmund.
Dies und die erste Szene spielten vor einem Vorhang, der Giorgiones „Venus“-Gemälde zeigte. Nach dessen Öffnen sah man während der gesamten Vorstellung ein Einheitsbühnenbild ähnelnd einer beweglichen grossen Fotolinse mit seitlichem Lilienschmuck (Lukas Noll). Davor gaben zwei ovale Laufstege den Mitwirkenden Gelegenheit, zur Verdeutlichung der Handlung hin- und her und rauf und runter zu rennen.
Überhaupt verlangte die Regie von Christian von Götz von allen Beteiligten ungewöhnlichen körperlichen buffonesken Einsatz. Was auch immer darin passiert oder nicht passiert war, entstiegen Donna Anna und Don Giovanni vor ihrem ersten Auftritt einer Holzkiste mit der Aufschrift „Finger weg“, in der später auch die Leiche des Komturs entsorgt wurde. Er kroch dann aus der Kiste heraus mit einem Schild „tot“. Zerlina, Masetto und der Chor betraten beim ersten Auftritt sackhüpfend die Bühne, wohl um anzudeuten, daß sie gerade erst dem Kindesalter entwachsen waren. Das erleichterte nicht das Singen im raschen Allegro-Tempo, es gelang dem Chor aber trotzdem (Einstudierung Inna Batyuk) Don Giovanni schwebte vor dem Finale des ersten Akts zusammen mit Zerlina an einem Seil aus dem Bühnenhimmel herab, um dann auf demselben Wege seinen Verfolgern zu entkommen. Vielleicht gab es hier und da einen Gag zu viel in der Aufführung – es wurde zu häufig getreten und geprügelt.
Ganz im Gegensatz dazu wurde das schwierige Finale des ersten Aktes fast konzertant aufgeführt, das erleichterte vielleicht die exakte musikalische Darbietung. Die Solisten sangen vorn auf Stühlen sitzend, im Hintergrund wurde getanzt. So mußten die drei Verschwörer Donna Anna, Donna Elvira und Don Ottavio ihr wunderbares Adagio „“Protegga il giusto cielo“ (Der gerechte Himmel bewahre) nicht etwa allein, sondern in Anwesenheit der anderen Solisten stehend singen. Im Hintergrund waren später die drei auf Don Giovannis Fest rhythmisch verschiedene Tänze spielenden Orchester deutlicher als manchmal bei anderen Aufführungen zu hören und zu sehen.
Dagegen wurde im zweiten Akt der Auftritt des „steinernen“ Komturs in der Friedhofsszene – ein Zwischenvorhang mit C.D. Friedrich nachempfundenem Herbst-Gemälde – auch auf der Bühne mit der Musik entsprechendem Ernst dargestellt. Das galt auch für Donna Elviras Auftritt bei Giovannis letzter Mahlzeit, dem posaunenbegleiteten Eindringen des Komturs und Giovannis selbstzerstörerischem Ende.
Eine Besonderheit der Aufführung bestand darin, daß zwar Arien und Ensembles wie inzwischen üblich auf italienisch mit deutschen Übertiteln gesungen wurden, die Rezitative aber auf deutsch in einer Übertragung von Walter Felsenstein, zuverlässig und teils geistreich begleitet von Boris Cepeda auf dem Hammerklavier. Daß dies durchaus passend war, wurde durch spontane Reaktionen des Publikums etwa auf witzige Dialoge bestätigt. Bei italienischen parlando können die Übertitel ja häufig dem Tempo des Textes gar nicht folgen und es gehen Pointen verloren.. Auf der anderen Seite war es manchmal durchaus schwierig, immer in dem notwendigen Tempo akzentfreies Deutsch zu singen.
