Budapest: „Die Walküre“

am 6.3.2016

Um es gleich vorweg zu nehmen. Anders als beim Rheingold, konnte mich die Walküre in der Regie des ungarischen Zeichentrickfilmregisseurs Géza M. Tóth weitaus stärker überzeugen.

Haben nach dem Einzug der Götter nach Walhall im Rheingold Konsumenten wie toll einen Supermarkt erstürmt und in ihrem Kaufrausch versucht, ihre Einkaufswägen randvoll mit allerlei Tand zu befüllen, erscheint nun während der Ouvertüre zur Walküre eine menschenleere auf die Bühne projizierte Supermarktszenerie, die später durch andere vom Animations Studio KEDD nach dem Konzept des Regisseurs hergestellte Einblendungen ersetzt werden. Sie alle haben mich aber im Grunde an die bereits von Günther Schneider-Siemssen (1926-2015) entwickelte holographische Technologie erinnert, die dieser seit 1985 in seinen Bühnenbildern zum Einsatz brachte. Natürlich ist die Entwicklung der Technik rasant weiter geschritten, das Prinzip der Einblendungen ist aber im Grunde dasselbe geblieben.

Gemeinsam mit seiner Dramaturgin Eszter Orbán beschreitet der Regisseur aber weiterhin seinen bereits im Rheingold eingeschlagenen Weg, mit seiner an Computer-Animationsfilme angelehnten visuellen Ästhetik ein größeres Publikum anzusprechen. Für die szenische Gestaltung der Bühne sorgte dieses Mal Gergely Z. Zöldy. Mit Siegmunds Auftritt wechselt der Lebensmittelsupermarkt in das Ambiente eines Möbelhauses. Ein geräumiges Doppelbett steht auf der linken Seite der Bühne, in der Mitte ein Tisch bzw eine Anrichte. Hunding tritt dann in Begleitung von zwei Gesellen auf, was natürlich zu seinem Text “Rüst‘ uns Männern das Mahl!“, das ja expressis verbis vom Plural ausgeht, passt. Er wirkt nicht so unsympathisch, wie er zumeist in Inszenierungen gezeigt wird. Er liebt Sieglinde, diese aber wehrt alle seine zärtlichen Annäherungsversuche mehr oder weniger energisch ab. Siegmunds und Sieglindes Erzählungen lässt der Regisseur oberhalb Hundings Behausung pantomimisch darstellen, was viel zum Verständnis eines mit der Vorgeschichte und dem Text vielleicht weniger bewanderten Teiles des Publikums beiträgt.

Man darf ja nicht überheblicher Weise außer Acht lassen, dass es natürlich immer wieder ein Publikum gibt, das dieses Werk zum ersten Mal erlebt. Die projizierte schneebedeckte Landschaft, weicht einem Wald und dieser verwandelt sich schließlich in eine Stadt mit unansehnlicher Plattenbauarchitektur. Nachdem Hunding in Siegmund den Feind seiner Sippe erkannt hat, ohrfeigt er ihn und lässt ihn von seinen beiden Begleitern an einen Stuhl fesseln. Er selbst legt sich ins Bett, trinkt Sieglindes „betäubenden Trank“ und wird von dieser im riesigen Doppelbett eines Möbelhauses liegend entkleidet. Und dann greift Siegmund bei seiner Canzone „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ schon einmal in die Saiten einer Gitarre, die er mit sich geführt hat. Im Vorspiel zum zweiten Akt sehen wir das fliegende Wälsungenpaar von einem Scheinwerferspot beleuchtet und dann Hunding mit seinen beiden Mannen, auf ihrer Fährte. Wotan und Brünnhilde aber sitzen auf zwei Stühlen in Form eines Bergkristalles. Während ihres Dialoges schwebt Fricka langsam vom Himmel herab. Während der Todesverkündung legt Brünnhilde Siegmund eine Kette mit einer Metallscheibe als ein äußeres Zeichen dafür, dass er für Walhall auserwählt wurde, um.

Als Einblendung erscheint nunmehr das Universum in seiner glitzernden Sternenvielfalt. Im dritten Akt tanzen die acht Walküren zu den bekannten Salsa Schritten „links-rechts zweimal links-rechts-links-zweimal rechts“, wie sie in den Zumba Klassen jedes Fitnesscenters heutzutage großen Anklang finden. Dazu tanzen auch die gefallenen Helden in Lederharness oder sollten es doch Pferde sein? Jedenfalls bleiben diese Helden bis zum finalen Feuerzauber auf der Bühne, prallen vor dem Feuerring zurück und springen in den Abgrund. Der Feuerzauber verläuft dann wenig spektakulär. Wie mit einem Weichzeichner im Stile von David Hamilton verfärben sich die Schneeflocken in rosa, orange und rot, bis sie schließlich wie ein pointilistisches Abschlusstableau festfahren.

Es ist recht schwierig die Fantasiekostüme von Ibolya Bárdosi zu beschreiben. Sieglinde und Siegmund sind durch weiße Langhaarperücken als Zwillingspaar optisch gekennzeichnet. Ihre übrige Bekleidung könnte von der Hippiebewegung der 60ger Jahre inspiriert worden sein. Hunding trägt einen Irokesenhaarschnitt und einen saloppen Anzug.

