Nordhausen: „Tristan und Isolde“

Besuchte Vorstellung: Sonnabend, 29. Januar 2022 (Premiere)

Sehens- und hörenswerter TRAILER

Mit „Tristan und Isolde“ konnte eines der anspruchsvollsten Werke des Musiktheaters nach endlos erscheinender Zwangspause Premiere an drei mitteldeutschen Theatern feiern, nach Chemnitz und — im dritten Anlauf endlich szenisch – Halle, folgte am 29. Januar 2022 Nordhausen.

E

s beeindruckt immer wieder, mit welchem Elan kleinere und mittlere Theater Werke auf die Bühne bringen, die lange Zeit den großen Bühnen vorbehalten schienen. Oft haben sie dabei mit Vorurteilen zu kämpfen. Kritische Stimmen, mitunter leider auch in den regionalen Medien, warnen vor einem möglichen Scheitern. Anders als in früheren Zeiten gibt es nicht mehr die „Provinzbühne“ mit den in Ehren ergrauten Lieblingen des lokalen Publikums, welche eher der heiteren Muse frönen. Gerade dort, wo man mit begrenzten Mitteln haushalten muss, arbeiteten international zusammengesetzte Ensembles hochprofessionell, starten junge Künstler ihre Karrieren. Selten gespielte Werke und manche Neuentdeckung ziehen ein interessiertes Publikum auch aus größeren Städten an. Gerade in kleineren Häusern stellt sich durch die Nähe zwischen Bühne und Publikum ein direktes Erlebnis und eine Interaktion ein, die stärker zu berühren vermag als manche routinierte Repertoire-Vorstellung an den großen Bühnen.

Wagner hatte selbst nichts dagegen einzuwenden, seine Werke auch durch ein mittelgroßes Orchester aufführen zu lassen. Für das Coburger Theater soll er eine reduzierte Orchesterfassung für den Ring des Nibelungen autorisiert haben. Vor dem Beginn der Schließungen der Theater überzeugte diese durch Wagnertuben erweiterte Fassung des „Rheingold“ in Coburg; in dieser Spielzeit soll dieser Ring mit der „Walküre“ weiter geschmiedet werden. Auch wenn der Streicherklang bei reduziertem Orchester nicht ganz so geschmeidig zu klingen vermag, werden Details und musikalische Zusammenhänge besser – mitunter plastisch – hörbar.

Dies gilt nach meinem Eindruck auch für den Nordhäuser Tristan. Unter der Leitung von Michael Helmrath, bis 2021 Generalmusikdirektor und nun erster Gastdirigent, spielt das Loh-Orchester Sondershausen präzise. Dabei gelingen lyrische Bögen, leise Zwischentöne und Klangmischungen sowie eruptive Steigerungen, ohne die Sänger zu überdecken.

Einen Glücksfall für das Nordhäuser Theater bildet das bis in die Nebenrollen hinein rollendeckend besetzte Sängerensemble. Kirstin Sharpin, zur Zeit auch als Brünnhilde im Ring des Nibelungen in Melbourne verpflichtet, ist eine souveräne Isolde. Mit differenziert eingesetzten stimmlichen Mitteln vermittelt sie ohne jegliche Ermüdung die seelischen Abgründe der Rolle zwischen Verzweiflung, Aufbegehren, Liebesrausch und Entsagung. Selbst in exponierten Lagen klingt die Stimme immer kultiviert, niemals schrill. Alexander Schulz gibt den Tristan mit metallisch anmutendem Heldentenor.

Die finnische Mezzosopranistin Niina Keitel verkörpert eine anrührende Brangäne. Ihre Warnrufe vor dem anbrechenden Tag, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, gehören zu den Höhepunkten des Zweiten Aufzugs. Thomas Berau legt seinen Kurwenal eher lyrisch an und vermag besonders im Dritten Aufzug mit sensibler Gestaltung zu berühren. Thomas Kohl präsentiert einen sonoren König Marke. Er interpretierte ihn als distanziert wirkenden „Funktionär“, der in seinem Monolog eher verletzte Eitelkeit als seelische Erschütterung glaubhaft macht.

