Sondershausen: „Turandot“, Giacomo Puccini

Lieber Opernfreund-Freund,

gestern hatte im Schlosshof des Theaters Sondershausen die Opernproduktion der diesjährigen Thüringer Schlossfestspiele Premiere: Puccinis Turandot. Und der Abend taugt allemal als veritables Alternativprogramm zur Fußball-EM – dafür sorgen die lebendige Regie von Benjamin Prins und das hohe gesangliche Niveau.

© Marco Kneise

Puccinis Todestag jährt sich heuer zum 100. Mal – ein Grund für viele Häuser, die Werke des Maestros auf den Spielplan zu setzen. Am Theater Nordhausen, dessen Ensemble die Thüringer Schlossfestspiele zusammen mit dem Loh-Orchester Sondershausen bespielt, hat man sich für seine letzte Oper Turandot entschieden, ein Werk, dessen Finale schon dem Komponisten selbst dermaßen Kopfzerbrechen gemacht hat, dass er es vor seinem Tod im Jahr 1924 nicht mehr vollenden konnte. Der Rest der Oper war schon im März des gleichen Jahres fertiggestellt gewesen, doch zu abrupt vollzieht sich dann am Ende die Wandlung der eiskalten Prinzessin zur liebenden Braut. Und auch der Nordhäuser Operndirektor Benjamin Prins gönnt dem Paar in seiner Lesart kein ungetrübtes Happy End: An Turandots Haltung hat sich trotz Lius Selbstaufopferung und Kalafs Kuss nichts geändert. Sie will nicht mit ihm zusammen sein und lässt den Prinzen mitten im abschließenden Jubelchor einfach stehen, steigt als emanzipierte Frau vom gemeinsamen Thron herab, damit er künftig allein regiert. So gelingen Prins, der ansonsten durchaus das Märchenhafte der Geschichte betont – etwa, wenn er den Kaiser als chinesischen Drachen auftreten lässt, ein spannender Twist und eine schlüssige Interpretation von Puccinis Schwanengesang.

Wolfgang Kurima Rauschning hat ihm dafür ein chinesisches Tempelensemble in den Sangershäuser Schlosshof eingepasst, auf dem die Künstlerinnen und Künstler großes Kino bieten – auch gesanglich: sämtliche Herren stammen aus dem Ensemble des Theaters Nordhausen, allen voran Kyounghan Seo, der mit kraftvollem Tenor und strahlender Höhe ein Kalaf wie aus dem Bilderbuch ist. Thomas Kohl ist ein charismatischer Timur, während das Trio aus Ping, Pang und Pong rund um Bariton Florian Tavić ein urkomisches Gespann mit Anklängen an Charlie Chaplin in bester Comedia dell’arte-Manier gibt – auch wenn Striche in der Partitur seinen Part verkleinern. Ihre Wirkung wird noch durch die einfallsreichen Kostüme von Birte Wallbaum verstärkt, die sich auch bei der Ausstattung der Titelfigur nicht lumpen lässt und Turandots ausladende Robe mit den Schädeln der erfolglosen Bewerber verziert. Die originellen Choreografien von Luca Villa schließlich machen die Szenerie perfekt.

© Marco Kneise

Am meisten beeindruckt haben mich aber die beiden Damen auf der Bühne, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Mariya Taniguchi stattet die Liù mit viel Gefühl und zahlreichen zarten Höhenpiani aus, während Hye Won Nam die Turandot mit eiskalten, durchdringenden Spitzentönen schmückt. Das Loh-Orchester spielt aus dem Inneren des Schlosses, doch Michael Helmrath hält alle Fäden fest zusammen und präsentiert so eine Turandot wie aus einem Guss. Lediglich in der Abstimmung mit dem unter der Leitung von Markus Fischer exzellent spielenden und singenden Chor kommt es da und dort noch zu kleinen Wacklern. Das mag aber auch einer gewissen Premierennervosität geschuldet gewesen sein und schmälert den positiven Gesamteindruck des gestrigen Abends nicht.

Also: auf nach Thüringen!

Ihr

Jochen Rüth, 15. Juni 2024


PS: Die Schlossfestspiele in Sondershausen fahren einen sehr publikumsnahen Ansatz, servieren Thüringer Bratwurst (lecker!), Eis und Popcorn und kommen dadurch auch bei jüngerem und sonst vielleicht eher opern-fernem Publikum gut an. Das ist toll!

Wenn dann aber einzelne Zuschauer – wie meine Nachbarn in der Reihe 11 – während der Aufführung das Deutschlandspiel live (!) auf ihren Handys verfolgen, empfehle ich bei aller Volksnähe doch die Konzentration auf eines der beiden Events – in diesem Fall schon aus Respekt vor der künstlerischen Leistung der Protagonisten und aus Rücksicht auf die Umsitzenden auf die Opernaufführung. Dann kann man sich am Puccini freuen und danach über den Erfolg der deutschen Mannschaft, hat also doppelte Freude!


Turandot
Giacomo Puccini
Finale: Franco Alfano

Theater Nordhausen/Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen

Premiere: 14. Juni 2024

Regie: Benjamin Prins
Musikalische Leitung: Michael Helmrath
Loh-Orchester Sondershausen

Trailer

Weitere Vorstellungen: 16., 21., 23. und 30. Juni sowie 5., 12. und 14. Juli.