Über Inszenierung und Neubearbeitung eines Werks lässt sich bekanntlich streiten, und als das Regieteam am Ende auf die Bühne trat, hielt sich der Applaus doch eher in Grenzen.
Regisseur Olivier Tambosi verlegte den Musicalklassiker in die heutigen Zeit – was gar nicht so falsch war! Denn in Zeiten der modernen Inquisition werden Menschen heute noch immer unschuldig gefoltert und zu Unrecht verurteilt. Dazu kommt die Gewaltbereitschaft verschiedenster Kulturen die durch Jahrhunderte zu Verfolgungen und zur Flucht vor dem Feind geführt haben. Setzen wir uns also mit der Thematik, mit dem Ursprung Miguel de Cervantes intensiver auseinander, so kommen wir zu der Erkenntnis, dass sich seit dem 16. Jahrhundert nicht viel verändert hat. Denn die Versklavung des Volkes und die Gewaltbereitschaft finden seinen Ursprung in der Geschichte aus der wir leider immer noch nichts gelernt haben. Somit spielt Tambosis „Der Mann von La Mancha“ nicht in der Landschaft Kastilien – La Mancha sondern direkt im Kerker, wo wir gewalttätigen Straftätern begegnen und der Hure Aldonza, die alle aus der Gosse entstanden und wo vielleicht wirklich einige von ihnen zu den Sternen hinaufblicken. Die Inszenierung zeichnet die nackte Realität auf, und nur Don Quixote (Cervantes) bewegt sich hier zwischen Traum und Wirklichkeit, um die eigentliche Realität zu verdrängen.
Dass dieser Roman „El ingenioso hidalgo don Quijote de la Mancha“ aus dem frühen 17.Jahrhundert immer als Vorlage für Autoren, Filmemachern, Opern – Ballett – und Musicallibrettisten diente, mag wohl nicht nur einzigallein an der Komplexität des Romans liegen. Die Erzählung über den Ritter, der seinen Verstand verliert, in der wir in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele blicken, berührt nicht nur selbst, sondern gewann auch an Bedeutung in der gesamten europäischen Literaturgeschichte. Das all diese Feinheiten hier von der Regiearbeit viel zu wenig herausgearbeitet wurden ist eigentlich schade. Hier setzt man auch weniger auf Sentimentalitäten obwohl ich mir in der Sterbeszene doch mehr Tiefgang gewünscht hätte. Bewegt sich doch Vieles mehr am Rande der Oberflächlichkeit – wenn da nicht die Musiknummern wären, die schon lang zu weltweiten Evergreens geworden sind.
Der eigentliche Stern des Abends ist Robert Meyer, der vom Publikum am Schluss gebührend gefeiert wurde. Der kleine Mann mit der großen Stimme, eine Bühnenpräsenz, die unvergleichbar ist, ein großartiger Darsteller, ein ausgezeichneter Sprecher, der immer wieder facettenreiche schauspielerische Vielseitigkeit beweist. Es kam nicht überraschend, obwohl Meyer aufgrund seiner Statur vielleicht nicht ganz dem Typus eines Don Quixotes (Cervantes) entsprach, hier vielleicht sogar als Sancho Pansa neben Karlheinz Hackl (1994) zumindest optisch besser besetzt war. Er ist unumstritten eine schauspielerische Größe. Der Traum von einer besseren schöneren Welt widerspiegelt sich in seiner gesamten Interpretation und klingt glaubwürdig. Wo jede Szene bis ins Detail erarbeitet wurde und wo der Ehrgeiz, egal ob als Schauspieler, Sänger oder Direktor des Hauses ihm wohl kaum eine Verschnaufpause vergönnt. Auch gesanglich zeigt Robert Meyer Format, es steckt ungeheure Kraft dahinter, so eine Vorstellung überhaupt zu bewältigen. Neben dem Menschendarsteller, der auch in den leisen Tönen eine starke Ausdruckskraft über die Rampe bringt, wünscht man sich auch starke Partner, die insbesondere in der Besetzung mit Patricia Nessy (Aldonza) nicht gegeben waren. Darstellerisch und gesanglich ist sie ausgezeichnet, aber die Aussprache ist zu bemängeln. Hier hat man auch immer noch den Musicalstar Dagmar Koller vor Augen, die in dieser Paraderolle als Nachfolgerin neben anderen Besetzungen wie Blanche Aubry ein strahlender Stern in der damaligen Volksoperninszenierung (1994) war. Nun man darf hier nicht Vergleiche ziehen zwischen Josef Meinrad, Fritz Muliar, Heinz Petters, Gideon Singer und anderen Kollegen, denn objektiv gesehen ist diese Neuinszenierung an der Volksoper gut gelungen.
Boris Pfeiffer als Sancho war zwar nicht gerade eine Offenbarung und wirkte eher blass gegen seinen großen Kollegen Robert Meyer. Martina Dorak ist als quirlige Antonia, stimmlich und natürlich auch tänzerisch eine absolute Augenweide. Wolfgang Gratschmaier als homosexuelle Haushälterin sollte offenbar ein Regiegag sein, sorgte für humorvolle Unterhaltung. Mehrzad Montazeri (Pater) ist überzeugend in Darstellung und Timbre. Der Rest des Ensembles agierte eher zufriedenstellend, was aber eindeutig auch an der Regie lag, weil man sich hier offenbar mehr auf die Hauptfiguren des Stückes konzentrierte.
Ein großes Lob an das Orchester, das diesmal nicht im Graben, sondern im Bühnenhintergrund saß und elektronisch verstärkt wurde, aber bei dem unter dem Dirigat von Lorenz C. Aichner die Ohrwürmer akustisch und rhythmisch gut zur Geltung kamen.
Verstärkter Premierenapplaus für Robert Meyer, gedämpfter eher für die anderen Protagonisten und sehr geschwächt für das Regieteam. Unumstritten wird diese Produktion sein Publikum finden – doch vielleicht gehören noch einige Szenen mehr durchdacht und überarbeitet.
Manuela Miebach 3.11.5
Bilder: Volksoper / Barbara Palffy