Zürich, Ballett: „Of light, wind and waters“, Kim Brandstrup

© Gregory Batardon

Atmosphärisch unglaublich dichtes Bühnenbild und Licht – Das war das Hauptelement, welches diesen Ballettabend prägte und nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Geschaffen hatte diese mystische Ausstattung Richard Hudson: Zwei gigantische, in Grau- und Anthrazittönen kunstvoll strukturierte Wände auf der Bühnenrückseite, davor ein Kubus mit ähnlich strukturierten Wänden und einem quadratischen Fenster. Der Kubus ließ sich öffnen, aufteilen und in Hälften verschieben, eröffnete neue Spielflächen und kerkerartige, klaustrophobische Zimmer. Dazu kamen das hochspannende Lichtdesign von Martin Gebhardt, die stimmungsvollen Videosequenzen von Tieni Burkhalter und das die Handlung stringent untermalende Sounddesign von Ian Drearden, der gekonnt (Bruch-) Stücke aus Werken von Anna Clyne, Hans Abrahamsen, Schubert, Chopin, Debussy, Schönberg, Kurtág und einer armenischen Volksweise zu einem leicht elektronisch verfremdeten Klangteppich aufbereitet hatte (alles aus Lautsprechern in einem qualitativ exzellenten Klang wiedergegeben). Dieses Hörerlebnis war mal morbide, dann wieder von leiser Melancholie und schwebender Trauer geprägt, mitreißende Rhythmen fehlten komplett.

Aber wo bleibt der Tanz?

Der dänische Choreograf und Regisseur Kim Brandstrup versuchte Leben und Werk des dänischen Nationaldichters H.C. Andersen nachzuspüren. Eine klare Inhaltsangabe fehlt im Programmheft, nur drei Märchen Andersens wurden in Kurzfassungen abgedruckt. Brandstrup nun lässt sein Ballett mit einer starken Mutterbindung Andersens beginnen, seiner Unruhe im ärmlichen Elternhaus; er wälzt sich auf dem schmalen Feldbett, seine Mutter wringt Putzlappen aus. Die Märchen werden in kurze Sequenzen aufgeteilt, Fließen ineinander über, Andersen mit Zylinder und Gehrock schleicht wie ein voyeuristischer Geist durch die Kopfgeburten seiner epischen Märchenlandschaften.

© Gregory Batardon

Von daher empfehle ich allen Besuchern dieser Ballettproduktion, Andersens Märchen als Vorbereitung im Original zu lesen, damit man deren Bedeutung und Beziehung zu Andersens (schwierigem) Charakter besser erfassen kann. Auf der Bühne erfahren wir wenig über Andersen als Mann. Wir spüren zwar deutlich seine Einsamkeit, merken, wie ausgeschlossen von der vornehmen Gesellschaft er sich gefühlt haben muss, obwohl er sich so sehr gewünscht hatte, ein Teil davon zu sein. Seine vermutliche Homosexualität wird von Brandstrup nicht wirklich thematisiert, außer die starke Mutterbindung soll darauf hinweisen, was auch wieder ein Klischee wäre. Vielleicht hat diese besondere Beziehung zur Mutter auch nie bestanden, da er bereits als Jugendlicher das Haus der Mutter verlassen hatte. Zudem hatte er die Märchen von seiner Grossmutter gehört, nicht von der alkoholkranken Mutter, und die Großmutter ist es auch, die in vielen seiner Märchen vorkommt.

Hingegen ist seine Affinität zu jungen Männern ziemlich sicher erwiesen, aber Brandstrup lässt das außer Acht. Der Choreograf lässt viele Möglichkeiten, die starker Ausdruckstanz geboten hätte, ungenützt vorbeigehen. Das Bewegungsvokabular bleibt überschaubar, auch repetitiv. Es ist eine Tanzsprache zu erleben, die sehr bodenhaftig ist, kein Tanz auf der Spitze, kaum Hebungen oder Drehungen, keine starken Pas de deux oder Gruppentänze. Einzig eine hervorragend choreografierte und wunderbar passend zur Musik umgesetzte Gruppennummer aus einer Szene der Meerjungfrau machte grandiosen Eindruck: Es sind dies die Polypen, durch welche die Meerjungfrau auf dem Weg zur Meerhexe schreiten muss.

Allen szenischen Effekten, welche die Märchen geboten hätten, wird ausgewichen, zugunsten einer amorphen, morbiden Grundstimmung: Also keine Begegnung der Meerjungfrau mit der Meerhexe, kein Ball beim Prinzen, keine großen Auseinandersetzungen mit dem Meerkönig, der Großmutter, den Schwestern. Nur etwas herablassendes Tätscheln des Prinzen auf das Haupt der Meerjungfrau, wenn er die fremde Prinzessin heiratet. Dasselbe bei Der Schatten: Wir erfahren eigentlich kaum, wie der Dichter (im Märchen ist es ein Gelehrter- en lærd mand) von seinem Schatten gedemütigt, ja von diesem gar im Kerker ermordet wird. Wie sehen nur, wie der Schatten mit der vom Dichter angehimmelten Poesie Arm in Arm am Dichter vorübergeht.

© Gregory Batardon

Davor viel Spiegelbildtanz des Schattens und des Dichters, so wie wir es in der Kindertheatergruppe oder später als Erwachsene in Spürst-du-mich-Weiterbildungskursen machen mussten. Die Schneekönigin ist zwar beeindruckend kostümiert, doch auch hier ist nicht viel von Tanz zu erleben, dafür mehr pantomimische Pietà-Verschnitte. Kay zuckt spastisch (das gefrorene Herz), doch dass er alles und alle verkehrt sieht, das Schöne zum Hässlichen wird durch die Splitter des Troll Spiegels in seinem Auge, wird ausgeblendet. Auch von den Abenteuern, welche Gerda durchleben muss, um Kay aus den Fängen der Schneekönigin zu befreien, und wie die beiden durch das Erlebte erwachsen werden, erfahren wir nichts. Am Ende kann sich der Dichter von seiner Mutter emanzipieren und schwebt in zirzensischer Art effektvoll in den Bühnenhimmel. Und etwas fallender Schnee darf dann auch nicht fehlen.

Der Compagnie des Balletts Zürich gelingt es, das Beste aus der affektarmen Choreografie herauszuholen: Lucas Valente (Andersen), Shelby Williams (Mutter), Max Richter (Meerjungfrau), Wei Chen (Prinz), Daniela Gómez Pérez (fremde Prinzessin), Elena Vostrotina (Schneekönigin), Mlindi Kulashe (Kay), Ruka Nakagawa (Gerda), Esteban Berlanga (Dichter), Karen Azatyan (Schatten) und Nancy Osbaldeston, sowie das Ensemble hauchen der anämischen, choreografischen Vorgabe wenigstens noch ein Spur von Leben ein.

Kaspar Sannemann 19. Januar 2025


Of light, wind and waters
Ballett von Kim Brandstrup
nach Werken und dem Leben von Hans Christian Andersen
Opernhaus Zürich

18. Januar 2025 UA

Sounddesign: Ian Dearden
Compagnie des Balletts Zürich

weitere Vorstellungen am 19.1. | 23.1. | 24.1. | 26.1. | 30.1. | 7.2. | 14.2. | 22.2. und 20.3.2025