Kaiserslautern: „La vie parisienne“

Vorstellung am 22.11.2014 (Premiere am 08.11.2014)

Heiteres aus der Pariser Salonbesetzerszene: Heutiges mit historischer Maskerade

1855 fand in Paris die erste Weltausstellung statt. Jaques Offenbach (eigentlich: Jakob Eberst) war zu diesem Zeitpunkt schon 22 Jahre in Paris und am Théâtre français für Bühnenmusik zuständig. Er sah und ergriff die Chance für ein neues Musiktheater-Genre und eröffnete 1855 zur Aufführung seiner eigenen Stücke das Théâtre des Bouffes-Parisiens. Das richtete sich trotz der Zielrichtung Unterhaltung an das gehobene Publikum: Frack und weiße Handschuhe waren für die Herren Besucher vorgeschrieben. (Die Damen kleideten sich ohnehin mit Chique.) Offenbach entwickelte für sein Theater Buffen und Burlesken aus dem Genre der opéra comique und schuf somit die Operette mit parodistischem Zeitbezug. Das Theater existiert noch heute, und einige der für dieses Theater geschrieben Offenbach-Travestien gehören noch heute zu den Rennern. Offenbachs zynischer Sarkasmus gehörte zum 2nd Empire Frankreichs wie die „Insulaner“ zum Berlin der 50er Jahre. Als es mit diesem Reich vorbei war, war es auch mit Offenbachs zynischen und sarkastischen Buffen vorbei, welche die Welt der Reichen und Schönen konterkarierten.

Stephan Boving (Bobinet); Daniel Böhm (Raoul de Gardefeu)

1867 fand wieder eine Weltausstellung in Paris statt, und wieder wurde wieder ein großer Besucherzustrom aus dem In- und Ausland erwartet. Dem sollte im Pariser Leben viel Abwechslung geboten werden. Das Théâtre du Palais Royal bestellte bei Offenbach und seinen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy ein neues Unterhaltungsstück, das auf vorhandenen Boulevard-Stücken basierte und für das es auch schon Musikeinlagen von Offenbach gab. „La vie parisienne“ wurde schon am 31.10.1866 uraufgeführt. Der Stoff ist aus dem damaligen unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeld von Paris genommen („à Paris, de nos jours“: die wohlhabende Bourgeoisie und der niedere Adel halten Tänzerinnen oder Chansonneusen aus) und mit einem gehörigen Schuss textlichem Realismus gestaltet. Der schwedische Baron von Gondremarck reist mit seiner Frau Christine nach Paris, um dort mit der bekannten Chanson-Sängerin Métella anzubandeln. Am Bahnhof wird er vom Lebemann Raoul de Gardefeu abgefangen, der sich als Fremdenführer ausgibt und das Ehepaar mit zu sich nach Hause nimmt, angeblich eine Dépendance des Grandhotels. Gardefeu hat es auf Christine abgesehen. Métella war zwischendurch auch mit Gardefeus Freund Bobinet liiert, möchte aber zu Gardefeu zurückkehren. Mit einer großen Gästetafel mit gefälschten Promis will Gardefeu die Schweden beeindrucken; ebenso Bobinet, der im Salon der Madame Quimper-Karadec ein Riesenfest mit großer Maskerade veranstaltet. Zum Schluss verzeihen alle allen die nicht stattgefundenen Seitensprünge. Eine ganze Reihe weiterer Personen mit ausdrucksstarken Namen füllt das Geschehen auf.

Stephan Boving (Bobinet), Monika Hügel (Gabrielle), Astrid Vosberg (Métella), Damen des Chors und des Balletts

Die eher belanglose Handlung ist in fünf Akte oder Tableaus gegliedert, die aus der Komik der Situation und durch die vielen Anspielungen leben. Da diese bezüglich der Napoleon-III-Zeit vor allem in Deutschland nicht mehr so gut verstanden werden, wird bei Bearbeitungen heute meistens ein textlicher Zeitbezug hergestellt und der Stoff aktualisiert. Die Uraufführung des Stücks geriet zu einem grandiosen Erfolg. Allein in der Urfassung (die Zahl der späteren Umarbeitungen und Kürzungen ist sehr unübersichtlich) fanden bis 1869 323 Vorstellungen statt. Auch Napoleon III und der russische Zar waren unter den Besuchern.

