Münster: „Madama Butterfly“

Premiere 15. September 2018 – besuchte Vorstellung 23. September 2018

Kaum Japan – viel Tragödie

Seit einiger Zeit ist bei „fortschrittlichen“ Regisseuren eine Mode zu beobachten, nämlich, daß sie eine Bühnenhandlung verbessern oder umdeuten wollen, indem sie zusätzliche von den Autoren nicht vorgesehene Personen auftreten lassen. So war es auch bei der Aufführung von Giacomo Puccini´s „Madama Butterfly“ auf den Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica am Theater Münster. Hier zeigte Regisseur Hans Walter Richter bereits vor Beginn der eigentlichen Handlung im Schattenriß, wie Butterfly´s Vater als stumme Person rituellen Selbstmord begeht. Dieses fernöstliche Ritual geschah musikalisch ganz unpassend zur kurzen Ouvertüre in Form einer schulmeisterlichen Fuge, die doch westlicher Tradition entspricht. Das grausames Schicksal des Vaters wird allerdings im ersten Akt von Butterfly selbst angedeutet, als sie von der plötzlichen Armut ihrer adeligen Eltern und vom Tod des Vaters erzählt. Der Heiratsvermittler Goro ( anbiedernd und hämisch gespielt aber pointenreich und treffsicher gesungen von Christopher Diffey als Gast aus Mannheim) erzählt Pinkerton, der Mikado habe den Vater durch Übersendung eines Dolches zum rituellen Selbstmord aufgefordert und dieser gehorchte. So konnte das Publikum durch Gesang und Übertitel ausreichend über die Vorgeschichte der Tragödie der Butterfly erfahren, ohne daß die Darstellung auf der Bühne dazu notwendig gewesen wäre.

Weiter entstand im Publikum die Frage, ob Butterfly zwei Söhne gehabt habe, die man auf der Bühne sah. Wie das Programmheft belehrte, trat der einzige Sohn wie in der Oper als Kind und dann – wieder von der Regie hinzuerfunden – gleichzeitig als Heranwachsender auf, jetzt allerdings nicht mehr blondhaarig. Es sollte dadurch die traumatische Erfahrung des Selbstmords seiner Mutter für das spätere Leben des Sohnes dem Publikum noch deutlicher werden. Das sind nicht die besten Inszenierungen, deren Sinn man nur aus dem Programmheft versteht!

Auch ansonsten versuchte die Inszenierung, der als „japanische Tragödie“ bezeichneten Oper soweit eben möglich fernöstlichen Reiz auszutreiben, wohl um bei den Zuschauern möglichst wenig sentimentale Regungen zu begründen.

Das begann beim Bühnenbild:.(Bernhard Niechotz) Das von Pinkerton so bezeichnete „Häuschen“ mit „Liebesnest“(nido nuzial) war ein Wohncontainer mit der Aufschrift „home sweet home“, der als Hochzeitsgeschenk für Butterfly mit einer Schleife versehen von oben abgeseilt wurde. Über steile Leitern mußten Mitwirkende nicht nur auf dessen Dach sondern auch an den Wänden rauf- und runterklettern. Vor dem Container bereitete Butterfly picknickartig auf dem Boden das Hochzeitsmahl vor. Für die Gäste standen Gartenstühle und -tische bereit, die, wie kann es heute anders sein, umgeworfen wurden, hier wohl passend beim fluchtartigen Aufbruch der Hochzeitsgesellschaft nach dem Fluch durch Onkel Bonze (mit drohendem Baß Christoph Stegemann) wegen des Übertritts von Butterfly zum Glauben ihres Geliebten. Zum etwas kitschigen „Blumenduett“ des zweiten Aktes fielen zunächst Kirschblüten vom Bühnenhimmel, dann wurden lediglich gemalte und an die Wände geklebte Blumen.besungen.

Wie.auch heute vielfach üblich, entsprachen bis auf das von Suzuki die langweiligen Kostüme (auch Bernhard Niechotz) jetziger Gegenwart, solche werden ja inzwischen als passend für jede Zeit zwischen Altertum und Heute verwendet. Butterfly trug zur Hochzeit westlich-bräutliches Weiß, Pinkerton mußte sich, obwohl Leutnant, im ersten Akt mit einer schäbigen Khakiuniform begnügen. Es sollte wohl gezeigt werden, daß die Heirat mit Butterfly für ihn nur unterhaltsames Vorspiel für gewünschtes Freizeitvergnügen mit ihr war. Um zum traurigen Schluß seinen Sohn abzuholen, kam er dann etwas unverständlich in Zivil.

