Bad Reichenhaller Strauss-Tage 2020 trotzen allen Widrigkeiten

Besuchte Vorstellungen am 11., 12. und 13.09.2020

Walzerklänge im Zeichen von Corona

Die Deutsche Johann Strauss Gesellschaft mit Jahreshauptversammlung lässt sich von Corona nicht unterkriegen und feiert auf eine ganz andere und besondere Art.

Lange hat man es sich überlegt, ob man die Strauss Tage von Bad Reichenhall einfach ausfallen lassen soll, oder dem Virus trotzen und mit Walzerklängen die „stille Zeit“ ein bisschen vergessen sollte. Das lange vorbereitete Programm vom Vorstandsmitglied, Generalmusikdirektor Christian Simonis war nicht zu halten. Zu große Risiken, zu hohe Kosten, bei verschwindend kleinen Einnahmen – das war eigentlich schon das Aus für die Tage. Aber da kennt man Christian Simonis schlecht. Statt der vorbereiteten Operettenausschnitte, Musicalausflüge usw., stellte er flugs ein neues Programm zusammen. Vier kleine Konzerte mit jeweils unter einer Stunde Dauer, natürlich ohne Pause und bis zu den Plätzen mit Mundschutz, mit minimiertem Publikumszugang – und diese Konzerte mit der herrlichen Musik von Strauss pur. Etwas, was die Gesellschaft schon Jahre nicht mehr gehabt hat, und auf das man sich riesig freute. Die Anmeldezahlen hatten sich vom letzten Jahr mehr als halbiert und ein Häufchen von 20 aufrechten Straussfreunden aus Deutschland, Österreich, Ungarn und der Schweiz hielten die Fahne aufrecht. Die drei Tage waren einfach wunderschön, auch wenn man mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hatte. Über das Hotel will ich mich diesmal gar nicht auslassen, sie hielten sich an die Regeln, teilweise weit darüber hinaus. Man hatte auch den Eindruck, dass die Angst vor Corona in Bad Reichenhall wesentlich stärker ausgeprägt ist, als im übrigen Bayern. Wenn zu den vier tollen Konzerten gerade einmal knapp 60 Personen zugelassen werden, ist dies einfach nicht nachvollziehbar. Neben jedem Einzelplatz drei freie Plätze und jede zweite Reihe frei, nicht einmal Ehepaare dürfen zusammensitzen, scheinbar ist hier das Management etwas überfordert, aber was soll´s. Allein die Tatsache wieder einmal live die Musik erleben zu dürfen, lenkt von den Unbillen ab, wenn auch vieles einfach nicht nachvollziehbar ist. Leid kann einem Christian Simonis mit seinem etwas reduziertem Orchester tun, denn sie können für diese überstrengen Auflagen nichts und hätten es verdient gehabt, vor einer etwas größeren Kulisse agieren zu dürfen. Ich war schon bei etlichen „Coronaaufführungen“, aber hier in Bad Reichenhall wurden erstmals sogar die Ehepaare auseinandergesetzt.

So wie es ausschaut wird die Gesellschaft vorerst einmal das letzte Mal in Bad Reichenhall gewesen sein, denn der rührige Generalmusikdirektor Christian Simonis, hört in diesem Jahr hier auf, mit Sicherheit ein großer Verlust für Bad Reichenhall und die dortigen Philharmoniker. Am ersten Abend steht in der Konzertrotrunde Bad Reichenhall das Konzert „Johann Strauss Vater und Sohn“ auf dem Programm. Unter riesigem Beifall kommen die stark reduzierten Musiker mit Mund- Nasenschutz auf die Bühne, den sie dort abnehmen dürfen. Knapp 60 Zuhörer geben einen Begrüßungsapplaus, der fast auf ein voll besetztes Haus schließen lässt. Man spürt die Freude, wieder nach vielen Monaten live die Philharmoniker erleben und ihnen lauschen zu dürfen. Und eines kann man genauso gut feststellen – diese Freude ist nicht einseitig. Jedem einzelnen Orchestermitglied merkt man die Freude an, die Leidenschaft, vor Publikum auftreten zu dürfen und endlich wieder ein ganz kleines Schrittchen zur Normalität machen zu dürfen. Und ganz besonders merkt man dies auch Christian Simonis an, die Freude blitzt richtig aus seinen Augen und feurig wie eh und je leitet er das erste Konzert, welches er auch einfühlsam und kenntnisreich und auch mit dem notwendigen Quäntchen Humor gewürzt, moderiert. Mit launigen Worten eröffnet er die Strauss Tage und freut sich, dass so viele Mitglieder der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft trotz der Probleme gekommen sind. Im Publikum sitzt Dr. Eduard Strauss mit seiner Gattin und auch er ist mehr als froh, als die ersten Klänge aufhorchen lassen. Mit dem Furioso Galopp von Strauss Vater beginnt das Konzert, leidenschaftlich, rasant und blitzsauber dargeboten, so als wenn es die Einschränkungen nicht geben würde. Mit der Ouvertüre zur weniger bekannten Operette von Strauss Sohn „Carneval in Rom“ geht es weiter und die Marianka Polka, der Walzer „Heiter auch in ernster Zeit“ und der Cachucha Galopp, alles von Strauss Vater schließen sich an. Von Strauss Sohn dann „Bitte schön“, Polka francaise, der Walzer „Mephistos Höllenrufe und die Polka schnell „Juristenball“ schließen sich an und das erste beeindruckende Konzert endet mit Strauss Vater und seinem unsterblichen Radetzky Marsch und das Publikum geht begeistert mit. Voller Rhythmus, mit großer Leidenschaft, toller Präzision, unglaublich viel Gefühl und Einfühlungsvermögen ist dieses Konzert zu einem reinen Vergnügen geworden. Ein rundum glückliches und zufriedenes, wenn auch unglaublich stark dezimiertes Publikum erlebt einen Konzertgenuss vom Feinsten.