Für die Lauterer Produktion hat der Regisseur Andreas Bronkalla Teile des gesprochenen Texts neu übersetzt und gestrafft, aber dabei auf kabarettistische Anspielungen verzichtet. Er verlegt die Handlung des Stücks nicht räumlich, sondern nur zeitlich, nämlich ins Paris der Gegenwart. Heiko Mönnich hat ihm dazu einen rechteckigen verglasten Bühnenraum zur Verfügung gestellt, in welchen ja nach Szene die passenden Kulissen herabgelassen und spärliches, aber typisches Mobiliar gestellt wird. Im ersten Akt soll das schwedische Ehepaar eintreffen (wo, ist im Libretto genauestens definiert: La gare du chemin de fer de l’Ouest. Rive gauche – heute: Gare Montparnasse) – auf einem Bahnhof mit moderner Anzeigetafel, aber architektonisch einer Metrostation gleichend. Das ist penibler Realismus, denn man kommt ja heute nicht mehr mit dem Zug von einer Hafenstadt an der gare Montparnasse an, sondern mit dem RER vom Flughafen Roissy in die Stadt! Auch die Kostüme der Darsteller (Ursula Beutler) zeigen zunächst einen tristen Gegenwartsrealismus. Das ändert sich später in den vielen Maskeraden und vor allem beim Chor, der sich mehrfach in fantasievolle bunte Kleider umziehen muss, aber zunächst auch als realistische Lungergesellschaft inkl. Clochard am Bahnhof rumhängt.

Alexis Wagner (Baron vonGondremarck), Stephan Boving (Bobinet); Damen des Balletts

Die Gästetafel des zweiten Akts bei Gardefeu ist spärlichst möbliert; der von Bobinet veranstaltete Salon lebt von der Chormasse in ihren Kostümen. Die Akteure haben sich aus der Gegenwart verabschiedet und in Kostüme der Entstehungszeit verkleidet. Im vierten Akt, der vielfach gestrichen wird, geht es etwas ungelenk wieder in den Salon Gardefeus zurück. Am besten gelungen ist der fünfte Akt im Festsaal des Café Anglais, wo der wendige Barkeeper die letzten Verwicklungen auflöst.

Leider hält die Regie das Geschehen nicht durchgängig in Schwung. Da die Handlung nicht spannend und der Text unaufregend, manchmal gar platt ist, bleibt alles am Bühnengeschehen hängen. Und trotz vieler guter Einzelleistungen der Schauspieler reicht das Gesamtbild nicht aus. Es genügt nicht, wenn Chor und Darsteller immer wieder in eintöniger Gruppendynamik hüft- und kniewackelnd über die Bühne geschickt werden – an die Rampe und bis auf den vorderen Orchesterumgang. Da müsste mehr Schwung, Fantasie und Witz rein. Dabei wurde die Szenerie mit durchaus geschickten Ballett-Szenen aufgemischt, die nicht steril als einzelne Ballettnummern zu den vielen Tanzmusikstücken kamen, sondern gekonnt in das Gesamtgeschehen auf der Bühne integriert waren. Was der Chor zu singen hatte, blieb leider textlich unverständlich. (Einstudierung: Ulrich Nolte) Das zehnköpfige Tanzensemble des Theaters stellte hingegen in seinen Szenen jeweils ein erfrischendes Element dar (Choreographie: Stefano Gianetti).

Auch das was aus dem Graben zu hören war, blieb über große Strecken von Pfeffer und Verve einer Offenbachiade entfernt. Rodrigo Tomillo am Pult des Pfalztheater-Orchesters brachte zwar ein recht inspiriertes Dirigat ‘rüber, aber der echte Offenbach-Schmiss fehlte. Zudem lief es an den Stellen, wo er es mit rasanten Tempi versuchte, mit der Bühne, vor allem dem Chor nicht mehr zusammen. Die Quadrillen, Walzer, Polken, Mazurken und Cancans, die Couplets, die kurzen prägnanten Melodien; alles das hätte noch mehr funkeln können.

