Palau de les Arts Reina Sofia – Aufführung 10.6.2014, Premiere 31.5.2014
Das architektonisch so tolle Haus hat große Sorgen, sowohl bezüglich der Wartung bzw. Ausbesserung von Bauschäden, als auch künstlerisch-finanzieller Natur. Man wird sehen, was die Zukunft bringt.
Hier soll es zunächst nur um eine Besprechung der Vorstellungen gehen, die bei Verdi heute schwer unüberbietbar besetzt waren, wobei mit Ausnahme von Preziosilla alle Protagonisten ihre Rollen zum ersten Mal sangen. Mit Liudmila Monastyrska war eine Leonore zu hören, die der Rolle mit echt dramatischem Sopran gerecht wurde. In ihrer Interpretation beeindruckten besonders die prachtvollen filati, die sie ihrer Riesenstimme nicht abzutrotzen brauchte, sondern die vollkommen selbstverständlich wirkten (vorbildlich das „Madre, pietosa vergine“). Dazu kamen eine schauspielerische Leistung, wie man sie von ihr bisher nicht gewohnt war, und eine wesentlich verbesserte italienische Aussprache. Bestechend! In seiner relativ neuen Rolle als Spintotenor bestätigte Gregory Kunde ein stimmliches Wunder, das wir seit seinem Debüt als Henri in den „Vêpres Siliciennes“ verfolgen konnten. Diese explosiven Spitzentöne, diese mühelos den passaggio überwindenden Noten machen den ursprünglich als lirico-leggero tätigen Amerikaner zu einem der ersten Vertreter dieses Repertoires.
Ganz ohne kritische Bemerkungen kommt auch Ekaterina Semenchuk aus, deren Preziosilla vokal eine reine Freude war – die szenische Auslegung findet sich in dem der Regie gewidmeten Abschnitt. Schwieriger wird es, die Leistung von Simone Piazzola als Don Carlo di Vargas, einer der in jeder Hinsicht schwierigsten Rollen des Bariton-Repertoires, zu beurteilen. Der mit einer sehr schönen Stimme gesegnete Sänger tendierte in dieser anspruchsvollen Partie leider zu einer nicht immer interessanten Phrasierung und plagte sich vor allem mit der Cabaletta seiner großen Arie. Angesichts des fehlenden Nachwuchses in diesem Repertoire ist er natürlich immer noch ein großes Versprechen. Sehr überzeugend fiel di Interpretation des Padre Guardiano durch Stephen Milling aus, dessen Bass zwar durch seine vielen Wagner-Interpretationen härter geworden ist, dem es aber dennoch gelang, seinen langen Phrasen nicht nur Gewicht, sondern auch Schönheit zu verleihen. Fra Melitone war doppelt besetzt: an diesem Abend war Valeriano Lanchas zu hören, der mit nicht zu angenehm anzuhörendem Bassbariton eine szenisch jederzeit überzeugende Darstellung des streitbaren Mönchs auf die Bühne stellte. Den Marchese von Calatrava sang In-Sung Sim mit überzeugend dunklen Tönen. Mario Cerdà (Trabucco mit ein paar gekürzten Phrasen), Aldo Heo (mit interessant klingendem Bariton als Chirurg) und Ventseslav Anastasow (Alcalde) gaben ihren kleinen Rollen das entsprechende Gewicht. Von der Curra der im Centro de Perfeccionamento Plácido Domingo studierenden Cristina Alunno hätte man sich schönere Töne erwartet. Tadellos singend und überaus spielfreudig, wie man es von ihm gewohnt ist, der von Francesc Perales einstudierte Cor de la Generalitat Valenciana. Die musikalische Leitung durch Zubin Mehta verdient sich nicht nur durch ihr souveränes und das Orquestra de la Comunitat Valenciana anfeuernde Dirigat das ihr zustehende Lob, sondern auch durch Publikumsreaktionen, die über jede – auch besonders lebhafte – Form hinausgingen.
Als Regisseur hat Davide Livermore hier schon oft gezeigt, mit wie wenig Aufwand er überzeugende Produktionen auf die Bühne zu stellen vermag. Auch diesmal überbot er sich als sein eigener Bühnenbildner selbst. Während dahin gestellt bleiben muß, ob die Ouverture mit Projektionen der Protagonisten in Stummfilmmanier illustriert werden muß, womit das berühmte Stück samt dem Orchester zur Begleitfunktion degradiert wird, waren alle anderen Projektionen sehr überzeugend, wie etwa im 1. Bild die auf Telegraphendrähten sitzenden Raben, die am Schluss der Tragödie wiederkehren (und wie eine Hommage an Hitchcock wirken) oder sich der Christus am Kreuz bei Leonoras Einkleidung in ihren Augen in den Vater bzw. Bruder oder auch Alvaro verwandelt. (Diese Szene ist überhaupt sehr überzeugend gelungen, mit den Mönchen, die bei „Maledizione!“ drohend auf Leonora zeigen). Wird Preziosilla in der Schenkenszene als Kriegshetzerin mit Standmikrophon gezeigt, sind gleichzeitig verstörende Bilder aus dem 2. Weltkrieg zu sehen, worauf ein Soldat aus der kleinen Combo in Erinnerung an das Grauen das Bewusstsein verliert.
Beim Rataplan fährt Preziosilla mit dem Auto, weißer Fahne und Megaphon vor, dazu zeigt Livermore, um das Ballett zu umgehen, Bilder von der Befreiung Roms durch die Amerikaner, wozu einige Paare aus dem Chor tanzen und weiße Fähnchen geschwungen werden. Unter den Rotzkreuzschwestern und dem als Kriegskrüppeln auftretendem Pilgerchor befindet sich auch Don Carlo, der ein recht rauher Geselle ist und wenig Adeliges an sich hat (es ist ja eine der Achillesfersen von in moderne Zeiten verlegten Produktionen, dass Voraussetzungen wie bestimmte noble Haltungen oder ein exzessiver Ehrbegriff heute fast nicht mehr gegeben sind). Eine weitere Illustration, die ich als störend empfand, war die um einen verletzten Soldaten und seine Beförderung mit der Bahre kreisende Szene während des Vorspiels zu Alvaros großer Arie, die doch auf dessen Gemütsverfassung einstimmen sollte. Die oft hinter der Szene spielenden Gefechte wurden gezeigt, und es wurde auch während der Musik geschossen – auch das erschien mir nicht richtig. Die Kostüme von Mariana Fracasso waren im Stil der Fünfzigerjahre gehalten, die Uniformen keinem Land zuzuordnen. Es war eine auf jeden Fall interessante Regiearbeit mit vielen gelungenen Einfällen – einen Bogen über das große Verdifresko spannte sie nicht.
Eva Pleus 16.6.14
Credit Photos: Tato Baeza