Berlin: Celis | Eyal

Premiere 7.9.2018

Verstörender Saisonauftakt beim Staatsballett

Celis/Eyal heißt der neue Abend des Staatsballetts, der am 7. 9. 2018 in der Komischen Oper Premiere hatte und vom Publikum überraschend euphorisch und ohne jeden Widerspruch aufgenommen wurde. Er zeigt zwei Arbeiten von zeitgenössischen Choreografen, die mit ihren Kreationen seit Jahren für kontroverse Meinungen sorgen. Das Tanzstück Your passion is pure joy to me des Belgiers Stijn Celis auf eingespielte Musik von Pierre Boulez, Nick Cave, Gonzalo Rubalcaba und Krzysztof Penderecki wurde 2009 beim Goeteborg Ballet uraufgeführt. Auf der bis zu den Brandmauern leeren Bühne (ebenfalls von Celis) agieren drei Tänzerinnen und vier Tänzer in weißen T-Shirts und verschiedenfarbigen Röcken und Hosen (Kostüme: Catherine Voeffray).

Später werden für Sekunden mehrere Bildtafeln vom dem Schnürboden herabgelassen, die aber sofort wieder verschwinden. Die Bedeutung dieser Aktion erschloss sich dem Zuschauer nicht. Es gibt auch tänzerisch viel szenischen Leerlauf, stehendes Verharren, tastende Schritte, flatternde Hände, Marschieren in der Reihe, Bodengymnastik, zuckende Bewegungen, stürzende Körper. Gegen Ende sieht man ein Paar im Wechsel von enger Umklammerung als Ausdruck der Zuneigung und barschen Reaktionen als Zeichen von Abwehr.

Diesem insgesamt problematischen Einstieg folgte das Tanzstück Half Life der in Jerusalem geborenen Choreografen Sharon Eyal und Gai Behar, das 2017 vom Koeniglich Schwedischen Ballett Stockholm uraufgeführt wurde. In knappsten Trikots und mit Körpertattoos (Rebecca Hytting) zeigen zunächst ein Tänzer und eine Tänzerin in stupider Monotonie sich ewig wiederholende profane Bewegungen, bis sich endlich von rechts eine elfköpfige Tänzergruppe herein schiebt. Deren Bewegungsduktus erinnert in seinen Gliederverrenkungen und Körperverschiebungen an Behinderte. Wie unter Stromschlägen zucken und schlottern die Leiber, werden die Augen schreckhaft aufgerissen – alles noch apokalyptisch verstärkt durch die peitschenden Schläge einer immer mehr anschwellenden Lärmfolie von Ori Lichtik.

Ein geradezu blasphemischer Einfall sind die trippelnden Füße und schwanengleichen Armbewegungen als Zitat aus Tschaikowskys Klassiker, als wollten Eyal und Behar das Publikum damit für den Mangel an wirklichem Tanz entschädigen. Aber dieser Einschub bleibt marginale Episode, und bald fällt das Bewegungsspektrum zurück in das sattsam Bekannte. Immer wieder schließt sich die Gruppe Schutz suchend zusammen. Angstvoll nach oben gerichtete Blicke signalisieren Gefahr und Bedrohung. Einen gewissen Sog kann man dem Stück nicht absprechen, vor allem aber nicht den Tänzern ihr bedingungsloses Engagement und die staunenswerte Präzision.

Bernd Hoppe 11.9.2018

Bilder (c) Jubal Battisti / Staatsballett