Premiere: 23. Oktober 2021, besuchte Vorstellung: 24. Oktober 2021
Eigentlich ist diese „Deutsche Erstaufführung“ der neuen Oper von Salvatore Sciarrino sogar ihre Uraufführung, denn die Klagenfurter Premiere dieser Koproduktion fand am 4. Februar 2021 nur vor Pressevertretern statt. In Leverkusen wird das Stück nun erstmals vor Publikum gespielt. Erzählt wird die Geschichte der Heimkehr des Agamemnon aus dem trojanischen Krieg, die in seiner Ermordung durch seine Ehefrau Klytämnestra mündet. Haben andere Episoden aus der Atriden-Geschichte durch Christoph Willibald Glucks „Iphigenie in Aulis“ oder „Elektra“ von Richard Strauss Eingang ins Opernrepertoire gefunden, so ist diese Thematik bisher nur von Sergej Tanejew in seiner „Orestie“ (1895) und Vittorio Gnecchi in seiner „Cassandra“ (1905) auf die Bühne gebracht worden.
Die Wuppertaler Bühnen können eine beachtliche Sciarrino-Tradition vorweisen. Bereits „Luci mie traditrici“ (2002), „Infinito nero“ (2004) und „Macbetto“ (2006) wurden hier gezeigt. „La porta delle legge“ (2009) erlebte in Wuppertal sogar seine Uraufführung. Nun sollte „Il Canto S´Attrista, Perché?“ (Warum wird mein Gesang traurig?) seine deutsche Erstaufführung an der Wupper haben, aber aufgrund des Hochwassers vom Juli, ist das Opernhaus nicht bespielbar, sodass die Wuppertaler Bühnen in das mehr als 40 km entfernte liegende Leverkusen wechselten. Salvatore Sciarrino, der sich das Libretto zu seiner gut 80-minütigen Oper selbst geschrieben hat, konzentriert sich auf die Klytämnestra, Kassandra und Agamemnon. Als Nebenfiguren erleben wir noch einen Turmwächter, der auf das Signal wartet, welches das Ende des Trojanischen Krieges anzeigt, sowie einen Herold, der die Ankunft des Agamemnon ankündigt. Meist erleben wir die Figuren in großen Solo-Szenen, bei denen sie gelegentlich vom hervorragenden Wuppertaler Opernchor sekundiert werden, der auf dem Rang hinter dem Publikum platziert ist.
Der Komponist Sciarrino ist seinem Stil treu geblieben. Der Gesang besteht aus dem Wechsel von schnellen Tonrepetitionen und langgehaltenen Einzeltönen. Da sich das Ganze meist im Piano bewegt, erlebt man einen geheimnisvoll geflüsterten Gesang. Die Orchesterbegleitung besteht aus schemenhaft dahinschwirrenden Bewegungen, die oft an die Geräuschkulissen von Helmut Lachenmann erinnern. Dirigent Johannes Witt leitet die Aufführung mit feinem Gespür für Sciarrinos Klangkulisse und führt die Solisten sicher durch das Werk.
Einzelne Momente werden durch besondere Klangfarben hervorgehoben: So verkündet ein Flötentriller das Aufflammen des vom Wächters ersehnten Feuerscheins und wenn Agamemnon den Palast betritt, wird das drohende Unheil durch einen grellen Blechbläserakkord angekündigt. In großen Theatern könnte diese Flüsterstil verpuffen, im Leverkusener Erholungshaus, wird Sciarrinos Musik aber zu einer nervösen flirrenden Fieberkurve, die den Hörer an der Stuhlkannte gefangen hält.
Die Inszenierung von Nigel Lowery ist so schattenhaft wie die Musik: Der Regisseur, der auch sein eigener Ausstatter ist, lässt die Geschichte im Dämmerlicht auf schwarze Bühne vor einem schwarzen Haus spielen, das sich immer wieder dreht. Zudem sind die Figuren schwarz gekleidet und vor der Bühne befindet sich ein Portalschleier, der oft mit schattenhaften Baumprojektionen beleuchtet wird. Die grellgeschminkten Solisten werden gezielt beleuchtet, das Drumherum bleibt aber meist im nebulösen Halbdunkeln, was eine permanente Gruselatmosphäre schafft. Die Figuren verbleiben meist in Posen stehen. Eine Geste, die uns immer wieder begegnet ist eine vor Angst zitternde Hand, welche dann mit der anderen Hand des Solisten beruhigt wird.
Für diese Produktion bieten die Wuppertaler Bühnen ein beachtliches Ensemble auf, das den Eindruck vermittelt, dass Sciarrino-Partituren zum normalen Sängeralltag gehören. Mit Leichtigkeit lässt Countertenor Tobias Hechler als Wächter seine Stimme über die Töne hüpfen. Wenn Iris Marie Sojer als Klytämnestra und Simon Stricker als Agamemnon in ihren Gesangsrollen aufgehen, hat man das Gefühl das Sciarrinio seine Musik punktgenau für diese Stimmen komponiert habe. Die expressivsten Ausbrüche hat Nina Koufochchristou als Kassandra zu bewältigen. Aber auch sie meistert die anspruchsvolle Rolle mit scheinbarer Mühelosigkeit.
Dieses spannende Stück neuen Musiktheaters sollte man sich nicht entgehen lassen. Am 4. und 5. Dezember finden zwei weitere Aufführungen in Leverkusen statt.
Rudolf Hermes 16.10.21
bilderlos, leider.