Santa Cruz: „Der Zwerg“, Alexander von Zemlinsky

Als durchaus exotische Besonderheit für kanarische Gefilde brachte die Ópera de Tenerife im Auditorio Adán Martín von Santa Cruz de Tenerife im März in einer Koproduktion mit den Opern Lille und Rennes sowie der Fondation Royaumont und dem Theater von Caen Alexander von Zemlinskys selten gespielte Oper „Der Zwerg“ nach dem Märchen „Der Geburtstag der Infantin“ von Oscar Wilde heraus. Daniel Jeanneteau inszenierte das Stück relativ spartanisch in von ihm selbst entworfenen, hellen geometrischen Räumen, um umso eindrucksvoller und intensiver auf die Katastrophe des Zwergs zu fokussieren und die Spannung zwischen der Scheinwelt des spanischen Hofes und der Einfachheit des aus dem natürlichen, zwangvollen Leben, aus dem er kommt, zu vermitteln. Olga Karpinsky schuf dazu Kostüme, die den weltfremden Luxus der Damen am spanischen Hofe in hellem Rosa hervorheben und steckt den Zwerg in eine alte Jeans und blaue Sportkjacke. Für die stets stimmungsgerechte Beleuchtung zeichnete Marie-Christine Soma verantwortlich. Dieses Konzept ging voll auf und führte zu wahrlich tragischen Momenten im späteren Dialog zwischen der Infantin und dem Zwerg, welches eine tödliche Zuspitzung erfährt.

(c) Auditorio de Tenerife/Miguel Barreto

Zunächst besingt der sehr lyrisch komponierte Damenchor des Coro Titular Ópera de Tenerife die Freuden des 18. Geburtstags der Infantin und Thronanwärterin sowie die reiche Geschenkpalette, die dazu geboten und von den Geburtstagsgästen bewundert wird – freilich alles Dinge, die überaus entbehrlich sind und somit die Bedeutung des von einem Sultan zu ihrem Ehrentage geschenkten Zwergs dramaturgisch hervorheben. Dieser ist in der Wahrnehmung der Hofdamen zwar hässlich, kann aber sehr gut singen. Der Haushofmeister Don Estoban kündigt dieses spezielle „Geschenk“ an, indem er eine hässlich verwachsene Puppe in die Höhe hält – zur allgemeinen Verwunderung. Philipp Jekal singt den Haushofmeister mit gutem Bassbariton.

Bald drauf steht der Zwerg auf der Bühne und wird mit einiger Entfremdung begutachtet. Als er die Infantin sieht, ist er von ihrer Schönheit so beeindruckt, dass er ihr gleich ein Lied widmet. Lediglich die Lieblingszofe der Infantin, Ghita, erkennt das sich anbahnende menschliche Drama. Dieses entwickelt sich nun in voller Stärke im Dialog zwischen Donna Clara, der Infantin, und dem Zwerg – der Einakter wird über eine lange Strecke zu einem spannenden Zweipersonenstück. Als die Infantin den Zwerg in seiner Annäherung gewähren lässt, verliebt er sich in sie. Sie weist ihn aber schließlich zurück und schenkt ihm dafür eine weiße Rose.

Und nun geschieht das für den Zwerg Traumatische: Ein riesiger Spiegel kommt aus dem Hintergrund und lässt ihn sein Abbild zum ersten Mal im Leben sehen. Der Spiegel lässt aber auch das gesamte Publikum sich selbst sehen, ein geschickter Regieeinfall für eine über die Wahrnehmung des persönlichen Dramas auf der Bühne weit hinausgehende Assoziation mit eigenen Erfahrungen. Wie der Baske Mikeldi Atxalandabaso als Zwerg diese Szene gestaltet und mit einer unter die Haut gehenden Emotionalität mit seinem prägnanten und bestens artikulierten Charaktertenor singt, das war ganz großes Musiktheater! Und dieses steigert sich noch, wenn er die Infantin immer wieder bittet, ihm zu sagen, dass es doch nicht stimme, dass er so hässlich ist. Diese lässt aber von ihm ab und zieht sich auf ihr Fest zum Tanz zurück mit dem schnöden Spruch „Geschenkt und schon verdorben, das Spielzeug zum achtzehnten Geburtstag“.

Mojca Erdmann brilliert als Infantin Donna Clara in ihrer unterkühlten Auseinandersetzung mit Atxalandabaso, sodass ihr Dialog zum Dreh- und Angelpunkt des kurzen, emotional aber umso intensiveren Stückes wird. Aber auch die große Menschlichkeit, mit der Beatriz Díaz als Ghita mit ihrem klangvollen Sopran auf die Dimensionen der menschlichen Tragödie hinweist und dem Zwerg schließlich vor seinem Tod noch die weiße Rose zurückgibt, die ihm als einziges von der Infantin geblieben ist, wirkt äußerst bedrückend.

(c) Auditorio de Tenerife/Miguel Barreto

Alessandro Palumbo hatte mit dem Symphonischen Orchester von Teneriffa einen großen Anteil an der musikalischen Intensität des Abends. Er gab den entscheidenden Momenten größte Expressivität und zeichnete das Schicksal des Zwergs, der angesichts seiner Selbsterkenntnis immer mehr in sich zerfällt, mit sehr viel Gefühl für die Emotionen und Dramatik auf der Bühne musikalisch nach. Es war erstaunlich, mit welcher Qualität das Orchester, welches in erster Linie im italienischen und französischen Fach zu Hause ist, die schwierige Komposition von Zemlinsky in mitreißendes Musiktheater umsetzte. Hier bahnt sich eine signifikante Qualität auch für das deutsche Fach an.       

Klaus Billand 2. April 2023


Der Zwerg

Alexander von Zemlinsky

Santa Cruz de Tenerife

Regie: Daniel Jeanneteau

Dirigat: Alessandro Palumbo

Symphonisches Orchester von Teneriffa