Musikalisch war die Aufführung hingegen rundum gelungen. Wegen Erkrankung der Sängerin der Premiere, die auch auf den Fotos zu sehen ist, war ganz kurzfristig als Butterfly Hye-Sung Na vom Theater Heidelberg eingesprungen, die diese Rolle schon an mehreren Bühnen erfolgreich gesungen hat. Auch vom Aussehen her für diese Rolle passend spielte sie überzeugend sowohl die bedingungslos liebende als auch die maßlos verzweifelte junge Frau und fügte sich völlig in die Inszenierung ein. Stimmlich traf sie über das Orchester hinweg unangestrengt fast hochdramatisch die Spitzentöne, sang gefühlvolle Kantilenen, vermochte auch bei Darstellung einer Scheidungsverhandlung in den USA erheiternd die Beteiligten stimmlich unterschiedlich darzustellen. In ganz berührendem p sang sie sowohl das „dolce notte“ (süsse Nacht) im ersten Akt wie auch das Wiegenlied für ihren Sohn im dritten Akt oder vor allem etwa zum Schluß ihr verhauchendes „Tutto finito“ (Alles zu Ende)

Die wenig sympathische Rolle des Pinkerton erfüllte Garrie Davislim mit helltimbrierten tenoralen Glanz. In seinem von Konsul Sharpless so genannten „leichten Evangelium“ (facile vangelo), in dem er geniesserisch das abwechslungsreiche Dasein eines US-Marineleutnants preist, traf er die mehrmaligen hohen b, am ausdrucksvollsten bei dem Wunsch einer späteren Ehe mit einer Amerikanerin, dies wie auch vorher beim „America forever“ zum Thema der US-Nationalhymne im Orchester. Sein kurzes reuevolles Arioso im letzten Akt gelang ebenfalls, ein musikalischer Höhepunkt des Abends wurde so das lange Liebesduett der beiden zum Ende des ersten Aktes mit triumphalem hohem C schliessend.

Den Konsul Sharpless sang mit wohlklingendem Bariton Filippo Bettoschi. Man hörte kantables Mitleid mit Butterfly´s Schicksal und sein Italienisch war textverständlich.

Erfreut über ein Wiedersehen und -hören von Judith Gennrich waren langjährige Opernbesucher, die sich vor allem gern an ihren „Octavian“ im „Rosenkavalier“ erinnerten. Jetzt erlebten wir sie in der Rolle der Dienerin Suzuki. Sie vermittelte mit ihrem wohlklingenden Mezzo stimmlich grosses Mitgefühl mit ihrer Herrin Butterfly.

Alle anderen kleineren Rollen waren musikalisch passend besetzt,

Wie immer gut einstudiert durch Inna Batyuk erfüllten Opernchor und Extrachor alle musikalischen Wünsche, besonders auch solistisch geteilt während der Hochzeitszeremonie. Stimmlich eindringlich gelangten Sopranen und Tenören auch der stimmungsvolle Summ-Chor zum Ende des zweiten Aktes, leider dabei geisterhaft vermummt kostümiert.

Überlegen leitete GMD Golo Berg die musikalisch gelungene Aufführung. Verhältnismässig rasches Tempo wählte er zu Recht für die leichteren Konversationsszenen, ließ beim Liebesduett, bei der grossen Arie der Butterfly im zweiten Akt und zum grausamen Schluß den Sängern genügend Raum zum Atmen. Mit dem Sinfonieorchester Münster machte er die vielen thematischen Verbindungen innerhalb der Oper, etwa des wiederkehrenden markanten Fluch-Motivs, deutlich, und erfreute die Zuhörer mit der sensiblen Darstellung der feinnervigen Instrumentation, sowohl bei üppigem westlichen Orchesterklang als auch bei japanisch nachempfundenen durch Verwendung der Ganztonleitern sich ergebenden übermässigen Akkorden .Ein orchestraler Höhepunkt wurde so das Vorspiel des dritten Aktes. Besonders hervorzuheben sind das Violin-Solo gegen Ende des ersten Aktes oder die gespenstischen Bläser-Akkorde gegen Ende des dritten Aktes.

Da die Oper nach dem grausamen Selbstmord Butterfly´s mit einem wuchtigen unaufgelösten Sextakkord endet, brauchte es einige Zeit, bis Applaus einsetzte. Es war auch kein übliches zahlendes Publikum, sondern Parkett und ersten Rang füllten vom Oberbürgermeister eingeladene Honoratioren aus Münster und Umgebung, die letzterer mit einer üblichen Rede begrüßte. Nach der Pause gab es leere Plätze, da die Oper vielen wohl vorher nicht bekannt war und, wie man in der Pause hörte, das „Happy End“ doch schon im ersten Akt erfolgte. Das zeigte sich etwa auch daran, daß nach der von Hye-Sung Na ganz großartig gesungenen Arie „Un bel di“ (Eines Tages), in dem sie traumhaft die Rückkehr Linkertons besingt, trotz der von Puccini dafür vorgesehenen Pause sich keine Hand zum Beifall rührte. Dafür wurde nachher umso mehr, auch stehend, applaudiert mit verdienten Bravos vor allem für die eingesprungene Butterfly, die anderen Hauptpersonen und das Orchester mit seinem Dirigenten.

Bilder (c) Theater Münster

Siegfried Brockmann 24. September 2018

Fotos mit einer anderen Darstellern der Titelpartie und des Goro Oliver Berg