Würzburg: „Lohengrin“

Besuchte Aufführung: 3. 11. 2013, (Premiere: 29. 9. 2013)

Fragwürdige Vordergründigkeit

Sie stellt nicht gerade einen Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte dar, die von Kurt Josef Schildknecht entwickelte Neuinszenierung von Wagners „Lohengrin“ am Mainfrankentheater Würzburg. Musikalisch und gesanglich bewegte sich die Aufführung auf hervorragendem Niveau, szenisch ist sie indes nicht sonderlich gelungen. Entstanden ist die von dem Würzburger Richard-Wagner-Verein unterstützte Produktion in Zusammenarbeit mit dem Kroatischen Nationaltheater in Zagreb, wo das von Rudolf Rischer entworfene Bühnenbild und die von Götz-Lanzelot Fischer entworfenen Kostüme geschaffen wurden. Premiere in Zagreb war im vergangenen Frühling. Nun ist die Inszenierung auch in Würzburg herausgekommen.

Dass sie letztlich keinen bleibenden Eindruck hinterließ, ist beredter Ausfluss von Schildknechts allzu konventioneller, nicht gerade aufregender Herangehensweise an das Stück. Ihm kommt es in erster Linie auf eine Betonung des ästhetischen Elements an. Wie weiland Wieland Wagner in Bayreuth hüllte er den Bühnenraum in ein herrliches Blau, wobei er sich an Friedrich Nietzsches Postulat anlehnte, die Musik des „Lohengrin“ sei „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“. Schön war dieser äußere Rahmen sicher. Was sich in diesem Ambiente abspielte, war indes nicht gerade geeignet, Begeisterung hervorzurufen. Werktreu wollte Schildknecht sein und das Publikum mit einer „normalen“ Regie erfreuen. Neues hatte er nicht zu bieten, den neugierigen Intellekt vermochte er nicht zu befriedigen, obwohl es diesbezüglich durchaus Ansätze gab. Wenn er der Kunst den Primat vor der Politik zuweist, entspricht das Wagners eigener Interpretation des Werkes. Lohengrin als einsamer, verkannter Künstler: Ein stimmiger Ansatzpunkt – das hat man aber beispielsweise in Nikolaus Lehnhoffs Baden-Badener Interpretation des Stückes von 2006 prägnanter umgesetzt gesehen.

Schärfer muteten die von Regisseur und Bühnenbildner geschaffenen Bezüge zum schwärzesten Kapitel der deutschen Geschichte an: dem Nationalsozialismus. An diesen gemahnte die praktisch die gesamte Bühne einnehmende blockartige Treppenlandschaft samt Rednerpult, mit der wohl der Eindruck eines Reichsparteitagsgeländes heraufbeschworen werden sollte. In die NS-Zeit weisen auch die schwarzen, faschistisch geprägten Kostüme der Brabanter. Damit bezieht Schildknecht gekonnt ein Stück Rezeptionsgeschichte der Oper in seine Deutung mit ein und warnt vor einem Missbrauch des Stückes, wie er insbesondere bei den Bayreuther Festspielen 1936 offenkundig wurde. Die Treppenflucht ist vorwiegend dem Chor vorbehalten, der praktisch nur untätig herumsteht und als Kommentator des Geschehens wirkt. Die Handlungsträger werden zumeist auf den vorderen Teil des Raumes verbannt, dessen wenig großen Dimensionen das Bühnenbild nicht gerade entspricht. Da stellt sich manchmal schon eine etwas einengende Wirkung ein.

Im Übrigen bewegte sich Schildknechts Regiearbeit leider in überholten, ausgetretenen Pfaden, die in ihrer Gesamtheit wenig ansprechend waren und teilweise etwas überzogen wirkten. Nicht Charaktere stehen im Vordergrund, sondern Figuren. Lohengrin erscheint traditionell in silbernem Outfit. Bei der blond und im blauen Kleid auftretenden Elsa sowie der dämonisch gezeichneten, ein schwarzes Gewand tragenden rothaarigen Ortrud begnügt sich der Regisseur mit einer nichtssagenden, simplen Schwarz-Weiß-Malerei. Den Solisten legt er nicht nur einmal altbackene Sängergesten auf. So darf Elsa bei jeder passenden Gelegenheit die Arme ausbreiten. Und die auf Stäbe gespießten Köpfe eines Raben und eines Luchses, die zusammen mit einem Totenschädel die von Ortrud angebeteten „entweihten Götter“ Wotan und Freia symbolisieren, entlocken nur ein müdes Lächeln. Selbstredend darf bei Schildknecht auch ein Schwan nicht fehlen. In seinem „Plädoyer für den Schwan“ ist er sich ganz mit dem von ihm anscheinend hoch geschätzten Joachim Kaiser einig. Der von beiden als für das Stück unverzichtbar angesehene edle Vogel wird im ersten Aufzug in einer Spiegelpyramide sichtbar, die sich in einem Verschlag befindet, der den ganzen Abend über verschiedene Funktionen erfüllt.