Opulente weiße Perücken sind dem Götterpaar Wotan und Fricka beschieden. Die Walküren tragen elegante Office Bekleidung in diversen Blau- und Grüntönen, Brünnhilde hebt sich durch ein Violettes Ensemble von ihnen optisch ab. Für die Premiere leistete sich die Ungarische Staatsoper die führenden Wagnerinterpreten unserer Zeit auf. Tomasz Konieczny überzeugte mich dieses Mal viel stärker als Walkürewotan als im Mai des Vorjahres in Wien. Eine fehlerfreie Diktion und schöne Linienführung kennzeichneten seinen Gesang und auch seine intensive Darstellung eines gefühlvollen, mit sich ringenden Göttervaters, der sich seiner Ohnmacht bewusst ist, und schon einmal voller Verzweiflung vor Brünnhilde niederkniet, waren ein Markenzeichen dieser Inszenierung. Judith Németh hat sowohl Fricka als auch die Brünnhilde in Budapest und in Mannheim 2013 in der Inszenierung von Achim Freyer gesungen. Dieses Mal trat sie wieder in einer ihrer Paraderollen als Fricka und resolute Göttergattin auf, die ihren umtriebigen Göttergemahl schon einmal mit ihrem fordernden Mezzosopran in die Schranken zu weisen verstand. Linda Watson war im Palast der Künste bereits als Brünnhilde an allen drei Tagen des Ringes zu bewundern. Sie hat noch immer eine bemerkenswerte Höhe und nur gelegentlich Ermüdungserscheinungen in der Mittellage, die die routinierte Sängerin aber durch ihre Technik und Gestaltungskraft aufwiegen konnte. Der Regisseur verlangte von ihr auch eine Rücknahme pathetischer Gestik zugunsten einer mehr verhaltenen, intimeren Darstellung des Götterkindes, das Anteil nimmt an der Liebe zweier Menschenkinder. Diese beiden, Sieglinde und Siegmund, wurden durch die herausragenden ungarischen Sänger Eszter Sümegi und István Kovácsházi interpretiert. Beide Sänger hätten es schon längst verdient, wieder an die Wiener Staatsoper eingeladen zu werden. Zumindest Eszter Sümegi hat hier ja schon eine vielversprechende Leistung als Tosca geliefert. Die sympathische Sängerin scheint momentan auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zu stehen. Die Stimme ist in allen Lagen ausgeglichen und kräftig und von einer derart unverwechselbaren Färbung gezeichnet, das man sie sofort heraushört. István Kovácsházi gelangen zwei beeindruckende Wälse-Rufe, ersteren hielt er etwa 8 Sekunden, den zweiten sogar ganze 11 Sekunden (wenn ich richtig gezählt hatte) an. Natürlich ist so ein Längenvergleich bei den Wälse-Rufen unangepasst, und dennoch ertappt man sich selber immer wieder dabei, insgeheim die Sekunden zu zählen…

Im Übrigen wies dieser Sänger auch einen wunderbaren Heldentenor auf, der ihn an die größten Opernhäuser empfiehlt. Andreas Hörl, der großgewachsene bayrische Meisterschüler von Kurt Moll, verlieh seinen behäbigen Bass der Rolle des ungeliebten Hunding. Es war für ihn ein Proberitt, wird er diese Rolle doch heuer erstmals auch in Bayreuth singen. Für meinen Geschmack war seine Stimme etwas polternd, was aber zum Charakter von Hunding durchaus passt. Hier wäre „Schöngesang“ wohl völlig falsch am Platz. Also alles in allem ein durchaus respektable Leistung, mit der er sich in dieser Rolle für Bayreuth durchaus qualifiziert hat. Anmerkung am Rande. Sein Bayreuther Debüt hat der sympathische Sänger bereits 2015 als Fafner absolviert. Besonders erfreulich ist es, dass in Budapest auch Solisten größerer Partien die kleineren Rollen der acht Walküren übernehmen. Allesamt sangen ausgewogen und auf höchstem Niveau. Éva Bátori war Gerhilde, die beiden, im Übrigen nicht miteinander verwandten „Fodors“, Bernadett Fodor (die Linzer Erda) und Beatrix Fodor (zuletzt Mrs. Alice Ford in Falstaff) sangen Schwertleite und Ortlinde, Gertrúd Wittinger die Helmwige, Szilvia Vörös die Waltraute, Éva Varhelyi die Siegrune, Zsófia Kálnay die Rossweise und Erika Gál, zuletzt erfolgreich in Goldmarks Königin von Saba in Budapest im Erkel Theater, die Grimgerde. Péter Halász, dem jungen Generalmusikdirektor der Ungarischen Staatsoper, gelang mit dem Orchester der Ungarischen Staatsoper eine packende Umsetzung der Partitur. Er baute spannungsgeladene Bögen auf und setzte an den dramaturgisch bedeutenden Momenten die richtigen musikalischen Akzente mit viel Liebe zum Detail. Diese Spannung hielt während des gesamten Abends an, ein vereinzelter falscher Bläserton beim Schlussgesang von Brünnhilde mag ich der Nervosität dieses Premierenabends zuschreiben, denn die Produktion wurde mit vier Kameras vom Ungarischen Fernsehen aufgezeichnet. Der allgemeine große und verdiente Applaus verteilte sich gleichmäßig auf alle Mitwirkenden. Die Bravorufe galten allen heimischen Solisten und den Gästen. Man kann gespannt sein, wie der Regisseur 2017 mit dem Siegfried seine Arbeit an der Tetralogie fortsetzen wird.

Harald Lacina 8.3.16

Bildetr (c) Staatsoper