Wien: „Das Gespenst von Canterville“

Volksoper, 8.11.2019

Mit dieser „Familienoper“ ist dem Haus am Währinger Gürtel wieder einmal ein großer Wurf gelungen – so viel sei schon einmal verraten.

Basis dieser zweiaktigen Oper ist eine Erzählung von Oscar Wilde, dem die Opernwelt ja auch die Grundlage zu „Salome“ zu verdanken hat. Am Tag zuvor besuchte ich eine Vorstellung der „Weiden“ an der Staatsoper (von der ich ziemlich verkarpft nach Hause ging…) – und insofern war es ein Genuss, ein Libretto (verantwortlich dafür Michael Frowin) mitzuerleben, dem es gelang, die heutige „ Umgangssprache einzubeziehen, ohne auf Platitüden zurückgreifen zu müssen. Ob diese „heutige“ Sprache wirklich mit dem Genre der Oper zu vereinbaren ist, sollte vielleicht anderswo diskutiert werden.

Was wirklich gut gelungen war – die beiden Zwillinge „Leon“ und „Noel“ (an sich schon ein nettes Wortspiel) nur in Reimen sprechen bzw. singen zu lassen, was zur Auflockerung der Szenen ungemein beigetragen hat.

Der Komponist Marius Felix Lange beschäftigt sich schon einige Jahre mit Filmmusik, wie dem überaus gelungenem Programmheft, das auf eine jüngere Zielgruppe zugeschnitten ist, zu entnehmen ist. Dies merkte man besonders zu beginn, als die von Roman Hansi zu verantworteten Videos des Waldes perfekt musikalisch untermalt wurden. Ansonsten beschränkt sich Lange auf eine moderat moderne Musiksprache, die zwischen kammermusikalischen Momenten, musikalischen Gags (z.B. der Radetzkymarsch als Handy-Klingelton) bis hin zu dramatischen Ausbrüchen reicht. Er wird niemals atonal, obwohl die eine oder andere Passage auch für die Sänger ziemlich fordernd schien. Besonders im ersten Akt musste Ursula Pfitzner in der Rolle der Haushälterin immer wieder von hohen gleich zu extrem tief notierten Noten hin- und her“jonglieren“ – dies gelang ihr ausgezeichnet und sie wurde vom überwiegend jugendlichen Publikum entsprechend mit Applaus honoriert.

Chapeau auf für die Regie (Philipp M. Krenn) und den für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlichen Walter Schütze. Die Kostüme waren den einzelnen Charakteren entsprechend – von den zwölfjährigen Zwillingen über die „Zicke“, Frau Hansen bis hin zu Sir Simon (der ohne seine Perücke, die ihm im Laufe des Geschehens immer wieder abhandenkommt, wie Gollum aus „Lord of the Rings“ aussieht) – alles perfekt. Besonders der Chor, der ja die Opfer des Gespenstes, die seinem Erscheinen über etliche Jahrhunderte zum Opfer fielen, war großartig eingekleidet – man fand da Kostüme, die der Mode aus verschiedenen Jahrhunderten nachempfunden war, vor! Großartig! Ein Sonderlob auch den im Programmheft leider ungenannten Maskenbildnern.

Regisseur Krenn wiederum zeigte eine gute Hand bei der Personenführung – überaus glaubhaft das Herumtollen der beiden Youngster – der Übermut wirkt niemals aufgesetzt. Ein besonderes Gustostück sind auch die „bewegten“ Bilder – man sollte sich diese Produktion zumindest zwei Mal ansehen, weil das, was sich im Hintergrund, sprich in den Bildern, abspielt, bleibt durch das nie langweilig werdende Geschehen auf der Bühne, fast zu sehr überdeckt. Da findet man viel subtilen Humor versteckt!

Das alles klingt wahrscheinlich sehr enthusiastisch – aber ich ließ einen ganzen Tag vergehen, bevor ich diese Besprechung verfasst habe – und noch immer finde ich diese unterhaltsamen zwei Stunden ausgesprochen „cool“ !!!

Zum Musikalischen – Ben Connor war an diesem Abend angesetzt – vom sängerischen Standpunkt her konnte er die Rolle ohne Probleme bewältigen, insgesamt hätte ich mir vielleicht mehr darstellerischen Ausdruck erhofft. Dies hängt aber vielleicht auch mit seinem sehr jugendlichen Aussehen und seinen Bewegungen zusammen. Die Verzweiflung und das Verlangen nach Erlösung konnte er nicht wirklich über die Bühne bringen. Trotzdem (und auf der anderen Seite auch nicht ganz unverdient) zeigten sich die Kids im Publikum begeistert – es war wirklich schön mitzuerleben, dass gejubelt und gepfiffen (NICHT AUSGEPFIFFEN) wurde!

Eine überaus überzeugende Leistung zeigte Athanasia Zöhrer, die nicht nur das Idealaussehen für die Virginia mit sich bringt, sondern auch eine sehr deutliche Aussprache hat – und auch bei dramatischen Ausbrüchen problemlos agierte. Ich bin gespannt, wie sie in einer „klassischen“ Opernrolle über die Bühne kommt. Ihre beiden Brüder wurden von Lukas Karzel und Stefan Bleibersching mit viel Energie zum Leben erweckt, allen Dreien war ein positiver Publikumszuspruch gewiss.

Die Figur des Immobilien-Unternehmers König war mit dem Rollendebütanten Daniel Ohlenschläger rollendeckend besetzt, ebenso überzeugend als seine Assistentin für alle Fälle �� Marie-Pierre Roy. Ein kleiner Nachtrag zur Regie – die „Spielchen“ und Anspielungen zwischen den beiden Figuren – ob diese wirklich „familientauglich“ sind, das lasse ich jetzt einmal dahingestellt…

Einen etwas zwiespältigen Eindruck machte auf mich Paul Schweinester als David Umney – sein lyrischer Tenor war auch in diesem mittleren Haus nicht wirklich durchschlagskräftig, aber wie schon weiter oben bemerkt – es ist schwer bei einem solchen Werk, wo Gesang und Sprechpassagen sich einander relativ schnell abwechseln, zu einem endgütigen Urteil zu kommen. In ihrer kurzen Sequenz als „Stimme der toten Mutter“ beeindruckte Birgid Steinberger.

Das Volksopernorchester und der Dirigent Gerrit Prießnitz waren mit viel Einsatz und auch sichtlichem Spaß bei der Sache, der Volksopernchor war von Thomas Böttche r auf seine Aufgabe exzellent vorbereitet worden.

Ein vergnüglicher Abend – und diese Produktion ist wirklich jedermann zu empfehlen. Ich hoffe, dass dieses Werk auch während der nächsten Spielzeiten am Programm steht und sich – neben „Hänsel und Gretel“ – als Kinder-/Jugendoper sich am Spielplan etablierten kann.

Kurt Vlach 10.11.2019