Aufführung am 10.4.18, Palau de les Arts Reina Sofia (Premiere am 28.3.)
Der Traum des Poeten
Giuseppe Verdis 12. Oper, entstanden nach „Masnadieri“ und vor „Battaglia di Legnano“ und 1848 in Triest uraufgeführt, gehört für mich, zusammen mit „Alzira“, zu den schwächsten Werken der „Galeerenjahre“ des Komponisten. Das dramaturgisch eher hinkende Textbuch von Francesco Maria Piave basiert auf Lord Byrons 1814 herausgekommener, halb autobiographischer Versnovelle und ist sicher nicht die beste Arbeit des treuen Librettisten. Verdi schien an diese seine in Paris geschriebene Oper auch nicht allzu sehr zu glauben, denn er war, ganz gegen seine Gewohnheit, bei der Uraufführung nicht anwesend.
Die Tatsache, dass Byron seine persönlichen Erfahrungen während des Freiheitskampfs der Griechen gegen die Osmanen in seine Verse einfließen hatte lassen, ließ in der deutschen Regisseurin Nicola Raab den Einfall entstehen, das Ringen des Dichters um die Entstehung seines Werks zu zeigen. An sich keine schlechte Idee, um so die Plattheiten der recht vorhersehbaren Handlung zu umgehen. Deren Umsetzung ließ allerdings an Klarheit zu wünschen übrig, denn es wurde nicht immer deutlich, wann Byron glaubte, am Schauplatz des Geschehens zu sein und wann er sich nur Inspiration holen wollte (u.a. durch das Rauchen einer Pfeife, die vermutlich Opium enthielt).
Auch das Bühnenbild des Zyprioten George Souglides zeigte eine gewisse stilistische Unschlüssigkeit. Waren im 1. Akt eine Art bläulicher Plastikvorhänge zu sehen, die wohl nächtliche Atmosphäre suggerieren sollten (vor ihnen stand Byrons Schreibtisch mit brennender Lampe), so gab es für den 2. Akt eine Leinwand aus Papier, die während des Kampfes der Korsaren gegen die Türken zerrissen wurde. Im ersten Bild des 3. Akts, der im Kerker spielt, war die Bühne fast leer, um für das letzte Bild wieder zu den Plastikvorhängen zurückzukehren. Die Kostüme des selben Künstlers waren für Byron in der zu dessen Lebzeiten gängigen Herrenmode gehalten, für die verlassene Geliebte Medora (die nur im ersten und letzten Bild auftritt) zeitlos, für Gulnara, die Lieblingssklavin von Sultan Seid, orientalisch prächtig wie für den Sultan selbst. Dessen Mannen waren sämtlich in Schwarz gehüllt. Mit der Positionierung der Frauen in Gulnaras Gemach gelang der Regisseurin das eindrucksvollste Bild, das in seiner Ästhetik ganz dem Stil der Malerei verpflichtet war, wie sie im 19. Jahrhundert den Orient mit westlichen Augen sah. Videoprojektionen von Miguel Bosch ergänzten die Szene, vor allem bei der Darstellung von Kämpfen und Bränden. (Während der Ouverture wären sie verzichtbar gewesen).
Am Pult des Orquestra de la Comunitat Valenciana stand Fabio Biondi, der sich ja mit Roberto Abbado die Rolle eines Musikdirektors teilt. An sich eher für Barockmusik und Originalinstrumente zuständig, gelang Biondi mit dem willig mitgehenden Orchester aber eine durchaus temperamentvolle Wiedergabe, in der auch der Cor de la Generalitat Valenciana unter der Leitung von Francesc Perales wieder brillierte. In der Titelrolle des Corrado war der Amerikaner Michael Fabiano zu hören, der sich vom lyrischen Tenor langsam zum lirico-spinto zu entwickeln scheint. Die Stimme zeichnet sich nicht durch allzu viele Farben aus, was zu einer gewissen Monotonie führt, und die Registerwechsel lassen geräuschvolle Begleiterscheinungen hören, aber Stimme und Höhen sitzen. Dazu bemühte sich der Künstler sehr um die Personifizierung des hektisch nach Eingebungen suchenden romantischen Poeten. In der vokal dramatischen Rolle der Gulnara ließ die Ukrainerin Oksana Dyka einen machtvollen, nicht unangenehm timbrierten, aber von Schärfen nicht ganz freien Sopran hören, den sie furchtlos einsetzte.
Die Russin Kristina Mkhitaryan als Medora (die die einzige relativ bekannte Arie des Werks, „Non so le tetre immagini“, zu singen hat) ließ mit sehr interessantem lyrischem Material aufhorchen; leider war es nicht gut um ihre Wortdeutlichkeit bestellt. Ausgezeichnet die Leistung von Vito Priante als Sultan Seid , der seinen Bariton, von der Alten Musik kommend, behutsam an dramatisch fordendere Rollen heranführt und dazu auch ein guter Schauspieler ist. Der russische Bass Evgeny Stavinsky ergänzte als Corrados Gefolgsmann Giovanni; die Kleinstrollen waren mit Mitgliedern des Chors besetzt.
Im fast ausverkauften großen Saal gab es viel Zuspruch für diese letzte Vorstellung. Man kann nur hoffen, dass das neuerlich führerlose Haus (Intendant Livermore „wurde zurückgetreten“) bald in ruhigere, produktive Gewässer gelangt.
Eva Pleus 15.4.18
Bilder: Mikel Ponce und Miguel Lorenzo / Les Arts