Würzburg: „Des Teufel Lustschloss“, Franz Schubert

Vorstellung am 05.04.13, Premiere: 16.02. 2013

Umdeutung eines Frühwerks der Schauerromantik

Franz Schubert hat als Opernkomponist nicht reussiert, obwohl er zehn Bühnenwerke fertig gestellt hat, von denen denn auch nur drei zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden. Auch seine erste Oper „Des Teufels Lustschloss“, die er auf ein Libretto von August von Kotzebue unter der Aufsicht seines Musiklehrers Antonio Salieri schrieb, hat er nie sehen können. Salieri hatte an der Erstfassung noch etwas auszusetzen; das fleißige 16-jährige Franzl verfasste dann sogleich eine vollständig überarbeitete zweite Version. Aufgeführt wurde die Oper (wie etliche andere seiner Werke) zu seinen Lebzeiten nicht, sondern erst 1978 am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Die Würzburger Inszenierung ist seither erst die fünfte.

Das Ganze war auch ein großes Missverständnis. Denn von Kotzebue hatte sein Libretto als eine Parodie auf die „Zauberopern“ geschrieben, die seit Mozarts Zauberflöte en vogue waren, deren Popularität aber schon im Abflauen war, da sie – inhaltlich und musikalisch vielfach uninteressant – nur als Vehikel konstruiert waren, die Menschen in die Theater mit ihren „zauber“haften Bühnenmaschinerien zu locken. Schubert hat die parodistische Absicht des Kotzebue-Librettos nicht umgesetzt, sondern eine der ersten, wenn nicht die erste Oper der Schauerromantik komponiert. Daher ist das Werk wohl auch vom Mainfrankentheater ins Programm genommen worden, weil man das schon seit langem Raritäten der Schauerromantik als Teil einer langjährigen Programmpolitik wieder vorgestellt hat – bis hin zum wohl letzten Werk dieses Genres: „Herz“ von Hans Pfitzner.

Erik Fenton (Franz Schubert/Ritter Oswald); Silke Evers (Luitgarde)

Dem Kotzebue-Stück liegt ein Trivialmythos mit linearer Handlung zugrunde: der verarmte Ritter Oswald hat Luitgarde, die Tochter einer wohlhabenden Familie geheiratet – gegen deren Willen. Das Paar ist zusammen mit dem Diener Robert unterwegs und gerät in ein Gespensterschloss, in welchem es sich bedrohlichem Spuk und Versuchungen ausgesetzt sieht. Im kulminierenden Punkt des albtraumartigen Geschehens stellt sich heraus, dass Luitgardens Vater alles arrangiert hat, um den Schwiegersohn einer Prüfung zu unterziehen. Er besteht die: lieto fine! Eine Prüfungsoper also, die zwischen Klassik und frühbürgerlicher Romantik steht. Wenn man sie an dem kruden Libretto entlang inszenierte, würde sie wohl nur ein müdes Lächeln hervorrufen, es sei denn man machte ein Musical daraus. Also muss man, wenn vorhanden, psychologische Tiefe ergründen und offenlegen oder den parodistischen Charakter des Werks auf die Bühne bringen. Der Regisseur Peter Pachl geht aber einen dritten Weg. Die Handlung des Stücks wird kurzerhand knapp über der Wurzel abgeschlagen und die Oper in eine ganz andere Geschichte transponiert, in der nur noch Bruchstücke der ursprünglichen Handlung vorkommen und dort auch nur grotesk oder skurril thematisiert werden. Das ist nicht immer verständlich, auch nicht nur spannend, aber immer unterhaltsam.

Anna Nesyba (Zweite Krankenschwester); Liegend: Erik Fenton (Schubert); Mitglieder der Komparserie

Pachl schreibt ein neues Stück, in welchem der todkranke Schubert am Ende seines Lebens in einem Krankenhaus gequält wird. Er ist der Held Oswald, seine Luitgarde die erste Krankenschwester, der Knappe Robert sein Freund Franz von Schober. Von Schober bringt seinem Freund ein Libretto von „Des Teufels Lustschloss“ mit. Schubert ist besessen, es zum dritten Mal zu komponieren. Aber Krankenpfleger versuchen, seine kompositorische Betätigung zu unterbinden. Das Krankenhauspersonal quält Schubert mit allen denkbaren Folterinstrumenten, die aber inszeniert werden, als handele es sich um Molières „Le Malade“. Wie Mephisto den Faust auf den Blocksberg führt, zieht von Schober seinen Freund nach Wien in den Wurstelprater. Da wird nun der Spuk aus des Teufels Lustschloss als Klamauk eines Rummelplatzes erlebbar – teilweise albtraumartig. Eine Amazone will den im Krankenleibchen auftretenden Komponisten zu sich ziehen, Luitgarde tritt in allen möglichen Formen auf – bis hin zur Prostituierten. Schubert findet sein Portrait auf eine Schießscheibe wieder und als Medaillon oben auf einem Haut den Lukas usw. In Ansätzen ist erkennbar, dass die Inszenierung auch als Künstleroper mit Schuberts Rückblick auf sein unerfülltes Privatleben und die problematische Aufnahme seiner Musik zu seinen Lebenszeiten gemeint sein kann.