Monika Hügel (Gabrielle), Günther Fingerle (Joseph Partout), Damen des Chors und des Ballets

Das Personaltableau der Operette ist in der Originalversion sehr unübersichtlich. Durch gelinde Straffungen und Rollenzusammenlegungen gelang es dem Regisseur, der ja auch Chefdramaturg am Pfalztheater ist, hier einigermaßen Klarheit zu schaffen. Bei genauem Hinschauen auf die Liste der Darsteller stößt man auf eine gute alte Tradition der kleineren Theater. Da muss ein Mitarbeiter auch mehrere Funktionen ausfüllen können. So spielte der Pressesprecher des Hauses, auch gelernter Schauspieler, eine der Hauptrollen, und der Erste Kapellmeister tritt in einer komischen Bühnenrolle auf. Das ist Theater! Und neben dem Ballett trugen die Einzelleistungen der Solisten auch die Qualität des Abends, wobei naturgemäß die Sänger jeweils besser im Singen waren, obwohl sie auch durchweg auch ihre Sprechpartien gut beherrschten (fast durchweg deutsche Muttersprachler), und die Schauspieler besser im Sprechen. Fast das gesamte Lauterer Sängerensemble war aufgeboten.

Vor allem die Sängerinnen gefielen. Monika Hügel gab eine silbrig-glitzernde Gabrielle und gefiel mit ihrem lebendigen Spiel. Astrid Vosberg, ein Kaiserslauterer Gewächs, die auch im Schauspielensemble des Theaters mitwirkt, gefiel mit ihrem dunklen Sopran als Métella und gefiel in der Art, wie sie die „Herren“ an der Nase herumführte. Arlette Meißner gab die Baronin Christine und konnte mit ihrem klaren schön fokussierten Sopran punkten, dessen Timbre sich zwischen ihren beiden Kolleginnen ansiedelte und gut abhob. Darstellerisch verlieh sie der herablassenden Baronesse das geeignete Profil. Extrabeifall erhielt Geertje Nissen als resolute Madame de Quimper-Karadec. Mit ihr war gar nicht zu spaßen; passend dazu ihr kräftiger Mezzo.

Pierre-Eric Monnier (Mme de Folle-Verdure), Arlette Meißner (Baronin Christine), Geertj Nissen (Mme de Quimper-Karadec)

Daniel Böhm verlieh dem Raoul de Gardefeu seinen eleganten wendigen Bariton; schauspielerisch fehlte es ihm indes etwas an Ausstrahlung, um den Salonlöwen zu beglaubigen. Leichter hatte es Stephan Boving, mit eher bronzenem Buffotenor als Gast von der komischen Oper Berlin, der seinen Freund Bobinet recht beweglich darstellte, insgesamt aber blass blieb. Alexis Wagner als Baron von Gondremarck mit kraftvollem, deutlichem Bass, verkörperte gewisse Züge eine Anti-Galans; dass er bei Métella nicht landen konnte, erstaunte nicht. In den zwei Rollen als Schuster Frick (im französischen Original soll er mit seinem deutschen Akzent Lacher erzeugen, was hier nicht funktioniert) und dem reichen Brasilianer Pompa di Matadores gefiel Peter Flochs kräftiger nicht zu heller Charaktertenor. Pierre-Eric Monnier, im Hauptberuf 1.Kapellmeister des Orchesters, gab als Knallcharge die Madame de Folle-Verdure (texto: das verrückte Grünzeug) und bewies, dass er auch über einen sonoren Bariton (gesprochen) verfügt. Bleibt noch über Günther Fingerle zu berichten, auf den die Regie drei Rollen konzentrierte, die vom „Fremdenführer“ Joseph Partout (Josef Überall), bis zu der des Barkeepers Alfred, die dort zur Hauptrolle wurde. Weniger stimmgebildet ist sein Bariton, aber wenn der letzte Akt mit zum Besten des Abends wurde, war das nicht zuletzt sein Verdienst. Wendig und mit natürlich anmutender Spielfreude zeigte er sich hier in seinem Element.

Die nächsten Vorstellungen in Kaiserslautern sind am 26.11. und 02.12., dann noch weitere acht Mal in dieser Spielzeit.

Manfred Langer, 24.11.2014
Fotos: Hans-Jürgen Brehm-Seufert