Regisseur Ivan Alboresi inszeniert das Werk als Nachtstück eng am Textbuch und setzt auf die Interaktion der Sängerdarsteller. Anders als in der Chemnitzer Produktion verzichtet er auf eine über den Text hinausgehende Deutung. Beide Herangehensweisen haben ihren Reiz und können einander ergänzen.

Die relativ kleine Nordhäuser Bühne wird durch eine drehbare Schräge beherrscht, die im Dritten Aufzug in mehrere Teile zersprungen scheint. Die Reduktion auf nur wenige Ausstattungsstücke und die Lichtregie erinnern an die Bilder der Inszenierungen Neu-Bayreuths. Die Gewänder wirken zeitlos. Nichts lenkt von der Konzentration auf die Akteure ab. Akzente vermitteln sparsam eingesetzte Videoprojektionen. Die Aufzüge lassen keine Orte erkennen und bieten Raum für Assoziationen.

Während des Vorspiels verweisen Wellen auf den Handlungsort Schiff – es könnten aber auch Wolken oder Rauchschwaden sein. Im Zweiten Aufzug wird das leidenschaftliche Aufeinandertreffen der Liebenden durch eine Videoprojektion mit filmischen Mitteln dargestellt, während Tristan und Isolde distanziert und sängerfreundlich an der Rampe stehen. Selbst wenn es tatsächlich den Corona-Auflagen geschuldet gewesen sein sollte, ist dies eine naheliegende Deutung. Im Tristan wird vieles im Text behauptet, was nicht unbedingt durch die Musik der „Handlung in drei Aufzügen“ beglaubigt wird. Es ist unerheblich, ob der vermeintliche Todestrank gegen einen Liebestrank vertauscht wurde. Mit dem von Tristan und Isolde angenommenen Übergang in das „andere Sein“, entfallen alle Hemmungen und gesellschaftlichen Konventionen, in welche die Akteure unentrinnbar verstrickt sind. Der „öde Tag“ reißt sie in diese Realität zurück, der sie entfliehen wollen. Der auf drei große Segel projizierte Liebestaumel ist in der Nordhäuser Interpretation lediglich eine Imagination – aus meiner Sicht ein nachvollziehbarer Gedanke der Regie. Nicht so geschickt wirkt es, wenn anfangs der Steuermann, dann der Chor, die Bühnenschräge langsam umschreiten muss.

Die Vermittlung der Fieberphantasien des tödlich verwundeten Tristan gelingt Alexander Schulz eindrücklich mit bewundernswerter Kondition. Wie Amfortas leidet an einer „Wunde, die sich nicht schließen lässt“, die nicht körperlich sichtbar sein muss. Er selbst, nicht Melot, hat sie sich beigebracht. Es sind die seelischen Verletzungen, die ihn im Fieberwahn sein alter ego als Kind, die früh verstorbene Mutter und schließlich die trauernde Isolde, erblicken lassen. Sie erscheinen ihm auf der Bühne real.

Kirstin Sharpin meistert den Schlussgesang der Isolde überzeugend. Es ist weniger ein Liebestod, eher die „Verklärung“ und damit im Sinne Wagners. Sie tritt aus ihrer Rolle heraus, während die Verkleidungen der Bühne heraufgezogen werden und den Blick auf die Hinterbühne und die Technik freigeben.

Das Publikum in Nordhausen feierte mit einem langen stehenden Applaus die Sänger, das Orchester und einhellig auch das Regieteam. Es war nicht nur die Erleichterung und das Glück, endlich wieder einen großen Opernabend live auf der Bühne zu erleben. Damit wurde honoriert, dass alle an diesem Projekt Mitwirkenden mit hohem Einsatz und Herzblut zum Gelingen dieses „wahnwitzigen Wagnisses“, von dem in der Besprechung der „Thüringer Allgemeinen“ etwas abschätzig die Rede war, beigetragen haben. Die Anreise in die Stadt am Südharz kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Michael Rudloff, 8.2.22

Bilder (c) Thester Nordhausen