Am nächsten Vormittag findet die Jahreshauptversammlung 2020 der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft statt. Der Vorsitzende Dr. Ingolf Roßberg informiert über die Aktivitäten des vergangenen Jahres, die natürlich durch Corona ebenfalls stark eingeschränkt waren, die Arbeit an der neuen Internetseite und der Fertigstellung des nächsten Heftes von „Neues Leben“ und gibt einen Ausblick auf das nächste Jahr, wo bei der Gesellschaft auch wieder Neuwahlen anstehen. Alles unter dem Damoklesschwert, wie es mit der Pandemie weitergeht und was alles möglich und nicht möglich sein wird. Auch über die Gestaltung der Strauss Tage 2021 in Coburg, wo alle hoffen, dass sie stattfinden können, wird informiert.

Am Nachmittag in der Konzertrotunde gehen die musikalischen Leckerbissen weiter. Auf dem Programm stehen die „Sträusse aus Karlsbad, Hamburg und Kopenhagen“. Mit diesem Konzert wird auf Joseph und August Labitzky, Oscar Fetrás und Hans Christian Lumbye hingewiesen, denn diese Vier waren im 19. Jahrhundert in ihren Bereichen fast ebenso berühmt wie die Sträusse, auch sie, aus dem hohen Norden kommend, verstanden es zündende Walzer und Polkas zu schreiben und publikumswirksam darzubieten. Äußerst erfreulich ist auch, dass der Präsident der „Gesellschaft der Freunde von Josef Labitzky“, Herr Bohumir Hájek mit seiner Gattin, den Weg von Karlsbad nach Bad Reichenhall für alle vier Konzerte auf sich genommen hat. Joseph Labitzky, der auch der Böhmische Walzerkönig genannt wurde, schrieb fast 300 Werke und sein Sohn August, der sein Nachfolger wurde, ist in Bad Reichenhall verstorben. Der Hamburger Dirigent und Komponist Oscar Fetrás verschrieb sich in erster Linie der Unterhaltungs- und Tanzmusik, auch er kam auf fast 300 Werke und sein Walzer „Mondnacht auf der Alster“ machte ihn so richtig berühmt Der fleißigste der Vier war jedoch der Däne Hans Christian Lumbye, der mehr als 700 Kompositionen veröffentlichte und der auch den Beiname „Strauss des Nordens“ hatte.

Christian Simonis und seine Philharmoniker beginnen rasant mit dem Epheuranken-Galopp von Joseph Labitzky, danach die etwas zurückhaltendere Gavotte „Erste Liebe“ seines Sohnes und dann den auftrumpfenden Blitz-Galopp. Von Oscar Fetrás wird der Bummel Marsch zu Gehör gebracht, heiter dargebracht, die Lust der Musiker ist fast greifbar, die Geiger Sophie Ferge und Fred Ullrich präsentieren sich auch gesanglich, gut, richtige Sänger können sie nicht ersetzen, dafür agieren sie mit viel Herz, Leidenschaft und Liebe. Dann der Walzer „Märchen aus dem Quellental“ und der Marsch „Im bunten Dress“. Mit Hans Christian Lumbye endet das Konzert, zuerst der Galopp „Kopenhagen Eisenbahn-Dampf“, bei dem Fred Ullrich in Eisenbahnerdress, jedenfalls was die Kappe angeht und gut bedienter Pfeife seinen Musikerkollegen etwas einheizt, Christian Simonis mischt natürlich hervorragend mit, Dann kommt der Walzer „Kroll´s Ballklänge“ und zum guten Schluss als Rausschmeißer sein rasanter und leidenschaftlicher Champagner Galopp. Alles natürlich wieder kenntnisreich und einfühlsam moderiert und leidenschaftlich dirigiert von Christian Simonis. Leider ist nach einer knappen Stunde der Musikrausch zu Ende, die Besucher gehen aber zufrieden, heiter und mit fröhlichen Liedern auf den Lippen aus dem Konzertsaal.

