Wien: „La clemenza di Tito“, Wolfgang Amadeus Mozart

Zu den Feierlichkeiten zur Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen wurde Wolfgang Amadeus Mozart beauftragt, eine Oper zu schreiben. Er hatte dafür nur sehr wenig Zeit. Mozart schuf mit seinem Librettisten Caterino Tommaso Mazzolà  auf der Basis des schon mehrmals vertonten Librettos von Pietro Metastasio eine zweiaktige Opera seria. Auf den ersten Blick hatte diese neue Oper aufgrund des Anlasses also den Charakter einer Huldigungsoper – eine Huldigung des nunmehr gekrönten Königs von Böhmen. Mit ihrem Sujet, der Clemenza des römischen Kaisers Tito, wurde Leopold II. somit in den ultimativen Adelsstand des guten Herrschers erhoben. Heute würde man das als „Good Gouvernance“ bezeichnen, auf die die internationale Entwicklungszusammenarbeit so sehr für die Vergabe ihrer Mittel pocht…

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Nicht zuletzt die durchaus nicht nur von Gutmenschentum geprägten Aktivitäten des Titus Flavius Vespasianus als Unterstützer seines Vaters vor seiner eigenen Ernennung zum Kaiser für nur wenig mehr als die letzten zwei Jahre seines Lebens ließen den Regisseur der Wiener Produktion aus dem Jahre 2012, Jürgen Flimm, zu der Überzeugung kommen, dass das Thema der „Clemenza“ für eine angemessene und aus heutiger Sicht und Menschenkenntnis kein ausschließliches und abendfüllendes Thema mehr sein kann. Für Flimm ist das Werk – und durchaus nachvollziehbar – vielmehr eine Thematisierung der Formen, Mechanismen und Möglichkeiten der Macht als ein Stück, das die Vorzüge der aufgeklärten Monarchie feiert. Er stellt die Frage – und die ist natürlich gerade in der heutigen Zeit wieder hochaktuell: „Was fängt einer mit seiner Macht an, wie nützt er sie?“ und dann folgt gleich die nächste Frage: „Wie steht es um die angebliche Toleranz dieses Mächtigen?“

Für Flimm ist es mit der Toleranz des Tito eben nicht so weit her, wie allgemein unterstellt wird. Das ist schon allein aus dessen Biografie verständlich. Denn das römische Volk, das ihm die Kaiserwürde verleiht, gesteht ihm nicht die wahrhaft geliebte jüdische Prinzessin Berenice zu, was in Titus‘ Wesen sicher traumatische Spuren hinterlässt und ihn in eine vornehmlich dynastisch geprägte Folge von Beziehungen zu Frauen bringt, die er nicht wirklich liebt. Hinzu kommt die Enttäuschung des Betrugs durch seinen besten Freund Sesto. Also zeichnet Flimm mit einer entsprechend ausgefeilten Personenregie einen zerrissenen Charakter Titos statt eines harmoniegeprägten. Der US-amerikanische Tenor Matthew Polenzani stellt diese innere Zerrissenheit des Titelhelden äußerst überzeugend dar, wird zwischen den wechselnden Beziehungskonstellationen regelrecht hin und hergeworfen. Dazu ist eine allzu schöne Stimme nicht unbedingt erforderlich, und so war Polenzanis vokaler Ausdruck auch zu diesem Rollenverständnis passend.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Was allerdings kaum überzeugte, war das Bühnenbild von George Tsypin, der immerhin 2006 den legendären und sehr ansehnlichen ossetischen „Ring des Nibelungen“ in St. Petersburg unter Valery Gergiev bebildert hatte. Die Bühnenästhetik Tsypins setzt in einer des Öfteren bei Flimm zu beobachtenden Manier vornehmlich auf allzu profane Banalität und Simplizität. So wird das brennende Rom es handelt sich immerhin die Zerstörung einer Stadt – durch wahllos auf der Bühne verteilten Sperrmüll und Pappkartonreste symbolisiert. Eine Putzkolonne fegt nervend weit über die zur Reinigung erforderliche Zeit hinaus, sodass es wie Beschäftigungstherapie wirkt. Dazwischen liegen ein paar vermeintlich Tote in lieblos über ihre vorherigen Bühnenkostüme gezogenen Klamotten. Die also nicht immer geschmacksicheren Kostüme wurden von Birgit Hutter und das recht spärlich moderierte Licht von Wolfgang Goebbel gestaltet. Der Chor trat stets recht einfallslos mit den Notenständern auf.

Umso stärker wirkte die exzellente Damenriege um Tito herum, und zwar stimmlich wie darstellerisch. Federica Lombardi sang eine zunächst kämpferische und schließlich reuevolle Vitellia mit großem vokalem Ausdruck und Wohlklang. Slávka Zámečníková verkörperte eine ebenfalls klangvolle und agile Servilia. Kate Lindsey überzeugte mit einen charaktervollen Mezzo und intensiver burschikoser Darstellung als Sesto in der Hosenrolle. Patricia Nolz gab einen liebenswerten Annio, und Peter Kellner war mit gutem Bariton ein bestimmter Publio – alle Genannten in ihren jeweiligen Rollendebuts an der Wiener Staatsoper. Amelle Parys gab die Berenice.

© Klaus Billand

Pablo Heras-Casado, der ja erst im Juli die Bayreuther Festspiele 2023 mit einem neuen „Parsifal“ eröffnet hatte, begann das Stück mit großer dynamischer orchestraler Intensität, ganz im Sinne der Flimmschen Interpretation der Titelfigur, und baute auch den von Thomas Lang einstudierten Chor der Wiener Staatsoper gut ein. Im Laufe des Abends verlegte sich Heras-Casado aber auf eine feinfühligere Charakterisierung der Figuren und zu einer sehr guten Sängerführung. So gelang ihm mit der „Clemenza“ ein guter Start auch in die neue Saison der Wiener Staatsoper am Ring.

Klaus Billand, 21. September 2023


La Clemenza di Tito
Wolfgang Amadeus Mozart

Wiener Staatsoper

Besuchte Vorstellung: 4. September 2023

Regie: Jürgen Flimm
Dirigat: Pablo Heras-Casado
Orchester: Orchester der Wiener Staatsoper