Remscheid: „Alice“

Rausch der Bilder und Klänge

Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart in Koproduktion mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg und Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen – UA 25. Juni 2014

Choreograph Mauro Bigonzetti hat Lewis Carrolls Alice-Erzählungen „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ mit dem exzellenten Ensemble der Stuttgarter Gauthier Dance Company zu einem in wahrsten Wortsinn phantastischen Tanzstück verwoben. Unterlegt und begleitet von kraftvoll erdiger Musik aus dem Süden Italiens, spanischen un

d französischen traditionellen Liedern und eigenwilliger Instrumentation (Akkordeon, Tamburin, Cuica, Trommel, Kastagnetten, Harfe, Flöte und Baumarktfagott) öffnet Bigonzetti ein großes erzählerisches Panorama. Dahindurch eilen suchend die doppelte Alice (Anna Süheyla Harms und Garazi Perez Oloriz), treffen das die Geschicke der Phantasie leitende Kaninchen (Rosario Guerra), der ans Morgensternsche Nasobem („Auf seinen Hüten schreitet einher…“) erinnernde sanfte Hutmacher (Florian Lochner) – die herrische Königin (Anneleen Dedroog) und das ganze abgedrehte Personal der Geschichten.

Antongiulio Galeandro, ein kreativer Multiinstrumentalist der Sonderklasse, vertont den Einstieg oder sollte man sagen: den Sturz in die Zauberwelt mit einem traumhaft klopfenden Flötensolo, bevor er an anderen Instrumenten, vor allem am Akkordeon brilliert. Ohne seine Live-Musik und die der Sängerinnen Enza Pagliara, Cristina Vetrone, Enza Prestia und Lorella Monti bliebe es ein immer noch berückendes Ballett-Erlebnis, doch die Unmittelbarkeit der Impressionen ist ihnen geschuldet.

Einher mit den Gänsehaut verursachenden Melodien und rhythmischer Perkussion gehen surreale Video-Projektionen – Illusionen von den beiden scheinbar untrennbar verbundenen Alices durcheilter Räume, sich auflösender Bibliotheken, Tänze unter Wasser, Irrgärten. Modernes Tanztheater mischt sich mit klassischen Elementen, Equilibristik und herrlichen Pas de deux. Coppelia-Zitate sind so unübersehbar und durch eine Lochstreifen-Spieldose unüberhörbar wie Metaphorik und Haar-Symbolik. Die hoch gewachsene Anna Süheyla Harms, eine Schönheit mit langem rotem Haar und ihr zierliches blondes Pendant Garazi Perez Oloriz, die Verkörperung von Wirklichkeit und Traum darstellen, taumeln mit Eleganz und Virtuosität durch die rätselhafte Zwischenwelt, bekommen am Ende als Lohn das magische Buch mit den Spiegeln und des Hutmachers Hut.

Gut zweimal 45 Minuten dauert der wirbelnde Spuk, in denen die Künstler samt und sonders Tanz in höchster Vollendung zeigen, Soli, Pas de deux von großer Delikatesse und Ensemblenummern, in denen sie sich wie ein einziges organisches Gebilde/Wesen bewegen, atmen. Man nimmt unerhört schöne Bilder mit, was das begeisterte Publikum schon zur Pause zu anhaltendem Applaus bewegte, am Ende aber zu wahren Jubelorgien führte, mit denen man die Truppe auch nach einer kleinen Zugabe, einer Teestunde beim „Mad Hatter“, kaum von der Bühne lassen wollte. Ein großer Erfolg auch wieder für das Remscheider Theater und sein erlesenes Ballett-Programm.

Fotos: Regina Brocke