Am gleichen Abend das dritte Konzert unter dem Titel „Die Brüder Josef und Eduard Strauss“. Auch hier wieder unter dem anregenden Dirigat und der kenntnisreichen Moderation von Christian Simonis. Begonnen wird rasant mit der Polka schnell „Mit Vergnügen“ von Eduard Strauss. Dann wird Josef mit vier Stücken gewürdigt. Die Polka francaise „Die Tänzerin“, die Polka Mazur „Stiefmütterchen“, die Polka schnell „Forever“ und schließlich sein Herbstrosen Walzer. Es ist eine Freude dem Orchester zu lauschen, die alles aus den Kompositionen herausholen, teilweise zurückhaltend, teilweise aufbrausend, eine mehr als hervorragende Leistung und ein exzellentes Zusammenspiel. Von Eduard dann die Polka schnell „Mit Chic“ und von Johann III die Rococo Gavotte aus der Operette „Katz und Maus“. Ein wunderschönes Stück, das den wenigsten bekannt sein dürfte. Die Mischung aus altbekannten und Raritäten, die nur selten gespielt werden, wird hier auf das Vorzüglichste dargeboten. Eduard wird dann mit der Boccaccio Quadrille dargeboten, eine interessante Variation aus der bekannten Operette von Franz von Suppé. Als (leider) letztes Stück dann der Galopp „Bahn frei“ von Eduard Strauss und damit endet wieder ein wunderschönes, leidenschaftliches und viel zu kurzes Konzert.

Am Sonntagvormittag dann schließlich das letzte der Konzerte der Strauss-Tage Bad Reichenhall in Zusammenarbeit mit dem Johann Strauss Club St. Petersburg/Pawlowsk und der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft mit der Überschrift „In den Gärten von Pawlowsk – Die Sträusse in Russland“. Leider kann niemand wegen der Pandemiekrise aus Russland dabei sein, die bereits zugesagte Teilnehme ist leider gestrichen, dafür wird die Moderation dies Konzertes vom Ehrengast Dr. Eduard Strauss übernommen. Mit großem Sachwissen, Eingehen auf manches Detail und mit einem humorvollen Hintergrund versteht es der Nachfahre der Sträusse das Publikum zu begeistern und ihnen viele Einblicke zu gewähren, die sie so nie bekommen hätten. Großer Beifall für Eduard Strauss für seine stilvolle, interessante und launige Moderation. Die Niko Polka von Johann Strauss eröffnet den Reigen der musikalischen Leckerbissen. Rasant gespielt, leidenschaftlich und eindringlich, das Publikum ist begeistert. Danach die Pawlewsker-Vauxhall-Polka von Josef Gung´l, dem Gründer der Bad Reichenhaller Philharmoniker. Dann Josef Strauss mit Impromptu für Orchester der Schnell-Polka „Vorwärts“ und der Polka Mazur „Aus der Ferne“. Johann Strauss kommt dann mit dem Egyptischen Marsch, der Polka francaise „Im Pawlowsk-Walde/Im Krapfenwald´l“ und der Russischen Marsch-Fantasie zu seinem vielumjubelten Recht. Die gemeinsam von Johann und Josef Strauss komponierte Pizzicato Polka ist ein weiterer Höhepunkt dieses Vormittags und als Rausschmeißer fungiert von Josef Strauss die Polka schnell „Ohne Sorgen“. Starker Applaus, soweit das bei der so fürchterlichen Dezimierung der Zuschauerzahl, möglich ist, für die Bad Reichenhaller Philharmoniker, ihrem leidenschaftlich auftrumpfenden Dirigenten Christian Simonis und dem kenntnisreichen Straussnachfolger Dr. Eduard Strauss aus Wien.

Drei Tage unter besonderen Voraussetzungen, mit tollen Eindrücken, erstmals fast reinen Strauss-Konzerten, Publikumsrennern und unbekannten Kleinoden lassen alle Besucher das Kommen in keinstem Moment bedauern. In schlimmen Zeiten tolle Konzerte, für die man nur Danke sagen kann. Möge die Musik bald wieder zu ihrem ihr zustehenden Platz kommen, denn in dieser Zeit merkt man erst richtig, was einem die Kultur und die Schönheit der Musik bedeutet.

Manfred Drescher 25.09.2020

Bilder Eigenaufnahmen