Premiere: 10.10.2021, besuchte Vorstellung: 13.11.2021
Mal nicht von Shakespeare…
Lieber Opernfreund-Freund,
Vincenzo Bellini hat neun Opern komponiert, ist hierzulande auf der Opernbühne regelmäßig jedoch nur mit seiner Norma vertreten; ab und an verirren sich noch Sonnambula oder die Puritani an deutsche Theater. Deshalb allein lohnt es sich, sich die Würzburger Produktion seiner von Shakespeare unabhängigen Version des Romeo-und-Julia-Stoffes anzusehen. I Capuleti e i Montecchi wird zudem Dank der Interpretinnen der beiden Hauptfiguren zum echten Erlebnis.
Eigentlich hätte Giovanni Pacini 1830 das Libretto von Felice Romani für das Teatro La Fenice in Venedig vertonen sollen, hatte aber kurzfristig abgesagt. Um den Kompositionsauftrag in kurzer Zeit erfüllen zu können, verwertete Bellini große Teile seiner glücklosen, im Jahr zuvor durchgefallen Zaira und recycelte zudem die große Arie Dopo l’oscuro nembo aus seinem Erstling Adelson e Salvini, die bis heute als verschlanktes O quante volte zur wohl bekanntesten Melodie von I Capuleti e i Montecchi zählt, zu knapp zwei Stunden voll eingängiger, zu Herzen rührender Musik. Dass das Werk trotz seiner bekannten Geschichte keinen Eingang ins Repertoire gefunden hat, mag, wie so oft, am vergleichsweise schwachen Libretto liegen. Romani bezieht sich auf mehrere italienische Vorlagen, die auch Shakespeare als Inspiration dienten, erreicht aber nicht die emotionale Wucht des englischen Dramas, da er, wie der Operntitel schon vermuten lässt, den Fokus eher auf den Familienzwist als auf die Liebesgeschichte der beiden Sprösslinge legt. Und dennoch ist die Story nahezu gleich: Romeo aus dem Hause der Montagues hat ein Mitglied des Hauses Montague getötet, in diesem Falle den Sohn von Familienoberhaupt Capellio. Julia (hier Giulietta) soll mit Tebaldo zwangsverheiratet werden, Romeo versucht wiederholt vergeblich, sie zur Flucht zu bewegen. Erst die List des Vertrauten Lorenzo überzeugt Giulietta, mit einem Trank ihren Tod vorzutäuschen – und das bekannte Drama nimmt seinen Lauf.
Mario Pavle del Monaco s Inszenierung, die nun coronabedingt mit Verspätung in der Ausweichspielstätte des Mainfrankentheaters Würzburg, der Theaterfabrik Blaue Halle zu sehen ist, vermag die dramaturgischen Schwächen der Vorlage nicht zu heilen; eigene Ideen verstärken sie sogar, da die Einfälle des jungen serbisch-italienischen Regisseurs mit begnadetem Tenorgroßvater, berühmten Regisseuronkel und zumindest nicht unbekannter Mezzosopranistin als Mutter mitunter unerklärt bleiben. So zeichnet er den Vater Capellio als brutalen, seine Tochter prügelnden Despoten, das macht aber Julias Zögern bei Romeos Fluchtgedanken noch weniger plausibel. Und warum am Ende Tybalt Julia erschießt, anstatt dass sie sich selbst tötet, ob aus Notwehr, aus Rache oder, weil er sie vor dem Schicksal der Hölle bewahren will, das ihr als Selbstmörderin droht, bleibt sein Geheimnis. Dafür besticht er mit gekonnter Personenführung, lässt die Bühne raumgreifend bespielen und setzt hervorragende Licht- und Schatteneffekte ein. Die unbestimmt in der Gegenwart verorteten Kostüme von Julia Katharina Berndt sind ebenso nüchtern wie die Bühnenaufbauten von Catharina Bornemann, was zumindest gut zur kalten Atmosphäre passt, die del Monaco im Hause Capulet zeichnet. Wärme entsteht in dieser Romeo-und-Julia-Version nur durch die hervorragenden Stimmen.
Akiho Tsujii als Giulietta betört mit zartem Sopran, scheinbar mühelos perlenden Koloraturen und hinreißender Geläufigkeit. Anna Pennisi setzt in der Hosenrolle des Romeo ihre satte Mittellage und in den Ausbrüchen auch klangliche Wucht dagegen. Beide glänzen mit Farbenreichtum und schauspielerischem Talent gleichermaßen. Gerade in den Duetten verschmelzen die Stimmen der beiden derart zu einer scheinbaren Einheit, dass man eigentlich nie mehr weghören mag, und so machen sie den Abend zu dem ihren. Roberto Ortiz gefällt mir gut im Belcantofach. Sein in den Höhen metallisch schimmernder, leichter Tenor ist wie gemacht für den Tebaldo, während Ipča Ramanović einen prachtvollen Lorenzo gibt und dabei seinen facettenreichen Bariton zeigt. Lediglich Igor Tsarkov scheint einen schlechten Abend erwischt zu haben; sein an sich voluminöser Bass kommt über weite Teile kaum über den Graben und so überzeugt mich der aus der Ukraine stammende Sänger am Samstag nur darstellerisch.
Das Orchester präsentiert sich unter der Leitung von David Todd in Bestform. Der junge Brite ist seit Jahresbeginn Kapellmeister am Mainfrankentheater und überrascht mich mit einem Dirigat voller Farben und Esprit, scheint jeden Takt, jede Note auszukosten und steckt mit seiner Freude an der Partitur das Orchester ebenso an wie die Sänger auf der Bühne. Er legt sportliche Tempi vor, ohne zu übereilen, und findet an den richtigen Stellen den nötigen Belcantoschmelz, ohne die Zuhörer zuzukleistern. Das gefällt dem Publikum, das seine Leistung am Ende des Abends mit ebenso viel Beifall goutiert, wie das Sängerpersonal auf der Bühne.
Ihr
Jochen Rüth
16.11.2021
Die Fotos stammen von Nik Schölzel.