Wuppertal: „Angel’s Bone“, Du Yun

In einer alten Fabrikhalle sind drei Tribünen asymmetrisch um einen T-förmigen Laufsteg auf Käfigen angeordnet. Die Übertitel werden auf Betonwände projiziert und zusätzlich ist die Halle mit Ton- und Lichttechnik aufgerüstet worden. Was sich nach einer Produktion der Ruhrtriennale anhört, ist die Eröffnungspremiere der Wuppertaler Opern-Intendanz von Rebekah Rota. In der Alten Glaserei gibt es Du Yuns „Angel’s Bone“. Das Opernhaus muss nämlich wegen der Hochwasserschäden vom Juli 2021 renoviert werden und ist drei Monate lang nicht bespielbar.

Nach der deutschen Erstaufführung von Angel’s Bone“, die im Februar 2023 in Augsburg stattgefunden hat, ist dies die zweite deutsche Aufführung der 80-minütigen Oper. Erzählt wird eine moderne Legende: Das Ehepaar Mrs. und Mr. X.E. finden zwei abgestürzte Engel im Garten, denen gleich die Federn ausgerupft werden. Zur Flugunfähigkeit verdammt, werden die Engel versklavt, von dem Paar sexuell missbraucht und als Segensspender vermietet. – Die Geschichte ist gleichzeitig eine Metapher auf Zwangsarbeit und Menschenhandel, was in der Regie von Jorinde Keesmaat aber gar nicht gezeigt wird. Die Regisseurin traut dem Publikum zu, diese Schlussfolgerung selbst zu ziehen.Die Regie gibt sich in der Ausstattung von Sammy van den Heuvel werkdienlich, bleibt im Finale des Werkes aber zu nebulös. Mrs. X.E., die von Edith Grossmann mit hellem Sopran gesungen wird, ist die treibende Kraft des Paares, eine moderne Lady Macbeth, die es sich ganz lässig auf dem Liegesessel gemütlich macht. Wenn sie in den Zustand der Heiligkeit träumt und mit der Gottesmutter Maria vergleicht, wird dies auch in den Videos von Frouke ten Velden visualisiert, die auf den Wänden zu sehen sind.

© Daniel Senzek

Komponistin Du Yun schreibt für das 2016 in New York uraufgeführte Stück eine stilistisch sehr unterschiedliche Musik. In der von Johannes Witt geleiteten Aufführung berühren am stärksten die farbenreich instrumentierten kammermusikalischen Szenen und die schwebend-luftigen Chorsätze. Dann gibt es aber auch jazzige Nummern und plakativ-aggressiv Panikattacken von Schlagwerk und Blechbläsern. In einigen Szenen hört man elektronische Einspielungen, bei denen man sich fragt, ob man solche Klangbilder nicht auch durch ungewöhnliche Spieltechniken auf dem traditionellen Instrumentarium erzielen könnte? So bei der Klageszene des weiblichen Engels, die von Anna Angelini gerappt wird.

Weil Rebekah Rota fast alle Verträge des Ensembles ihres Vorgängers Berthold Schneider hat auslaufen lassen, stehen in dieser Produktion durchweg neue Ensemblemitglieder und Gäste auf der Bühne. Der Identifikation des Publikums mit dem Haus ist dies nicht unbedingt förderlich, zumal Wagners „Tristan und Isolde“, der im Oktober folgen wird, auch hauptsächlich mit Gästen besetzt ist.     

Insgesamt sind die Figuren aber rollendeckend besetzt: Zackary Wilson singt den Mr. X.E. mit leichtem Bariton. Das Duett der gefangenen Engel ist sängerisch kaum zu beurteilen, da es von Garben van der Werf als Erzengel und Jason Lee als männlicher Engel nur mit halber Stimme gehaucht wird.

© Daniel Senzek

Mit Angel’s Bone“ zeigt Wuppertal eine interessante Form einer modernen Oper, die nur bis zum 10. September zu sehen ist. Am 22. Oktober folgt dann im Opernhaus „Tristan und Isolde“ unter dem Dirigat von GMD Patrick Hahn und in der Regie des Videokünstlers Martin Andersson.

Rudolf Hermes, 4. September 2023


„Angel’s Bone“
Oper von Du Yun

Oper Wuppertal

Premiere: 1. September 2023

Musikalische Leitung: Johannes Witt
Regie: Jorinde Keesmaat
Ausstattung: Sammy van den Heuvel
Videos: Frouke ten Velden