Besuchte Aufführung: 25. 2. 2014 (Premiere: 15. 2. 2014)
Bieder, aber nie langweilig
Wer kennt sie nicht, die prägnant mit einem Trommelwirbel beginnende Ouvertüre von Rossinis „ La gazza ladra“, zu deutsch „Die diebische Elster“. Sie erfreut sich zurecht großer Beliebtheit. Wer aber immer nur das Vorspiel zu dieser Oper hören will, wird Rossini nicht gerecht. Dass auch die restliche Musik dieses am 31. 5. 1817 an der Mailänder Scala aus der Taufe gehobenen Werkes, das u. a. auch einen Stendhal begeisterte, ihre Qualitäten hat, wurde bei der Neuproduktion des Werkes am Theater Würzburg offenkundig. Bei diesem reizvollen Stück handelt es sich heute eher um eine Rarität, für deren Ausgrabung man dem Würzburger Intendanten Hermann Schneider dankbar sein kann. Es handelt sich um eine semiseria, was man mit halbernster Oper übersetzen kann. Diese Gattung hat allgemein ein ernstes, zeitgenössisches Thema zum Inhalt, das mit heiteren Elementen und komisch anmutenden Figuren angereichert wird.
Giulia Bolcato (Ninetta), Chor
Und letztere sucht man in dieser Produktion nicht vergebens. Es handelt sich um die erste Regiearbeit des seit der Spielzeit 2011/12 als Regieassistent und Abendspielleiter am Würzburger Theater engagierten Andreas Beuermann. Die Vorzüge dieses jungen Regisseurs sind sicher seine trefflichen handwerklichen Fähigkeiten. Die ausgeprägte Personenführung sowie sein Hang zu ausgeprägter, liebevoller Detailarbeit stellen das große Plus seiner Inszenierung dar. Dass es unter seiner Ägide auf der Bühne an keiner Stelle langweilig wurde oder sonstwie szenische Leerläufe entstanden, entschädigt etwas für seine im Übrigen altbacken anmutende Umsetzung des Stoffes. Dem neugierigen, modern eingestellten Intellekt wird nichts geboten.
Johan F. Kirsten (Podestà), Chor
Beuermann beschränkt sich auf eine insgesamt eher biedere und unaufdringliche Erzählweise, wobei er das Geschehen in der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege belässt, es aber zusammen mit seinem Bühnenbildner Herbert Buckmiller auf den Dorfplatz eines idyllischen Weinortes verlegt. Die Geschichte von dem unschuldigen Mädchen, das für einen in Wirklichkeit von einer Elster begangenen, geradezu läppisch erscheinenden Diebstahl eines Essbesteckes hingerichtet werden soll, kam dem Publikum von 1817 realistisch vor. Die Handlung beruht auf einer wahren Begebenheit, die allerdings für die angeklagte Dienstmagd tödlich endete. Heutige Zuschauer mögen den Stoff eher absurd finden und darüber den Kopf schütteln. Dieses Paradigmenwechsels in der Bewertung des Stoffes ist sich der Regisseur wohl bewusst und verfrachtet daher die Handlung kurzerhand in die Welt des Märchens. Die Legitimation dafür liefern ihm durchaus zutreffende Ähnlichkeiten zu einigen von den Brüdern Grimm kreierten Gestalten. So identifiziert er die falsch verdächtigte Ninetta mit der Protagonistin aus den „Sterntalern“ und macht aus dem sie begehrenden Podestà ein besonders schmieriges Exemplar eines bösen Herrschers im Märchen.