Gesanglich konnte sich die Aufführung gut hören lassen. In der Titelpartie verfügte Filippo Bettoschi über verführerischesTimbre beim Duettino mit Zerlina „La ci darem la mano“ (Reich mir die Hand) Dabei mußte er zusätzlich letztere noch auf Händen tragen.In der „Champagner-Arie“ hörte man überschäumende Lebenslust, aber auch technisch gekonnt atemlose Angst etwas zu verpassen. Ganz besonders gelang ihm das „Ständchen aller Ständchen“ Vieni al fenestra“ an Donna Elviras Zofe, die zusätzlich die gesamte Aufführung tanzend begleitete (Verena Hierholzer).
Die charakterlich interessanteste Frauenpartie der Oper bereitete Kristi Anna Isene – immer rachelüstern mit Gewehr bewaffnet – beim ersten Terzett mit Don Giovanni und Leporello Schwierigkeiten mit den Oktavsprüngen von etwas schrillen hohen Tönen bis in tiefe Lagen. Dafür gelangen ihr im zweiten Akt ganz großartig die Händel nachempfundenen Koloraturen und Spitzentöne ihrer grossen Arie, in der sie sich gestehen muß, daß sie Don Giovanni trotz allem noch liebt.
Gegensätzliche Gefühlsregungen machte Nina Koufochristou als Donna Anna stimmlich deutlich. Die fast hochdramatischen Ausbrüche ihrer ersten Arie, als sie in Don Giovanni den Mörder ihres Vaters erkennt, gelangen ebenso wie versöhnliche p-Töne und glänzende Koloraturen von Rezitativ, Larghetto und Arie „Crudele“ (Ich grausam?) im zweiten Akt.
Keck spielte und sang Kathrin Filip die Zerlina. Sogar mit Masetto im „Hüpfsack“ gelang ihr tongenau das mit „Andante grazioso“ bezeichnete „Vedrai carino“ (Wenn du fein fromm bist) Für den Masetto hatte Christoph Stegemann besonders die aufrührerische Stimmfärbung bei „Ho capito“ (Hab’s verstanden)
Beim Publikum am beliebtesten ist wegen seiner spitzbübischen heiteren Rolle der Diener Leporello, Gregor Dalal erfüllte alle Erwartungen an die Partie und erntete natürlich schon nach der „Registerarie“ grossen Szenenapplaus.
Als kleine Konzertnummer auf einem Podium inszeniert glänzte Youn-Seong Shim als Don Ottavio mit kräftigem Tenor und exakten Koloraturen bei seiner Arie im zweiten Akt „Il mio tesoro“ Dem Komtur verlieh Stephan Klemm die würdige auch drohende Baßstimme.
Golo Berg leitete überlegen das musikalische Geschehen und nahm erfreulicherweise keine übereilten Tempi. Kleinere Wackler waren wohl der Premierenatmosphäre geschuldet. Das Orchester saß nicht wie heute bei Aufführungen von Mozart üblich hochgefahren auf halber Höhe. Durch die Platzierung – wahrscheinlich regiebedingt – ganz tief im Graben ging vielleicht manche musikalische Feinheit verloren, dämonisch klangen die Bläser trotzdem. Gelobt sei das Solo-Cello bei Begleitung von Zerlinas Arie im ersten Akt vertretend für andere Instrumentalsoli..
Eine sehr passende Idee der Regie war es, Don Giovanni in derselben Kiste zur Hölle fahren zu lassen, in der mit ihm und Donna Anna die Oper begann – so rundete sich der Abend, war aber auch damit zu Ende. Musikalisch mit dem Wechsel nach Dur beim letzten Akkord und auch der Inszenierung entsprechend wäre nach der Höllenfahrt das „Finale ultimo“ mit dem Schluß-Sextett passend gewesen – ein kurzer Auftritt der Überlebenden reichte da nicht.
Das Publikum störte das nicht. Nach dem unterhaltsamen Opernereignis klatschte es über mehrere Vorhänge andauernd Beifall mit vielen Bravos für die Hauptdarsteller und das Orchester. So hat die Aufführung alle Chancen auf grossen Besucherandrang.
Fotos Jörg Landsberg
Sigi Brockmann 27. Mai 2018