Im Jahre 1912 kam es zu einem der dramatischsten Unglücke des 20. Jahrhunderts: Der Untergang der RMS Titanic auf der Jungfernfahrt von Southampton nach New York, nachdem das Schiff im Atlantik mit einem Eisberg kollidierte. Von den 2.207 Personen an Bord überlebten nur 712 Menschen. Im April 1997, entsprechend einige Monate vor dem weltweiten Filmerfolg zu dieser Katastrophe, feierte am New Yorker Broadway das Titanic-Musical von Maury Yeston seine Premiere. Ein Musical, welches mit einer der schönsten Partituren, die je für die große Musicalbühne geschrieben wurden, ausgestattet ist. Basiert auf den vielen verschiedenen Schicksalen der Menschen an Bord des Schiffes, die in diesem Stück möglichst detailgetreu wiedergegeben werden, ist es weit weg von der allseits bekannten Hollywood-Liebesgeschichte. Stattdessen wird der Zuschauer mitgenommen auf die Reise der Passagiere und der Besatzung des Schiffes, stets in dem Bewusstsein, was am Ende passieren wird. Das Musical erzählt von den Schicksalen und Träumen einzelner Passagiere des Unglücksdampfers und stellt die damals herrschenden Klassenunterschiede in den Mittelpunkt der Erzählung. Während im Speisesaal der ersten Klasse die feinsten Speisen serviert werden, träumen irische Emigranten im Unterdeck der dritten Klasse von einem neuen Leben im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Gleichzeitig will der Schiffseigner J. Bruce Ismay einen neuen Geschwindigkeitsrekord für die Atlantik-Überquerung aufstellen, um für ein entsprechendes Presseecho zu sorgen.
Nach She Loves Me und Anything Goes ist TITANIC – Das Musical die inzwischen dritte große Zusammenarbeit zwischen dem Theater und Konzerthaus Solingen und der Folkwang Universität der Künste. Auf Grund der Komplexität und der erforderlichen hohen Personenzahl eine echte Mammutaufgabe, die mit größter Bravour gemeistert wurde. Die Studierenden der Folkwang im Studiengang Musical aus den Abschlussjahrgängen 2024 und 2025 zeigen einmal mehr, von welch hoher Qualität die dortige Ausbildung zeugt. Während der Abschlussjahrgang 2025 eher kleinere Partien übernimmt, können die sechs Absolventen des Abschlussjahrgangs 2024 in den größeren Rollen ihr Talent voll ausspielen. Gesanglich stark zeigt sich der Jahrgang bestehend aus Maximilian Aschenbrenner (u. a. Ausgucker Frederick Fleet), Antonia Kalinowski (neugierige 2. Klasse Passagierin Alice Beane), Tamara Köhn (u. a. Millionärin Charlotte Cardoza), Til Ormeloh (Heizer Frederick Barrett), Julius Störmer (u. a. Funker Harold Bride) und Friederike Zeidler (u. a. irische Auswanderin Kate McGowan). Hinzu kommen renommierte Gäste aus der Musicalszene und traumhaft aufspielende Bergische Symphoniker, die dem opulenten Werk unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Wilger zu einem wahrlich vollen Klang verhelfen. Da es sich um ein großes Ensemblestück handelt, wird auch der Theaterchor Solingen unter Leitung von Tobias Deutschmann entsprechend groß in die Produktion eingebunden. Unter die weiteren – in jeder Rolle überzeugenden – Darsteller gesellen sich auch ehemalige Folkwang-Studenten aus den verschiedensten Jahren, u. a. Oliver Morschel, Dirk Weiler, Florian Minnerop und Frank Oppermann. Die große Stärke dieser Produktion ist auf musikalischer Ebene allerdings unstrittig eine eindrucksvolle Ensembleleistung, die bei der Premiere in Solingen nachhaltig beeindruckt.
Regisseur Till Kleine-Möller kann sich entsprechend in seiner Inszenierung voll auf die vom Libretto vorgesehene Vorstellung der einzelnen Charaktere fokussieren und entsprechend wird auf unnötiges Beiwerk weitestgehend verzichtet. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die auf ganzer Linie überzeugen. Im Hintergrund erscheint immer wieder ein Grundriss des Schiffes auf dem digital die einzelnen Räumlichkeiten in Form eines Lageplanes dargestellt werden (Videoprojektion: Grigory Shklyar). Die Raumwechsel zwischen den einzelnen Szenen erfolgen hierbei in einer so hohen Geschwindigkeit, so dass sich die Darstellung zu einer Art Datenautobahn entwickelt, ein perfekt passendes Bild für den Aufbruch in eine neue Zeit, damals wie auch heute. Das Bühnenbild von Britta Tönne besteht, wie bei einer Titanic-Inszenierung üblich, aus mehreren Schubelementen, die geschickt arrangiert die einzelnen Räumlichkeiten gut abbilden und im Gesamtkonstrukt den großen Passagierdampfer ergeben. Besonders rührend ist die Darstellung des letzten Rettungsbootes, welches beim Ablegen die verbliebenen Passagiere dem Tode geweiht auf der Titanic zurücklässt. Gelungen auch, wie das Rettungsboot hierbei sanft über die Bühne gleitet. Kleines Manko der Inszenierung ist lediglich das Schlussbild des ersten Aktes, dem es bei der Premiere deutlich an Durchschlagskraft fehlt. Die Kollision mit dem Eisberg wirkte hier leider alles andere als bedrohlich. Dies ist allerdings auch der einzige kleine Schönheitsfehler in einer ansonsten wunderbaren Musicalproduktion, die am Ende von den anwesenden Zuschauern frenetisch bejubelt wurde.
Leider wird dieses Musical immer wieder vollkommen unterschätzt. Dabei kann man in Solingen einmal mehr erleben, wie gelungen auch die deutsche Übersetzung Wolfgang Adenberg ist und warum Titanic – Das Musical seinerzeit mit fünf Tony-Awards ausgezeichnet wurde, u. a. für das beste Musical, die beste Musik und das beste Musicallibretto. Ein Besuch kann an dieser Stelle uneingeschränkt empfohlen werden, allerdings sind in Solingen lediglich zwei weitere Vorstellungen an diesem Wochenende zu sehen. Es folgen zwei Gastspieltermine in Leverkusen und Remscheid.
Markus Lamers, 11. Mai 2023
TITANIC – Das Musical
von Maury Yeston
Theater und Konzerthaus Solingen
in Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste
Besuchte Premiere: 10. Mai 2023
Inszenierung: Till Kleine-Möller
Bühne & Kostüme: Britta Tönne
Videoprojektionen: Grigory Shklyar
Musikalische Leitung: Wolfgang Wilger
Bergische Symphoniker
Weitere Termine: 12. Mai, 13. Mai, 16. Mai (Leverkusen), 20. Mai (Remscheid)