Im ersten Aufzug tritt Lohengrin aus ihm hervor, im zweiten Akt dient er als Garage für Ortruds rituellen Zaubergegenstände. Im dritten Aufzug ist vor ihm das Brautbett aufgebaut, das bis zum Schluss auf der Bühne bleibt. Im der Brautgemachszene erreicht die Regie einen Tiefpunkt. Die Beziehung der unbedarft mit kitschigen Blumen hantierenden Liebenden erfährt keine tiefergehende Beleuchtung und der Grund, warum Elsa schließlich die verbotene Frage doch stellt, bleibt unklar. Sie tut es nicht aus einer sichtbaren inneren Begründung heraus, sondern einfach nur, weil Wagner es vorschreibt. Hier verliert sich alles im Ungefähren. Am Ende nimmt der kleine Gottfried in Siegerpose mit erhobenem Schwert von seiner Schwester überhaupt keine Notiz. Auch das bricht ihr das Herz. Zu den Schlusstakten bricht dann alles tot zusammen. Auch dieser Einfall ist nicht mehr neu. Das hat man in Frank Hilbrichs genialer Freiburger Produktion des Stückes ähnlich gesehen, dort indes mit einer besseren Begründung. Insgesamt blieb der Regisseur hier vieles schuldig. Was er geboten hat, war ziemlich vordergründig.

Musikalisch sah die Sache erheblich besser aus. Enrico Calesso dirigierte Wagners Werk nicht visionär abgehoben, sondern präsentierte es zusammen mit dem Philharmonischem Orchester Würzburg in zügigen, vorwärtsdrängenden Tempi packend, bodenständig und mit intensiver, prägnanter Ausdrucksdichte. Die dramatische Spannungslinie wurde von ihm perfekt aufgebaut sowie mit prägnanten Akzenten versehen, wobei er auch Pathos nicht scheute, wenn das nur berechtigt war, so z. B. am Ende des ersten Aufzuges.

Auch gesanglich bewegte sich die Vorstellung auf hohem Niveau. Zwar erwies sich Scott MacAllister von seinem Äußeren her nicht gerade als idealer Lohengrin. Stimmlich war er aber viel überzeugender. Er setzte weniger auf Dramatik als vielmehr auf die ausgeprägten lyrischen Qualitäten seines gut gestützten, klar und frisch klingenden Tenors. Neben ihm bewährte sich in der Rolle der Elsa Karen Leber, die ihrem bestens sitzenden, tiefgründigen dramatischen Sopran sowohl eindrucksvolle dramatische Attacken, aber auch lyrische Empfindsamkeit und herrliche Piani zu entlocken wusste. Ihr war die ebenfalls gut gestützt und fulminant singende Ortrud von Ruth-Maria Nicolay eine ebenbürtige Gegenspielerin.

Frank van Hove bewältigte mit seinem schön italienisch geführten hellen Bass die unangenehm hoch liegende Tessitura des König Heinrich gut. Ein markant singender Heerrufer war Daniel Fiolka. Die beste Leistung des Abends ist Joachim Goltz zu bescheinigen, der mit seinem prächtig geführten klangvollen Bariton italienischer Schulung, der über große Durchschlagskraft und enormes Ausdruckspotential verfügt, eine Idealbesetzung für den von Ortrud manipulierten Telramund darstellte. Von den vier Edlen fiel der dünnstimmige Ivan Dantschev gegenüber den tadellos singenden David Hieronimi, Ji-Su Park und Herbert Brand deutlich ab. Als Edelknaben waren Anja Gutgesell, Anke Endres, Varvara-Paraskevi Biza und Sonja Koppelhuber zu erleben. Als Gottfried vermochte der junge Moritz Siebert zu gefallen. Gefällig präsentierte sich der von Sören Eckhoff (Bayerische Staatsoper) und Michael Clark trefflich einstudierte Chor.

Fazit: Eine in szenischer Hinsicht entbehrliche, vom Musikalischen und Stimmlichen her aber sehr zu empfehlende Aufführung.

Ludwig Steinbach, 6. 11. 2013

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg