Frankfurt, Konzert: „Strauss, Bruch, Pejačević“, hr-Sinfonieorchester unter Jader Bignamini

Zwei beliebte Werke und eine absolute Rarität bestimmten das aktuelle Programm der „Auftakt“-Reihe des hr-Sinfonieorchesters. Sehr kurzfristig sagte Dirigent Ivan Repušić krankheitsbedingt ab. An seiner Stelle konnte der in Frankfurt wohlbekannte Jader Bignamini, Chef-Dirigent des Detroit Symphony Orchestras, gewonnen werden. Und sein Einspringen war der große Glücksfall des Abends, denn Jader Bignamini verkörpert mit jeder Faser den geborenen Dirigenten! Alle Werke dirigierte er auswendig mit höchster Souveränität und Spannung, was sich wunderbar klar auf das mitreißend mitgehende hr-Sinfonieorchester übertrug.

Jader Bignamini / (c) Stefan Budrini

Am Beginn stand die bekannte Tondichtung „Don Juan“ von Richard Strauss auf dem Programm. Strauss, der wunderbare Geschichtenerzähler, zeigte hier seine Meisterschaft an kompositorischen Einfällen und herrlichen Leitmotiven. Ein Feuerwerk für jedes Orchester. Gast-Dirigent Jader Bignamini stürmte mit dem sehr engagiert aufspielenden hr-Sinfonieorchester in die wunderbare Klangwelt von Strauss und ließ es an nichts fehlen. Sehr expressiv in der Bildsprache, deutlich in den Kontrasten und äußerst kantabel in den lyrischen Momenten sorgte Bignamini für einen hinreißenden Beginn. Das hr-Sinfonieorchester begeisterte mit einer fabelhaften Leistung, fern jeglicher Routine. Strahlende Hörner, virtuose Streicher, und betörende Holzbläser malten in bunten Farben die Lebensgeschichte des Schwerenöters Don Juan.

Solistin des Abends war die niederländische Geigerin Simone Lamsma, die das sehr beliebte erste Violinkonzert von Max Bruch interpretierte. 1868 wurde es uraufgeführt und ist letztlich eines der ganz wenigen Werke, die von Bruch in der heutigen Zeit zur Aufführung gelangen. Dies ist sehr bedauerlich. Denn auch die ausgezeichneten Sinfonien des Kölner Meisters verdienten große Aufmerksamkeit. Bruch sah seinen ersten Satz des Violinkonzerts als Vorspiel. Eine kontrastreiche Vorbereitung auf das Herzstück, das Adagio des zweiten Satzes. Eine wunderbar kantable Romanze. Mitreißend dann im tänzerischen Duktus das beschließende Allegro Energico. Ein rhythmisches Feuerwerk, für das der Solist seine ganze Virtuosität aufbieten muss, um die vielen diffizilen Doppelgriffe treffsicher zu meistern.

Simone Lamsma hat in den letzten Jahren international mit den bekanntesten Orchestern der Welt musiziert. Ihr Repertoire ist groß und umfasst allein mehr als sechzig Violinkonzerte. Zahlreiche Preise und CD-Einspielungen runden das Profil der immens begabten Künstlerin ab. Sie spielte auf einer überaus kostbaren Stradivari aus dem Jahr 1718. Ihr Geigenspiel war eine Offenbarung! Mit großer gestalterischer Reife und höchster Sensibilität durchmaß sie alle Anforderungen ihres Parts mit maximaler Leichtigkeit. Sehr raumfüllend war ihr Ton, dabei stets klug abwägend, wie intensiv das Vibrato zum Einsatz kommen sollte. Ihr treffsicheres Timing ermöglichte traumhafte Übergänge, um neue Phrasen zu gestalten. Ihre maximale Innigkeit im verzaubernden Adagio entfaltete einen unwiderstehlichen Sog. Tänzerisch und mit großem Schwung zauberte sie dann das beherzt aufgespieltes Allegro energico aus dem Hut. Ein großartiger Vortrag. An diesem hatte Dirigent Jader Bignamini, der mit großer sinfonischer Geste Bruchs Musik in den Mittelpunkt stellte, in welche Simone Lamsma perfekt eingebunden war. Ein begeisternder Vortrag, der intensiv gefeiert und mit einer Zugabe bedankt wurde.

Simone Lamsma / (c) hr/Otto van den Toorn

Eine Rarität gab es nach der Pause zu bestaunen. Dora Pejačević war die erste Frau in Kroatien, die erfolgreich sinfonische Musik schrieb. Aus einer Adelsfamilie stammend, studierte sie Komposition in Zagreb und war überdies sehr gebildet. Intensiv war ihr Interesse an Literatur und Philosophie. Ihr Leben währte kurz, sie starb im Alter von gerade einmal achtunddreißig Jahren, kurz nach der Niederkunft ihres einzigen Kindes. Sie schrieb vor allem viel Kammermusik. Unter den wenigen großen Orchesterwerken kommt ihrer fis-moll Sinfonie eine zentrale Bedeutung bei. Die Tonsprache ist erkennbar spätromantisch, üppig gestaltet. Bruckner und Mahler haben deutlich ihren Einfluss genommen. Die Instrumentation ist meisterhaft und farbintensiv. Die Tonsprache ist zuweilen geradezu schwärmerisch. Nicht immer sind die Themen und kompositorische Struktur vollends ausgestaltet. Dafür ist die klangliche Opulenz und die Schönheit der Themen sehr einnehmend.

Erst kürzlich hat Gast-Dirigent Jader Bignamini dieses Werk in Detroit mit seinem Orchester aufgeführt. Daher kam das Frankfurter Publikum in den Genuss, einen wissenden Kenner des Werkes und ausgezeichneten Dirigenten zu erleben. Und wahrlich, kurz vor dem einhundertsten Todestag der Komponistin, begeisterte das hr-Sinfonieorchester mit einem entfesselten Orchesterfest der Extraklasse. Der erste Satz beginnt in geballter Dissonanz. Offensichtlich hat die Komponistin hier ihre Erfahrungen des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Hier hatte sie sich im Sanitätsdienst engagiert. Was dann folgt, ist ein großer Erzählstrom, die mit gewaltigen Steigerungen daher kommt. Im folgenden Andante spielen sich die seelenvollen Soli des Englisch-Horns und der Bass-Klarinette die Bälle zu. Anklänge an einen Trauermarsch sind zu vernehmen. Dazu rauschen kantable Themen in der kraftvoll tönenden Streichergruppe in epischer Größe am Ohr des Zuhörers vorbei. Ja, tatsächlich kann das ein wenig an Rachmaninow erinnern. Und doch, Pejačević hat ihre ganz eigene Klangsprache, die unverwechselbar ist. Keck und sprunghaft ist das bunte Scherzo zu bestaunen, mit schönen Details im Schlagzeug. In dem beschließenden Allegro appassionato bündelte Pejačević alle Themen zusammen und demonstriert nochmals eindrucksvoll ihr großes Können in der Behandlung des Orchester-Apparates.

Jader Bignamini, der große Souverän am Pult, holte jede Nuance aus der vielschichtigen Partitur und lockte das hr-Sinfonierorchester völlig aus der Reserve. Es war ein besonderer Genuss, das fabelhafte Orchester derart losgelöst und spielerisch intensiv zu erleben. Bignamini hat das Werk sehr genau studiert und zeigte mit seiner absolut sicheren Leitung einen faszinierenden Weg durch diese Sinfonie. Alles wirkte wie aus einem Guss, homogen im Klang, vorzügliches Timing, fein abgestimmte Dynamik, ein herausragendes Dirigat. Derart motiviert begeisterte das hr-Sinfonieorchester mit einer besonderen Gesamtleistung auf internationalem Niveau. Der Erfolg beim Publikum war heftig und ausdauernd.

Daraus ergeben sich zwei Rückschlüsse: Jader Bignamini muss bald wieder kommen! Und auch der Musik von Dora Pejačević sollte künftig öfters begegnet werden. Vielleicht trägt dazu auch die Filmdokumentation „Dora-Flucht in die Musik“ bei, die dieser Tage in ausgewählte Kinos kommt.

Eine wunderbare Entdeckung und ein ausdrucksstarker Abend im hr-Sendesaal.

Dirk Schauß, 4. März 2023


hr-Sendesaal, Frankfurt

Konzert am 3. März 2023

Richard Strauss: Don Juan, op. 20

Max Bruch: Violinkonzert Nr. 1 g-moll, op. 26

Dora Pejačević:  Sinfonie fis-Moll, op. 41

hr-Sinfonieorchester

Simone Lamsma, Violine

Jader Bignamini, Leitung