Sonja Koppelhuber (Pippo), Ivan Alboresi (Elster)
Auch im Chor erblickt man so manche Märchengestalt. Die von Götz Lanzelot Fischer nach Art des Biedermeier eingekleidete Dorfbevölkerung setzt sich aus mannigfaltigen Spießbürgern, Pfarrern, Bäckern, Jägern und sogar Hexen zusammen. Der Kurzwarenhändler Isacco wird als Clown dargestellt. Teilweise mit extremen Knollennasen versehen und durchweg sehr grell geschminkt, stellen diese Leute lediglich Zerrbilder dar, Figuren und nicht Menschen. Als Charaktere ernst genommen werden in diesem Ambiente lediglich Ninetta, ihr Verlobter Giannetto und ihr Vater Fernando Villabella. Alle anderen, sämtlich recht drollig und überzeichnet wirkenden Personen sind Geschöpfe der Karikatur. Diese Übertreibung in der Erscheinungsform hatte wohl den Sinn, die Distanz zwischen Realismus und Märchen nachhaltig herauszustellen. Das ist durchaus legitim, ebenso die Gegenüberstellung des von Ninetta verkörperten Altruismus mit dem durch den Podestà verkörperten Egoismus. Fast ständig präsent ist die von einem Tänzer verkörperte Elster, deren Rolle vom Regisseur erheblich aufgewertet wird.
Daniel Fiolka (Villabella), Giulia Bolcato (Ninetta)
Wunderbar war die musikalische Seite der Aufführung. Mit Giovanni Battista Rigon stand ein ausgemachter Rossini-Experte am Pult, dessen hohe Kompetenz in Sachen Rossini dann schnell offenkundig wurde. Bereits während des Vorspiels wurde klar, dass das von Seiten des Dirigenten her ein ganz großer Abend werden würde. Rigon wurde jeder Facette von Rossinis Partitur voll gerecht und präsentierte die Musik in all ihrer aufgedrehten Turbulenz rasant und spritzig, ließ das prächtig und dynamisch stets ausgewogen aufspielende Philharmonische Orchester Würzburg aber schon auch mal bedächtige Zwischentöne anschlagen. Auch in der Gegenüberstellung von feinen Lyrismen und dramatischem Impetus zeigte er sich sehr versiert. Das war eine Meisterleistung!
Sonja Koppelhuber (Pippo), Giulia Bolcato (Ninetta)
Die gesanglichen Leistungen bewegten sich auf unterschiedlichem Niveau. Giulia Bolcato (Gastsängerin für die nach wie vor kranke Silke Evers), die gerade ihr Studium beendet hatte, gelang als Ninetta ein fulminanter Einstand am Mainfranken Theater. Schon darstellerisch wurde sie mit ergreifendem Spiel ihrer Rolle gut gerecht. Auch gesanglich wusste sie mit ihrem in jeder Lage bestens focussierten, leicht und geschmeidig ansprechenden Sopran voll zu überzeugen. Neben ihr vermochten insbesondere die tiefen Männerstimmen nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. Über einen kernigen, ebenfalls hervorragend focussierten Bariton italienischer Schulung verfügte der junge Daniel Fiolka, der mehr wie der Bruder als der Vater Ninettas wirkte. Schauspielerisch köstlich war auch der Podestà von Johan F. Kirsten, der seinen Part mit sonorem, tiefgründigem Bass und perfekter italienischer Technik zudem hervorragend sang. Barbara Schöller gab mit solide sitzendem Mezzosopran die Lucia, wurde aber von ihrer munter und beherzt spielenden sowie trefflich fundiert, wendig und flexibel singenden Stimmfachkollegin Sonja Koppelhuber in der Hosenrolle des Pippo noch übertroffen. Von David Hieronimis Giorgio hätte man gerne mehr gehört. Nicht unschönes Tenormaterial nennt Joshua Whitener sein Eigen. Wenn er in der Partie des Giannetto dennoch einen zwiespältigen Eindruck hinterließ, lag das daran, dass er insbesondere in der Höhe immer wieder vom Körper wegging. Die extremen Spitzentöne waren alles andere als gefällig. Stimmlich noch unfertig mutete auch der flach und halsig singende Taiyu Uchiyama als Fabrizio Vingradito an. Überhaupt nicht zu gefallen vermochte der den Isacco extrem grell und maskig gebende Fabian Christen. Mit ebenfalls nur flacher Stimme stattete Kenneth Beal den Kerkermeister Antonio aus. Als Amtsrichter war Hyeong-Joon Ha zu erleben. In der Titelrolle rundete Ivan Alboresi aus dem Tanzensemble das Ensemble ab. Eine in jeder Beziehung ansprechende Leistung erbrachte der von Michael Clark gewissenhaft einstudierte Chor.
Ludwig Steinbach, 26. 2. 2014
Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg.