Budapest: „Faust“

Aufführung am 5.3.2016

von René Magritte und Salvador Dalí beeinflusst

Die alte opulente und traditionelle Inszenierung von Gábor Miklós Kerényi ((KERO®) aus dem Jahr 1996 hatte ausgedient. Anlässlich des Festivals 225 Jahre (Goethes) Faust im Jahr 2015 wurde nun die Neuinszenierung von Gounods Oper dem ehemaligen Direktor des großen Theters in Poznań, Michał Znaniecki, anvertraut. Im Mittelpunkt dieses Festivals stand das Motto eines Paktes zwischen einem Menschen und dem Teufel. Für dieses Thema suchten die Veranstalter fünf Opern aus. Neben Gounods Faust wurden noch Busonis Doctor Faustus in einer halbszenischen Aufführung, Boitos Mefistofele, Strawinskys The Rake’s Progress und Webers Freischütz gezeigt. Und seit damals werden nunmehr die Übertitel im altehrwürdigen Ybl-Haus in der Andrássy út 22 auf Anregung seines Direktors, Szilveszter Ókovács, auch in Englisch gezeigt.

Traditionell beginnt die Oper bei Michał Znaniecki mit dem alten Faust in einem Rollstuhl und einer Badewanne in der Mitte der Bühne. Von der Decke hängen 15 Neonröhren herab, die zunächst rosa leuchten, später aber auch in anderen Farben. Bühnenbildner Luigi Scoglio zeigt dann im Laufe der Oper das Oval dieser Wanne riesengroß im Bühnenhintergrund, wodurch ein surrealistischer Eindruck entsteht und der dreidimensionale Aspekt noch stärker hervorgehoben wurde. Hinter dieser Ellipse wird auf grünem Feld Golf gespielt, im Vordergrund befinden sich einige Liegestühle für die Szene zwischen Marthe-Méphistophélès, Faust-Marguerite. Hier im Golfclub arbeitet Marguerite als Kellnerin. Das Ganze erinnert ein wenig an die Gemälde von René Magritte (1898-1967).

Méphistophélès erscheint in diesem Ambiente in den Kostümen von Ana Ramos Aguayo wie ein Dandy mit blauem Sakko und Sneakers und entfernt sich am Ende der Szene mit einem Caddy. Die Magie der Szenerie wurde durch die Beleuchtung von Bogumil Palewicz noch zusätzlich unterstrichen, insbesondere beim Wechsel vom bewölkten Abendhimmel zur sonnigen Feldszenerie und den grellen Disco-Farben in Auerbachs Keller. Zu Beginn freilich noch in melancholischem Blau, schließlich ist ja Faust suizidgefährdet. Und Méphistophélès treibt dann zum großen Amüsement von Faust noch sein wahrhaft diabolisches Spiel mit den Soldaten im Bacchus Nightclub, die von Cheerleaderinnen in den Farben der Tricolore frohgemutes in den Krieg begleitet werden. Und wenn die Blumen zunächst in Siebels Händen verdorren, wie Méphistophélès verheißen hatte, dann werden plötzlich riesengroße Blumenkelche, die an Salvador Dalí (1904-89) erinnern, vom Schnürboden herabgelassen. Die Szenerie verdunkelt sich merklich und Marguerite betet mit dem toten Kind in ihren Händen in einer Kirche. Ein riesiges, querliegendes fluoreszierendes Kruzifix senkt sich langsam vom Schnürboden herab, das Oval im Hintergrund wird nun von der Rosette eines Kirchenfensters ausgefüllt.

Tänzer wirbeln in bedrohlichen Kreisen rund um die vor dem Altar kniende Marguerite (Choreographie: Marianna Venekei). Die gesamte Dichotomie der Oper gipfelt in dieser Szene, in der Himmel und Hölle aufeinander prallen. Und Méphistophélès erscheint Marguerite gar in der Robe eines Kardinals. Der aus dem Krieg heimgekehrte Valentin wird im Duell von Faust erschossen und verflucht sterbend seine Schwester Marguerite. Im fünften Akt zeigt uns der polnische Regisseur dann eine Walpurgisnacht der besonderen Art. Méphistophélès zieht aus der Wand Kühltische heraus, auf denen tote Schönheiten liegen und erweckt sie zu kurzem Leben. Für einen kurzen Augenblick scheint Faust überwältigt, doch er verlangt von Méphistophélès, die zum Tode verurteilte Marguerite im Kerker zu sehen. Diese weigert sich und steigt mit dem Chor gen Himmel, während Méphistophélès in die Hölle zurückkehrt und wir schließlich Faust wie zu Beginn der Oper, dieses Mal aber in seiner Badewanne liegend sehen. Er hält die Flasche mit dem Gifttrank, bereit zu sterben, in seiner Hand.

Gabriella Létay-Kiss war eine berührende, wehmütige Marguerite mit gut geführtem Sopran. Judit Németh hat die Rolle der Marthe bereits in der letzten Produktion gesungen. Sie ist nun wieder, in der Stimme reifer und runder geworden, an den Ausgangspunkt ihrer großen Karriere zurückgekehrt. Im Spiel mit Méphistophélès ließ sie keinen Augenblick Zweifel darüber aufkommen, wer hier die Hosen anhatte. Boldizsár László bot einen gesanglich ausgewogenen Faust mit gutem Tenor. Der aus der Ukraine stammende Bass Taras Shtonda war ein imposanter, wahrhaft diabolischer Verführer mit einer beeindruckenden Röhre. Zoltán Kelemen hielt sich als Valentin mit kräftigem Bariton und beredtem Spiel wacker. Gabriella Balga glänzte in der Hosenrolle des wahrhaft bemitleidenswerter „Gärtners“ Siebel mit Besen in der Hand und schönem Mezzosopran. Róbert Rezsnyák erfüllte die eher kleine Rolle von Wagner mit seinem voluminösen Bariton zufriedenstellend. Der junge Dirigent Marco Comin, seit der Saison 2012/13 Chefdirigent des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München, führte das Orchester der Ungarischen Staatsoper zunächst sehr bedächtig und feierlich durch die Ouvertüre.

Er arbeitete auch präzise die extremen Kontraste in Gounods Musik heraus: Himmel und Hölle, Reinheit und Sünde, Liebe und Verrat, und vieles davon eingebettet in religiöse Kirchenmusik, wovon der häufige Gebrauch der Orgel bei Gounod ein beredtes Beispiel liefert. So spannend und intensiv habe ich Gounods Meisterwerk noch selten gehört. Und dank dieser Interpretation wurden auch die dreieinhalb Stunden Gesamtaufführungszeit niemals langweilig. Bleibt nur noch der wie immer gut einstudierte Chor der Ungarischen Staatsoper unter seinem Leiter Kálmán Strausz zu erwähnen, dem ein nicht unbeträchtlicher Teil des großen Erfolges an diesem Vormittag (die Vorstellung begann um 11 Uhr!) zu verdanken war. Ein großer Applaus für alle Beteiligten und eine gelungene Neuinszenierung für die Ungarische Staatsoper in Budapest!

Fotocredits: Szílvia Csibi

Harald Lacina 8.3.16