Budapest: „Falstaff“

am 29.1.2016
Mit dieser Neuinszenierung von Falstaff hatte die Ungarische Staatsoper Budapest am 21. September 2013 ihre Saison 2013/14 eröffnet. Zugleich war es der Beginn der Ära Szilveszter Ókovács als Generaldirektor des altehrwürdigen Ybl-Hauses. Der in Strasbourg am 4. Oktober 1966 geborene französische Regisseur Arnaud Bernard entwarf auch die Ausstattung und zeichnete ebenso für die Lichtregie verantwortlich. Nach dem Spoleto-Festival 1995, Neapel 2006 (mit Übernahme von Bilbao 2010 und Lausanne 2012) sowie Zagreb 2009 nahm er sich nunmehr zum vierten Mal für Budapest des Altersmeisterwerkes von Verdi an. Ich gestehe, dass mir jene Produktionen im Allgemeinen imponieren, bei denen Regisseure, wie beispielsweise Jean-Pierre Ponnelle, Achim Freier oder Pierre Audi, auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnen. Das wirkt dann wie aus einem Guss. Ich erinnere mich noch an meine Studentenzeit, wo ich im Rahmen eines Regieseminars gleich Entwürfe für Bühnenbild und Kostüme beisteuerte, da ich mir die Personenführung (für Max Frisch‘ Andorra) nur im Rahmen eines bestimmten Bühnenbildes samt dazugehörigen Kostümen vorstellen konnte. Das Schicksal hatte sich jedoch für mich später eine völlig andere Entwicklung aufgespart…
Noch vor Beginn der Oper kann man auf der Bühne den Rahmen eines riesengroßen alten Fernsehapparates aus den frühen 60ger Jahren sehen. Darin sitzt unbeweglich Sir John Falstaff. Wenn die Musik anhebt verdunkelt sich die Bühne und gibt den Blick frei auf das geradezu fürstlich ausgestattete Garter Inn, dessen Wände mit Genrebildern und allerlei Geweihen geschmückt sind. Das Quartett der vier Damen ist im zweiten Bild des ersten Aktes dann mit Hausarbeit, wie Staubsaugen und Aufräumen, beschäftigt. Die weit ausladenden Röcke mit hochgezogener Taille in rosa, hellgelb und hellgrün weisen auf die späten 50er bis frühen 60er Jahre hin. Ob die Damen darunter auch den zeitgenössischen Petticoat getragen haben, war leider nicht festzustellen… Mrs. Quickly, in knallroten Pömps und rotem Hut erscheint um Falstaff mit ihrem unvergleichlichen “Referenza” zu einem gemeinsamen Stelldichein mit Alice und Meg zu verführen. Falstaff kann seine Hände auch nicht von ihr lassen und ein herzhafter Aufschrei aus dem Off ist im Zuschauerraum vernehmbar. Ford erscheint dann standesgemäß im Schottenkilt und erfährt so von dem beabsichtigten heimlichen Treffen von Falstaff mit seiner Gattin. Er selbst gibt sich freilich als Fenton aus und beschwört Falstaff, Alice, die er heimlich verehre, für ihn zu gewinnen. Falstaff willigt ein. Turbulent ist dann die Szene in Fords Haus, wo alle auf der Suche nach Falstaff hin-und herrennen. Dieser, im berühmten Wäschekorb versteckt, landet schließlich mit der Schmutzwäsche in der Themse. Durchnässt in seiner Unterkunft kann ihn die botfährige Mrw. Quickly zu einem neuen Rendevous mit den beiden Damen im Wald von Windsor überreden. Dortselbst möge er sich als Schwarzer Jäger verkleidet um Mitternacht einfinden…

In der Rolle der Mrs. Quickly trat die vielbeschäftigte Ensemblestütze der Ungarischen Staatsoper,Bernadett Wiedemann, mit ihrer unvergleichlichen tiefen Mezzostimme, hoher Gesangskultur und ausdrucksstarkem Spiel, auf. Mrs. Alice Ford wurde von Beatrix Fodor mit exzellenter Stimmführend und koketter Hingabe, interpretiert. Erika Gál als Mrs. Meg Page stand ihr darin in nichts nach. Bori Keszei, einst Mitglied der Wiener Staatsoper, war eine stimmlich wie darstellerisch bezaubernde, jugendliche Nannetta. Der rumänische Bariton Alexandru Agache war ein resoluter Schwerenöter Falstaff, der im richtigen Moment auch über sich selber lachen kann.Zoltán Kelemen als Ford war ein köstlicher Ehemann an der Seite von Alice, die ohne Zweifel in ihrer Ehe das Sagen hatten. Zoltán Megyesi als bedauernswerter Dr. Cajus erhielt nicht die versprochene Hand von Nannette, denn diese gewann der verliebte junge Fenton, eher zurückhaltend und damit typisch englisch dargeboten von Péter Balcsó. Die Bass- bzw. Tenorpartien der Dienstboten von Falstaff, Pistola und Bardolfo, waren in den Kehlen von Géza Gábor und János Szerekován gut aufgehoben.Attila Hannig ergänzte als prächtiger Schenkwirt und Zsombor Dévényi durfte in der stummen Rolle eines Kindes Falstaff fallweise an der Hand führen wenn dieser wiederum aus einer misslichen Lage nach Hause trollte.

Am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper stand mit Marcus Bosch, einem jungen deutschen Dirigenten mit brasilianisch-italienischer Abstammung, der Generaldirektor des Staatstheaters und der Staatsphilharmonie Nürnberg seit 2011. Mit lockerer Hand modellierte er die nuancenreiche Partitur Verdis, formte sie plastisch und schillernd, sodass die wunderbaren Melodien Verdis leicht und schwerelos dahin glitten. Kálmán Strausz leitete den Chor der Ungarischen Staatsoper mit der gewohnten Verlässlichkeit.
Die Produktion von Arnaud Bernard ist „klassisch“ im besten Sinn: die Figuren behalten, auch wenn sie (vor allem die Damen) in Kostümen der frühen 60ger auftreten, ihren Shakespeare bezogenen Charakter. Der Regisseur versucht keine Neu- oder Umdeutung des Stoffes, sondern verleiht den Figuren durch bestimmte Accessoires ihr individuelles und damit unverwechselbares Eigenleben. Zu Recht wurde diese Produktion vom Publikum begeistert aufgenommen und alle Mitwirkenden ausgiebigst beklatscht.

Harald Lacina 1.2.16

Bilder (c) Staatsoper