Nordhausen: „Luisa Fernanda“

Premiere: 18.11.2016, besuchte Vorstellung: 16.12.2016

Spanische Klänge im Harz

Lieber Opernfreund-Freund,

ganz spanisch wird es einem dieses Jahre direkt hinter dem romantischen Weihnachtsmarkt in Nordhausen zumute, denn das Theater Nordhausen zeigt seit dem 18. November die deutschsprachige Erstaufführung der Zarzuela „Luisa Fernanda“. „Luisa Fernanda“, 1932 uraufgeführt, gilt als Paradebeispiel und erfolgreichste Vertreterin der Zarzuela, einer Musiktheaterform, die gerne als spanische Version der Operette bezeichnet wird. Das wäre aber zu kurz gegriffen, gibt es sie doch schon seit dem 17. Jahrhundert, also weit länger als die im 19. Jahrhundert entstandene Operette. Sie ist in ihrer Form sehr viel freier als das mitteleuropäische Pendant, in den einzelnen Zarzuelas unterscheiden sich beispielsweise die gesprochenen Anteile stark, die musikalischen Einflüsse reichen von klassischer Musik über Folklore bis hin zum Jazz und die Geschichten sind eher im einfachen Volk angesiedelt, während die Operette gern ein wenig gekünstelt wirkt. Doch beiden Kunstformen ist der Reichtum an eingängigen Melodien gemein, die Verbindung von Sprache, Musik und Tanz sowie die in feinen Humor gewandete Sozialkritik.

In „Luisa Fernanda“, die in den vergangenen rund 85 Jahren weit über eine Million auf der Bühne gezeigt worden sein soll und damit als bekannteste und erfolgreichste Zarzuela gilt, wird die Geschichte von Luisa erzählt, die Javier liebt, der beim Militär Karriere machen will und deshalb nur noch selten im heimischen Madrid weilt. Er ist von der mächtigen und schönen Herzogin Carolina fasziniert, die ihn geschickt auf ihre Seite zieht, politisch wie privat. Der Gutsbesitzer Vidal dagegen hat ein Auge auf Luisa Fernanda geworfen und buhlt um ihre Gunst. Er kämpft sogar – obwohl eigentlich völlig unpolitisch – für die Republik gegen den herrschaftstreuen Rivalen. Luisa Fernanda nimmt Vidals Antrag an, doch am Tag vor der Hochzeit erscheint Javier, der nach der erfolgreichen Revolution mit Carolina nach Portugal geflohen war. Luisa fühlt sich ihrem Wort Vidal gegenüber gebunden, doch der erkennt, dass sie Javier noch immer liebt und gibt sie frei.

Zu dieser Geschichte hat Federico Moreno Torroba hinreißende Melodien voller spanischer Leidenschaft und gefühlvolle Kantilenen erdacht, die in Nordhausen vor traditioneller Kulisse erklingen. Die Lesart von Alfonso Romero Mora orientiert sich eng am Stück, erzählt wird in der stimmungsvollen Kulisse von Ricardo Sánchez Cuerda, Gabriela Salaverri hat wunderbare, romantisierende Kostüme geschneidert, so dass sich der Charme dieser Geschichte voll entfalten kann. Dazu trägt sicher auch die gelungene und wortwitzige Übersetzung von Stefanie Gerhold bei, zumindest bei den gesprochenen Dialogen. Diese Zarzuela wird in Nordhausen erstmals auf Deutsch gegeben – ein in den gesungenen Passagen zweifelhaftes Vergnügen, da die Textverständlichkeit da und dort doch recht zu wünschen übrig lässt. Da hätte vielleicht der gesungene Originaltext mehr spanisches Lokalkolorit aufflammen lassen – und eine Übertitelung der Verständlichkeit einen Gefallen getan.

Aus dem Graben klingt es durchaus lodernd-leidenschaftlich, das Loh-Orchester Sondershausen legt sich voll ins Zeug. Michael Helmrath dirigiert aber die musikalisch rasanten Stellen fast mit angezogener Handbremse und zu wenig feurig. Dagegen erklingen die ruhigeren Passagen wogend und voller Gefühl.

Sabine Noack singt wunderbar und leidenschaftlich, scheint sich als Titelheldin in der ersten Hälfte des Abends aber erst einspielen zu müssen und packt mich emotional erst in der zweiten Hälfte. Ihrem Mezzo kommt der Part als hin- und hergerissene junge Frau eher entgegen als der der einfältig Verliebten, die sie im ersten Akt verkörpert. Angelos Samartzis hat darstellerisch ähnliche Schwierigkeiten. Er singt den Javier tadellos, zeigt seinen hellen, glänzenden Tenor und die bombensichere Höhe. Doch Gefühle transportiert er leider nicht und bleibt so weit hinter der Leistung seines Nebenbuhlers zurück. Manos Kia verkörpert den Vidal dagegen seelenvoll und voller Wärme.

Sein samtiger Bariton überzeugt ebenso auf ganzer Linie wie sein leidenschaftliches Spiel. Emma Moore ist seit dieser Spielzeit Mitglied des Thüringer Opernstudios und lässt als Herzogin Carolina aufhorchen. Die junge Künstlerin spielt die Stärken ihres Koloratursoprans voll aus, ihre Stimme zeigt unglaubliche Geläufigkeit, ihre Darstellung die für diese Rolle notwendige Grandezza. Schauspielerin Uta Haase als Gastwirtin Mariana glänzt mit unübertroffenem komödiantischen Talent, aus dem großen Reigen der kleineren Rollen sticht Marvin Scott als drehorgelspielender Savoyarde heraus und bewegt mit seinem Lied über die untreuen Soldaten. Gewürzt wird der unterhaltsame Abend noch durch den engagiert singenden, von Markus Popp einstudierten Opernchor und das von Ivan Alboresi betreute und fröhlich tanzende Ballett TN LOS!

Das Publikum freut sich an der beschwingten, eingängigen Musik, verlässt das Theater glücklich und mit einem Lächeln. Und so geht’s auch mir, so dass ich Ihnen diese Produktion guten Gewissens ans Herz legen kann, ehe ich mich in die Rezensenten-Weihnachtsferien zurückziehe.

Ein frohes Fest und einen guten Rutsch wünscht

Jochen Rüth 18.12.16

Fotos (c) Theater Nordhausen / Roland Obst