Osnabrück: „Die Zirkusprinzessin“

besuchte Vorstellung: 07.12.2017, Premiere: 25.11.2017

TRAILER

Demontierte Operettenseligkeit

Liebe Opernfreund-Freund,

ein nicht ganz alltägliches Operetten-Juwel steht derzeit in Osnabrück auf dem Spielplan: „Die Zirkusprinzessin“ von Emmerich Kálmán, direkt nach dessen Erfolgsstück „Gräfin Mariza“ entstanden und 1926 im Theater an der Wien uraufgeführt, ist ein wunderbarer Melodienreigen, bei dem der ungarische Komponist gekonnt beschwingte Walzer, traumhafte Romanzen und Anklänge an russische Folklore miteinander verwebt.

Operettenhaft konstruiert ist auch die Handlung, die in Sankt Petersburg spielt: Der junge Fedja hatte sich vor Jahren in die Braut seines Onkels verliebt, der daraufhin seine militärische Karriere torpedierte, so dass er seither beim Zirkus als Magier „Mister X“ sein Dasein fristet. Nach dem Tod des Onkels ist Fedora Palinska ob ihres Vermögens umworbene Witwe und einer der verschmähten Verehrer, Prinz Sergius Wladimir, überredet „Mister X“, sich der Fürstin als vermeintlicher Prinz Korossow zu nähern. Sie verliebt sich in ihn und beide heiraten. Direkt nach der Eheschließung enthüllt Prinz Sergius, dass der Herr Gemahl ein Magier ist und diffamiert die Fürstin als Zirkusprinzessin. Fedora ist gekränkt und verstößt Fedja, doch in Wien treffen sich beide wieder und alles mündet natürlich in einem Happy End. „Ein amüsanter dritter Akt beschließt die immer noch beliebte Kálmán-Operette“, vermerkt der magere Wikipedia-Eintrag dazu.

Nicht so, wenn es nach der jungen Regisseurin Sonja Trebes geht, die man in Osnabrück mit der szenischen Umsetzung betraut hat. Sie traut dem Werk offensichtlich so wenig (zu), dass sie sich an einer Umdeutung versucht.

Von Anfang an hängt eine Spur Morbidität in der Luft, den gelungenen und farbenfrohen Kostümen, die Linda Schnabel für die Zirkuscrew entworfen hat, stehen Kittelschürzen im Zwiebellook und Pelzmützen gegenüber, wie man sie eher im sibirischen Hinterland denn im mondänen Sankt Petersburg erwarten würde. Der intrigante Prinz Sergius ist ein Patriarch der Russenmaffia, wird ständig von finster drein blickenden Gestalten mit Maschinengewehren begleitet und erschießt jeden ohne Vorwarnung, der nicht nach seiner Pfeife tanzt. Spätestens ab dem zweiten Akt demontiert Trebes die Operettenseligkeit, den Gäste des Prinzen, die eine Art Ostblock-Chic ausstrahlen, ist die Feierlaune verordnet. Da wirkt die Blumenwiese die Toni seiner Mabel (das Paar der Nebenhandlung) ausbreitet, wie ein Fremdkörper. In einem Zeitungsinterview erläuterte die Regisseurin vor der Premiere die Notwendigkeit der Umarbeitung des dritten Aktes, vorgeblich sei hier die Sprache besonders veraltet. Mich beschleicht indes der Eindruck, dass hier passend gemacht werden musste, was nicht in das Regiekonzept von Sonja Trebes gepasst hat. Herausgekommen ist ein müder, vor Trostlosigkeit strotzender Akt, da kann auch die wandelbare Bühne von Nanette Zimmermann nichts mehr retten. An dessen Ende verwehrt die Regisseurin dem Liebespaar zudem dadurch das Happy End, dass der Vorhang vorher fällt.

Der müden Umarbeitung des Finalaktes wird nur durch das beherzte Spiel von Johannes Bussler als schrulligem Kellner Pelikan und Cornelia Kempers, die in letzter Sekunde für die erkrankte Eva Gilhofer eingesprungen war, als herrlich grantelnder Wirtin Leben eingehaucht. Die beiden sind ein glänzendes Gespann und Genadijus Bergorulko, der schon zu Beginn des Abends als wunderbar überdrehter Zirkusdirektor und Herr im Kuriositätenballett zwischen bärtiger Frau und einarmiger Tänzerin in Erscheinung getreten war, gelang – von Wladimir Krasmann einfühlsam am Klavier begleitet – ein traumhaft bewegender Moment mit seiner russischen Weise. Gesanglich wird generell allerhand geboten an diesem Abend: Susann Vent-Wunderlich ist eine bühnenpräsente Sängerin, die die Titelfigur als verwöhnte Diva anlegt, die sich insgeheim nach Liebe sehnt. Ihr volle Sopran eignet sich dafür gut, fühlt sich aber in der ausdrucksstarken Mittellage hörbar am wohlsten. Ralph Ertel ist just von einer Erkältung genesen und hatte das sicherheitshalber ansagen lassen. Von stimmlicher Beeinträchtigung allerdings war nicht zu spüren und er konnte mit seinem charaktervollen und voluminösen Tenor dem geheimnisvollen Mister X ungehindert Profil verleihen. Jan Friedrich Eggers fiel hingegen eher durch sein überzeugendes Spiel auf, präsentierte seinen an sich klangschönen Bariton jedoch recht gestelzt. Mark Hamman ist ein grandioser Spieltenor, der sichtlich Freude an der Gestaltung des Toni Schlumberger hat. Seine Liebste Mabel findet in Gabriella Guilfoil eine ideale Gestalterin mit ausdrucksstarkem Mezzo voller dunkler Tiefe.

Die ausgezeichneten Tänzerinnen und Tänzer sorgen zwischendurch immer wieder einmal für Kurzweil (Choreographie: Rachele Pedrocchi) und der oft präsente Chor, von Markus Lafleur betreut, meistert seine umfangreiche Aufgabe glänzend. Aus dem Orchestergraben klingt pures Operettenglück. Daniel Inbal präsentiert Kálmáns Mixtur aus schmachtenden Romanzen, beschwingten Walzern und folkloristischen Einsprengseln gekonnt, mit Witz und voller musikalischer Begeisterung und sorgt so zusammen mit den Darstellern auf der Bühne dafür, dass ich Ihnen den Besuch dieser Produktion trotz handwerklicher Schwächen der Regisseurin dann doch empfehlen kann.

Ihr Jochen Rüth / 9.12.2017

Die Fotos stammen von Jörg Landsberg.