Heilbronn: „Dialogues des Carmélites“

Die Befreiung von der Angst durch Glaube und den Opfertod

Francis Poulencs zweite und bekannteste Oper Dialogues des Carmélites wurde im Auftrag von Ricordi für die Mailänder Scala komponiert und dort in italienischer Sprache uraufgeführt, ehe sie wenige Monate später in Paris in der französischen Originalversion herauskam. Die Handlung basiert auf einem historischen Ereignis. Unter dem Vorwand, eine konterrevolutionäre Verschwörung angezettelt zu haben, wurden am 17. Juli 1794 Nonnendes Karmeliterordens von Compiègne in der Nähe von Paris guillotiniert; ein Stoff, den Getrud von Le Fort in eine Novelle fasste („Die Letzte am Schafott“, 1931) und der wiederum zur Grundlage zu einem Bühnenstück von Georges Bernanos wurde (Dialogues des Carmélites – Die begnadete Angst). In einem urheberrechtlich schwierigen Umfeld erstellte Poulenc das Libretto selber, wobei er auch ein Filmszenarium von Philippe Agostini und Pater Raymond Bruckberger verarbeitete. Poulenc hatte sich 1936 dem Katholizismus zugewandt und befand sich nun mit den vorgenannten Autoren in einer Gruppe Geistesverwandter. Als „Opfergang einer Nonne“ mit Jeanne Moreau als Mère Marie ist der Stoff auch verfilmt worden.

Im Salon des Marquis de la Force

Das Stück thematisiert die Frage nach Gott sowie die Angst: die Angst vor dem Leben und die Angst vor dem Tod und die Überwindung der Angst. Die zentrale Gestalt des Geschehens ist die furchtsame Adligentochter Blanche de la Force, die bei den Karmelitinnen ein ruhiges, von Angst befreites Leben sucht. Als Schwester „Blanche vom heiligen Sterben Christi“ entflieht sie den Schwestern, als die alle das Gelöbnis des Märtyrertodes leisten. Aber im letzten, Augenblick, als ihre Schwestern zur Hinrichtung geführt werden, besiegt sie die Angst durch göttliche Gnade; sie bekennt sich inmitten der grausamen Revolutionäre zu Gott, überwindet die Todesangst und schreitet als letzte zum Schafott. Die Oper ist zwar in drei Akte gegliedert, aber mit ihren 12 Bildern (bei Bernanos noch 36!) und vier Zwischenspielen folgt sie keiner klassischen Dramaturgie; es handelt sich eher um eine Folge von überlangen Filmszenen.

Regie führt Matthias Kaiser, Operndirektor am Theater Ulm. Er hat sich von Marianne Hollenstein einen großen weißen Kasten als Einheitsbühnenbild bauen lassen. Mit kleinen Wechseln in der Möblierung zwischen den einzelnen Bildern, unterstützt durch teilweise abrupte Lichtwechsel (Licht: Klaus Welz), machen sie die einzelnen Handlungsorte (Wohnung der Adligen, verschiedene Räume im Kloster, Gefängnis, Richtplatz) verständlich und betonen die szenische Dramaturgie. Zunächst hängen im Salon des Marquis de la Force wie in einem Museum Familienbilder an den Wänden; später ist alles weiß übertüncht, ehe die Spuren der Verwüstung durch die Revolution das Bild verdunkeln und die Wände gar mit blutbespritzten Folien abgehängt werden. Der Chor der Karmelitinnen ist ganz stilisiert in Weiß gekleidet, ebenso wie die namentragenden Nonnen. Die Unterscheidbarkeit der Figuren ist nicht immer einfach. Als sie von den Revolutionären von Nonnen zu „Bürgerinnen“ befördert werden, kommen unter den Trachten hübsche zeitgemäße Kostüme heraus, während die Männer des Geschehens sich durch funktionale Kostüme dunkel abhoben (Kostüme: Angela C. Schuett). Das vorherrschende Weiß der Inszenierung spielt sicher auf die Protagonistin Blanche an und symbolisiert Reinheit.

Maria Rosendorfsky (Blanche); Susanne Schimmak a.G. (Mme.de Croissy)

ialogues des Carmélites ist kein Revolutionsoper, sondern ein Seelen- und Beziehungsdrama, in das die Ereignisse der Revolution gewalttätig eindringen. Matthias Kaiser erzählt die von vielen Vorhängen gegliederte Geschichte um Angst, Glauben und Opferbereitschaft in starken, eindringlichen Bildern gewissermaßen als Rückblick aus der Gegenwart, die quasi in einem Museumsraum anfängt, in dem in einer Ecke weiße Stapelstühle aus Plastik aufgestellt sind. Zu den Ereignissen wird streckenweise durch Stilisierung Abstand gehalten, aber zwischendurch kommen zu der sehr emotionalen Musik auch drastische Szenen: der Tod der Madame de Croissy, das zynische Auftreten der Revolutionskommissare, obwohl das reine Nebenrollen sind, sowie das Ende, bei welchem die Nonnen eine nach der andern unbewegt aus dem Gefängniskeller nach oben zu Exekution schreiten, wobei ihnen ein immer stärker anschwellender Blutstrom über die Treppe entgegenrinnt. Hierzu kommt ein geradezu schaudernmachender Realismus der Musik. Zum immer dünner werdenden Gesang laudate dominum erklingt das Niedersausen des Fallbeils.

