Wien: „Albert Herring“

Premiere 15. Februar 2014

Tugend und Moral an der Grenze zur Parodie
Britten-Komödie mit klischeehaften Briten

Die Volksoper Wien bewies einigen Mut, da sie drei Monate nach dem 100. Geburtstag von Benjamin Britten dessen komische Oper Albert Herring zur Aufführung brachte. Bisher war diese Satire auf scheinheilige Moral und Tugendhaftigkeit in einer englischen Kleinstadt erst einmal (1976) an diesem Haus inszeniert worden, wo sie dann bis zum Jahr 1984 insgesamt 32 Mal zu sehen war. Ob es diesmal eine ähnlich lange Laufzeit wird bleibt vorerst abzuwarten.

Kurz zur Handlung des 1948 in Glyndebourne uraufgeführten Werkes: Im idyllischen Loxford steht Lady Billows als selbst ernannte Hüterin der Moral gemeinsam mit den Honoratioren der Stadt vor der Wahl: Welches Mädchen soll zur Maikönigin gekürt werden! Unterstützt von ihrer Haushälterin Florence Pike ist Billows verbittert über den Verfall der Sitten: Die Röcke sind zu kurz, die Ausschnitte zu tief, gegen jeden Vorschlag des Komitees kommt ein Veto. Da bringt Polizeichef Budd einen Mann ins Spiel: Albert Herring, der etwas einfältige, aber wohlerzogene Sohn der Gemüsehändlerin, soll den Titel bekommen. Beim Fest will ihm dann das Liebespaar Sid und Nancy einen Streich spielen und macht ihn betrunken, was aber nach einer durchzechten Nacht dazu führt, dass sich Albert von seiner dominanten Mutter löst und sein Leben selbst in die Hand nimmt. Viel Autobiographisches von Britten floss in das Libretto von Eric Crozier ein, gesungen wird – wie an der Volksoper üblich – leider in einer nicht allzu gelungenen Übersetzung von Carolyn Sittig und Waltraud Gerner.

Die aktuelle Produktion entstand in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Landestheater, an dem die damalige Intendantin Brigitte Fassbaender im Jahr 2012 für die Regie gesorgt hatte. Unterstützt von Bettina Munzer (Bühnenbild und Kostüme) frischte sie die Inszenierung nunmehr an der Volksoper neu auf. Die Handlung spielt in einem Fast-Einheitsbühnenbild mit den üblichen Versatzstücken einer englischen Kleinstadt: Die rote Telefonzelle, der ebenso rote typische Postkasten, der kleine Gemüseladen mit Registrierkasse, im Hintergrund die drohenden Scherenschnitte der Tugendwächter, ein Serpentinenweg nach vorne, der für den Handlungsablauf geschickt genutzt wird, die Kostüme an der Grenze zur Persiflage mit dem notwendigen Mief des Konservativen. Fassbaender zelebriert die pausenlose Situationskomik des Stückes, sie zeichnet aber alle Figuren an der Grenze zur Parodie. Rosamunde Pilcher, Inspector Barnaby und Agatha Christie lassen grüßen! Wem diese Sicht auf England gefällt, der wird sich in den 2 ¾ Stunden gut unterhalten, mir war diese Sichtweise zu vordergründig und zu eindimensional. Die Reaktion des Publikums war jedoch positiver, wobei zu vermerken war, dass kaum eine Premiere an der Volksoper so schlecht besucht war wie die aktuelle. Was auch Befürchtungen hinsichtlich der kommenden Auslastung aufkommen lässt, aber das nur am Rande. Denn diese Oper von Britten ist durchaus wert entdeckt zu werden.

Dafür verantwortlich ist die wirklich prächtige Musik und Instrumentierung mit vielen musikalischen Zitaten und ungewöhnlichem Melodienreichtum. Wie der musikalische Leiter Gerrit Prießnitz für eine perfekte Umsetzung der Partitur sorgte, verdient uneingeschränktes Lob. Das (zahlenmäßig) kleine Volksopernorchester präsentierte sich ebenfalls von seiner besten Seite und die Sänger konnten sich auf den Mann am Pult in jeder Sekunde verlassen. Stets exakte Einsätze sorgten für Ordnung, auch in den komplizierten Ensembles passte alles. Und grosso modo konnte man auch mit der Sängerriege zufrieden sein. Sebastian Kohlhepp, der an der Wiener Staatsoper engagiert ist, beeindruckte unlängst schon an seinem Stammhaus als Jaquino. Er verfügt auch über eine wirklich sehr schöne Tenorstimme, die er erfreulicherweise immer wortdeutlich einsetzte. In darstellerischer Hinsicht gibt es noch Luft nach oben, ganz konnte ich den Wandel Alberts vom einfältigen Muttersöhnchen hin zum freiheitssuchenden jungen Mann nicht erkennen. Auch die gastierende Münchnerin Barbara Schneider-Hofstetter überzeugte als herrische ältere Dame nicht wirklich, mit der dramatisch angelegten Partie hatte sie auch gesanglich einige Schwierigkeiten. Andreas Daum punktete mit seinem Stimmvolumen als Polizeichef, Morten Frank Larsen gab einen den Röcken hinterher hechelnden Pfarrer Gedge, Birgid Steinberger überzeugte als Schuldirektorin Miss Wordsworth mehr durch ihr witziges Spiel als mit ihrem manchmal angestrengtem Sopran, auch für den bewährten Jeffrey Treganza erwies sich die Partie des Bürgermeisters Upfold als grenzwertig.

Eine köstliche Studie bot Martina Mikelić als (bösartige) Haushälterin Florence, ihre Altstimme würde man gerne in belkanteskeren Rollen hören. Nichts zu meckern gab es auch beim Liebespaar Sid und Nancy: Daniel Ochoa gefiel besonders gut mit seinem extrem sonorem Bariton, auch für Mezzo Dorottya Láng stellte die doch relativ hohe Partie keine Schwierigkeit dar. Elvira Soukop komplettierte das insgesamt doch ein wenig unausgewogene Sängerensemble als Mrs. Herring. Eine besondere Erwähnung verdienen jedoch drei junge Sänger aus dem Kinder- und Jugendchor der Volksoper, die natürlich und selbstbewusst als Emmy, Siss und Harry den Handlungsablauf mitgestalteten: Antonia Pumberger, Sarah Weidinger und Leonid Sushon. Ungeteilte Zustimmung des Premierenpublikums!

Ernst Kopica 16.2.14

Fotos: Barbara Pálffy/Volksoper