Berlin: „Dornröschen“ zum Dritten

Es spricht für den hohen Rang des Berliner Staatsballetts, dass es für Marcia Haydées anspruchsvolle Produktion von Tschaikowskys Dornröschen mehrere gleichrangige Besetzungen offerieren kann. Mit gespanntem Interesse schaute der Ballettomane der achten Aufführung am 24. 6. 2022 entgegen, brachte sie doch das Rollendebüt des neuen Ersten Solotänzers der Compagnie, David Soares, als smarter, feingliedriger Prinz Desiré. Mit ihm hat das Ensemble einen bedeutenden Zuwachs bekommen – einen echten Danseur noble, der schon beim ersten Auftritt starke Präsenz und aristokratische Aura ausstrahlte. Über jede Kritik erhaben ist seine technische Souveränität – seine Gewandtheit, Geschmeidigkeit, die rasanten Drehungen und spektakulären Sprünge. Der Tänzer vereint in seltener Kombination Latino-Sinnlichkeit und romantische Empfindsamkeit. Seine Aurora war Ksenia Ovsyanick – entzückend im Auftritt, anmutig, grazil, gewandt, nur die Balancen im Rosen-Adagio fielen allzu knapp aus. Doch die nachfolgende Variation absolvierte sie souverän und Auroras schwindende Sinne nach dem Stich gestaltete sie besonders eindrucksvoll. Zu den Nummern, welche Haydée in ihrer Fassung nicht angetastet hat, gehört natürlich auch der Pas de deux des 3. Aktes und hier sorgten Ovsyanick und Soares für den Höhepunkt ihrer Darbietung mit majestätischer Attitüde und grandiosen Variationen.

Dinu Tamazlacaru wiederholte seine schon in der Premiere bejubelte Carabosse und sorgte auch an diesem Abend für Beifallsstürme. Effektvoll sogleich der Auftritt und erneut imponierend sein höhnischer, verächtlicher Ausdruck und der Triumph bei Auroras Zusammenbruch. Wieder war Elisa Carrillo Cabrera seine Gegenspielerin als hoheitsvolle Fliederfee. Im Divertissement des letzten Aktes gab es mit Jun Ishii eine Neubesetzung des Ali Baba, der hinsichtlich der Bravour und Effekte seinem Vorgänger in nichts nach stand. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin leitete diesmal Robert Reimer. Auch er konnte Bläsermisstöne nicht verhindern, sorgte aber insgesamt für einen reibungslosen Ablauf. Die feierliche Apothéose am Ende der Musik war der gebührend festliche Schlussakkord dieses glanzvollen Abends.

Bernd Hoppe