Joshua Whitener (Erster Krankenpfleger); Sile Evers (Luitgarde); Johan F. Kirsten (Zweiter Krankenpfleger/Ausrufer/Oheim)

Die Dialoge musste der Regisseur in seiner als „Neufassung“ bezeichneten Inszenierung sämtlich streichen; sonst hätte man sich wohl an den Kopf fassen müssen. Seiner Fantasie scheinen indes keine Grenzen gesetzt zu sein. Videos vervollkommnen das sehr bunte Geschehen, für das Robert Pflanzl die gesamte Ausstattung erstellt hat. Man beginnt mit einer ziemlich leeren Bühne, auf der das Krankenbett des Helden auf einem leicht erhöhten Podium steht. Nach Beginn der Sause werden von oben die entsprechenden Zutaten heruntergelassen: Schießbude, Toboggan, Geisterbahn uam. Aber auch Schuberts Grab ist aufgebaut und eine Guillotine, denn schließlich soll er zum Schein hingerichtet werden. Dazu erklingt aus dem Graben allerdings eine Musik, die leicht hörbar etwas ganz anderes verkündet: eine Oper aus der anbrechenden Romantik. Einen real existierenden Sinn in das Geschehen auf den zwei Ebenen von Sterbebett (oder auch Irrenhaus) und Vergnügungswelt (oder auch Zauberwelt) bringen zu wollen, bietet sich nicht an. Der Regisseur hat in seiner Neufassung des Schubert-Werks eine unglaubwürdige Geschichte durch eine andere ersetzt, welche aber in einer Weise bebildert werden kann, die heutigen Sehgewohnheiten besser entspricht: Effekte von Klamauk bis Trash entsprechend der Theatermaschinerie einer Zauberoper vor 200 Jahren. Und wie damals ist diese Inszenierung dann alles Mögliche, aber eines nicht: intellektuell.

Karen Leiber (Amazone); Daniel Fiolka (von Schober); Erik Fenton (Schubert); Mitglieder des Opernchors und der Komparserie

Schubert hat im Duktus seiner frühen, klassizistischen Werke eine hübsche eingängige Musik dazu geschrieben, die er überwiegend in einfache Formen gesetzt hat. Der betonte Einsatz des Blechs und die dichte Instrumentierung mit ansprechenden Klangmischungen verweisen schon auf die Meisterschaft des späteren Schubert. Der GMD Enrico Calesso setzt das mit seinem Philharmonischen Orchester Würzburg recht gekonnt um und lässt mit dem bis auf einige Unkonzentriertheiten präzise und gleichzeitig schwungvoll aufspielenden Orchester die Partitur inspiriert aus dem Graben erklingen. So gelingt es ihm einigermaßen, den Wert der Partitur gegen den Bühnenklamauk zu behaupten. Schön eingebunden erschien auch der Opernchor. Damen und Herren traten erst nur getrennt auf, dann zusammen, sangen aber nur abwechselnd. Erst zum Schluss kam es zu beeindruckendem gemeinsamen Chorgesang (Einstudierung: Markus Popp)

Auffällig ist die große Anzahl der Ensembles in der Oper, bei denen die Gesangssolisten ebenso wiebei ihren Soli eine respektable Leistung erbrachten. In der „Neufassung“ der Oper hätte das Werk an sich „Franz Peter Schubert“ heißen müssen, dessen Titelrolle von Erik Fenton als Gast verkörpert wurde. Er brachte die Partie mit kraftvollem, baritonal eingefärbtem jugendlichem Heldentenor; in hoch gelegenen Passagen und bei den Spitzentönen gelang ihm indes nicht alles. Mit attraktiver Bühnenerscheinung war Silke Evers in der Rolle der Ersten Kranken-schwester&Luitgarde zu hören und gab die Rolle mit schlankem Sopran und klaren Höhen. Schildknappe& Franz von Schober war Daniel Folka als jugendlicher hell timbierter Bariton. Als Amazone (in dieser Inszenierung „Tödin“) war Karin Leiber besetzt; sie konnte mit dunklerem Sopran aufregend und dramatisch auftrumpfen. Als Henker/“Erster Kranken-pfleger“ wusste Joshua Whitener mit gut fokussiertem kräftigem und klarem Tenor zu gefallen. Den Oheim (auch „Zweiter Krankenpfleger“) gab Johan F. Kirsten stimmkräftig mit rundem Bass.

Fazit: Ein interessantes Experiment des Mainfrankentheaters; letztlich trotz etlicher Schwächen im Werk und in der Inszenierung auch als gelungen zu bezeichnen, aber kein nachhaltiger Beitrag zur Wiederbelebung von Schuberts Frühwerk. Das Publikum hat die Produktion angenommen: das Haus war sehr gut besucht, der Beifall lang anhaltend. Nun gibt es diese Produktion nur noch am 07.04. 26.04. und am 26.05. am Mainfrankentheater.

Manfred Langer, 07.04.13
Fotos: Falk von Traubenberg