Ensemble

Puristen der Avantgarde-Musik der Nachkriegszeit konnten Poulencs zugegebenermaßen eklektischer Musik nicht viel abgewinnen. Aber wann hört man heute Stockhausen oder Boulez? Poulencs drei Opern, wenn auch nicht Standardrepertoire, werden indes regelmäßig aufgeführt. Die Partitur der Dialogues ist süffig gesetzte Musik, die von populären Rhythmen, eingängiger Leitmotivik und opulenter Orchestrierung einerseits und zarten Lyrismen andererseits geprägt ist. Selbst mit konventionellen Hörgewohnheiten kommt die immer tonale Musik nicht in Konflikt – trotz einiger dissonanter Reibungen. Melodik in den Vokalstimmen und den orchestralen Begleitlinien und verführerische harmonische Rückungen versprühen ihren Reiz. Das Philharmonische Orchester der Stadt Ulm unter seinem GMD Timo Handschuh fand stets den richtigen Ton für die vielen Facetten der Partitur und gestaltete die Orchesterbegleitung ebenso spannend wie schönklingend. Prägnantes Schlagwerk, saubere Holzbläser, feierlich sanftes Blech und satte Streichergrundierung und alles präzise, sauber und mit großer Inspiration durchmusiziert. Besonders überzeugend erschien die ausgewogene Dynamik des Dirigats von filigranen Piani (ein Orchester, das auch piano spielen kann!) bis zu den opulenten Tutti. Bei dieser Gesamtleistung kann man nur gratulieren und über wenige Unsauberkeiten der Hörner hinwegsehen. Vom sechzehnfachen Fallen der Guillotine ließ Handschuh nur den ersten mit gewaltiger Intensität musizieren und betonte dann noch einmal den letzten Fall, während die anderen zum immer dünner werdenden Gesang der Schwestern fast friedlich klangen. Der um Sängerinnen des Extrachors verstärkte Damenchor des Ulmer Theaters (Einstudierung Hendrik Haas) überzeugte mit butterweicher Intonation, Präzision und Klangschönheit.

Ensemble

Vierzehn Gesangssolisten verlangt das Libretto; fast alle waren aus dem Ulmer Ensemble besetzt. Aus dem erstaunlichen Gesamtniveau der vokalen Leistungen reichten einige noch deutlich heraus. Da ist zunächst Maria Rosendorsky zu nennen, die für die Rolle der Blanche nicht nur ihre zarte idealtypische Bühnenerscheinung und ihr feines, expressives Spiel auf der Habenseite vorwies, sondern auch mit ihrem schön ansprechenden silbrigen lyrischen Sopran und schlanker Stimmführung begeisterte. Susanne Schimmack als Gast beherrschte stimmlich und darstellerisch ausladend als alte Priorin Mme de Croissy zwei der Bilder des ersten Akts. Sie verfügt über einen großen Tonumfang und konnte mit den weichen Tiefen ihrer Stimme, großer Ausdrucksstärke und dramatischer Wucht ebenso gefallen wie mit ihrem Aufleuchten. Den Tod in der Badewanne hat sie erschütternd gespielt! Die ukrainische Sopranistin Oxana Arkaeva gab etwas kalt und herrisch die neue Priorin Mme. Lidoine, stimmlich samtig grundiert und mit großer Kraft, aber nicht ohne Schärfe bei den Spitzentönen. Alexander Schröder gefiel mit seinem recht hellen, klaren geschmeidigen lyrischen Tenor als Chevalier, Bruder von Blanche. Rita-Lucia Schneider gestaltete die Mutter Marie einfühlsam mit weichem Mezzo. Edith Lorans gefiel mit ihrem klaren, leichtgängigen, wenn auch etwas stahligen Sopran als Schwester Constance und spielte sie quicklebendig. Tomasz Kałuzny mit schönen Tiefen seines Baritons und schauspielerischer Konzentration war verlässlich als Marquis de la Force, Vater von Blanche; etwas schwächer Hans-Günther Dotzauers Tenor als der Beichtvater . In weiteren Rollen Eleonora Halbert mit schön fokussiertem Alt als Mutter Jeanne und Don Lee mit kerniger Tiefe seines Baritons, aber stark muttersprachlich eingefärbter Höhe in den drei Rollen 2. Kommissar, Kerkermeister und 1. Offizier. Dazu kamen noch der Diener Thierry (Emanuel Pichler), der Arzt (Michael Burow-Geier) und die Schwester Mathilde (Chiao Shih) als sehr ordentliche Besetzungen dieser Nebenrollen sowie mit dünnem Tenor Girard Rhoden als 1. Kommissar.

Voller Angst: Maria Rosendorfsky (Blanche) im verwüsteten Salon ihres Vaters

Leider war die Premiere nur mäßig besucht, aber es ist zu hoffen, dass durch Mundpropaganda für die vorzügliche Produktion noch mehr Interesse geweckt werden kann. Den sehr herzlichen langanhaltenden Beifall hatten sich die Mitwirkenden jedenfalls verdient. Einen Besuch kann man trotz des wenig heiteren Stoffs wegen der Eindringlichkeit des Werks nur empfehlen und noch nachholen an den folgenden Terminen: 08. und 24. 10. sowie 10.11.13 jeweils um 19h00.

Manfred Langer, 07.10.2013

Fotos: Hermann Posch (Bild 1, 3) Jochen Klenk (Bild 2, 4, 5)