Osnabrück: „Das Lied der Nacht“

Premiere: 29.April 2017, besuchte Vorstellung: 12. Mai 2017

TRAILER

Diese Oper hat das Zeug, die „Wiederentdeckung des Jahres“ zu werden: Eine märchenhaft-symbolistisch-tiefenpsychologische Handlung, extreme Charaktere und eine Musik, die mit ihrem Farbenreichtum, ihrer Melodienschönheit und Originalität begeistert. 1926 wurde „Das Lied der Nacht“ in Breslau uraufgeführt, danach folgten bis 1930 weitere Produktionen in Düsseldorf, Königsberg und Graz. Daran, dass es zwischen 1933 und 1945 keine weiteren Aufführung gab, sind die Nazis schuld, denn Hans Gál war Jude. Das erklärt aber nicht, dass diese Oper bereits ab 1930 und auch nach Ende des 3. Reiches nie wieder gespielt wurde.

Librettist Karl Michael von Levetzov hat sich vordergründig ein Märchen erdacht, dass den Opern Franz Schrekers inhaltlich nahe steht: Prinzessin Lianora will nicht heiraten, auch nicht ihren Vetter Tankred. Regisseurin Mascha Pörzgen und Ausstatter Frank Fellmann lassen die Auseinandersetzung der Prinzessin in einem großen Saal mit Himmelbett spielen.

Viele bemooste Steine signalisieren, dass die unverheiratete Prinzessin zu versteinern droht, womit wir bei einem Motiv sind, dass sich auch in „Die Frau ohne Schatten“ findet. Wahrscheinlich hat der große Erfolg der Strauss-Oper dem „Lied der Nacht“ bereits in den Jahren 1930 bis 1933 die weitere Bühnenexistenz verwehrt.

Osnabrücks GMD Andreas Hotz feuert sein Orchester mit spürbarer Begeisterung für Gáls Partitur an: Man hört, dass der Komponist ein Zeitgenosse von Mahler, Strauss und Schreker ist, gleichzeitig geht er in vielen Aspekten seine eigenen Wege. Sein melodischer Erfindungsreichtum ist dabei schier unerschöpflich.

Die Prinzessin Lianora wird von Lina Liu mit großerleuchtender und fast schon metallischer Stimme gesungen. Liu liefert ein starkes Porträt dieser zerrissenen Figur, wird dabei aber von Ausstatter Fellmann mit unvorteilhaften Kostümen bedacht. Als Gefährtinnen steht Lianora die Hofdame Hämone zur Seite: Susanne Vent-Wunderlich singt die Rolle mit großer Stimme und gibt der Figur so ein starkes Gewicht. Manche Szene zwischen Prinzessin und Hofdame wirken aber zu ausufernd, so dass bei einer Neuinszenierung hier vielleicht gestrafft werden könnte.

Die Prinzessin sucht sich nun Rat bei der „versteinerten Äbtissin“, die vielleicht in ihrer Jugend das gleiche liebelose Schicksal durchgemacht hat. Gritt Gnauck singt die Partie mit ruhig strömendem Mezzo, der die Figur in die Nähe einer orakelnden Erda rückt. Die Äbtissin empfiehlt, die Prinzessin solle auf die „Stimme der Nacht“ hören.

Dahinter verbirgt sich der Bootsmann Ciullo, der der Prinzessin regelmäßig nächtliche Ständchen bringt („Don Giovanni“ und „Trovatore“ lassen grüßen.), ohne dass sie weiß, wer da singt. Ferdinand von Bothmer gestaltet den Ciullo mit kräftigem Tenor, der in der Höhe aber noch etwas mehr Strahlkraft besitzen könnte. Die Inszenierung macht aus ihm mal einen Gondoliere, der „Hoffmanns Erzählungen“ entsprungen sein könnte, und im Schlussakt kommt er als rächender Zorro daher.

Das ungewöhnliche Ende der Oper soll hier nicht verraten werden. Fahren Sie also selbst nach Osnabrück und lassen Sie sich vom „Lied der Nacht“ betören wie das dortige Publikum. Denn schon in der Pause spürt man den Enthusiasmus des Osnabrücker Publikums für die Musik Hans Gáls: „Das ist ja total romantisch!“ und „Mein Gott, ist diese Musik schön!“ hört man beim Verlassen des Zuschauerraumes. Nach der Aufführung bricht sich die Begeisterung in tosendem Applaus Bahn.

In Osnabrück ist „Das Lied der Nacht“ beim Publikum angekommen. Man kann nur hoffen, das jetzt andere Bühnen nachspielen, denn dieses Werk bietet neben der starken Musik auch viele inszenatorische Deutungsmöglichkeiten.

Rudolf Hermes 18.5.2017

Bilder (c) Theater Osnabrück

Bitte unbedingt in diese tolle vergessene Musik mal reinhören:

Sinfonie Nr.1

Divertimento

Konzert für Klavier und Orchester

OPERNFREUND PLATTEN TIPP