Lieber Opernfreund-Freund,
die niederländische Operazuid, die Theater von Breda bis Venlo bespielt, wartet derzeit mit einer gewagten Kombination auf: Sie paart Puccinis Opernerstling Le Villi mit der Uraufführung einer neuen, gut zwanzigminütigen Komposition namens Silenzio. Die Kombination hat durchaus ihren Reiz, deshalb habe ich mir die Premiere in Eindhoven gerne für Sie angesehen.

Die junge, im mittelfränkischen Treuchtlingen geborene israelisch-niederländische Komponistin Karmit Fadael erzählt in Silenzio die inneren Nöte einer Frau, die durch einen Wald irrt, und erinnert in ihrem Setting an Schönbergs Erwartung. Doch die kurze Komposition, die ich eher als Vorspiel, denn als eigenes Werk bezeichnen möchte, ist ganz auf Puccinis Le Villi abgestimmt: es handelt sich um Anna, die junge Braut, die in Puccinis Werk von ihrem Vorlobten verlassen wird und an gebrochenen Herzen stirbt. Die Geister entehrter Jungfrauen rächen sie daraufhin, indem sie den Treulosen zu Tode tanzen. Fadaels Silenzio besticht durch sphärische Klänge und weite Melodienbögen, wie sie auch Puccinis Werk aufweist, bleibt weitestgehend tonal mit stark expressionistischen Zügen. Das One-Woman-Stück wird auf Englisch und Italienisch gesungen und teilweise gesprochen und ist atmosphärisch dicht gewebt. Und doch mag der Link zu Le Villi nur bedingt gelingen. Das liegt vor allem an der völlig unnötigen Pause, die die Produktion nach weniger als einer halben Stunde für ebenso lange unterbricht und damit eine Symbiose der beiden Werke unmöglich macht.

In Puccinis Le Villi betont die Produktion der Operazuid den Tanzcharakter des Stücks, das mit Tänzen in einem Schwarzwalddorf beginnt und mit den Tänzen der Willis endet. Die Regisseurin und Choreografin Dreya Weber ist dabei ein großer Coup gelungen: die halsbrecherischen, an Akrobatik erinnernden Choreografien verweben sich mit schleierartigen Schals, die von der Decke hängen und durch das ausgetüftelte Licht von Bretta Gerecke wie Bäume erscheinen. So werden sie schon in Silenzio zum Wald, öffnen sich in Le Villi bald wiederholt zur Seite, schaffen neue Räume und lassen so die Bühne immer wieder neu erscheinen. Marrit van der Burgt hat farbenfrohe Kostüme geschneidert, die die originelle Choreografie zusammen mit durchdachter Personenregie ergänzen und für lebendiges Musiktheater sorgen.

Meine persönliche Entdeckung des Nachmittags ist die junge Sopranistin Silvia Sequeira, die neben Puccinis Anna auch die Figur in Silenzio verkörpert. Als sie da zu den ersten Tönen ansetzt, erscheint mir ihr Sopran noch recht dramatisch für die Rolle der jungen Frau, die sie wenig später darstellen soll. Doch die junge Künstlerin hat ihrem an sich klaren, ausdrucksstarken Sopran die düsteren Farben und eine gewisse Schwere nur beigemischt. Nach der Pause ist sie stimmlich ganz die Unschuld vom Lande, die mich mit nicht enden wollendem Atem und herrlichsten Piani verzaubert, und stellt damit ihre enorme Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Denzil Delaere, der Roberto der Produktion, wird als schwer erkrankt angesagt und das ist deutlich zu hören. Allenthalben verfällt der junge Sänger eine Oktave nach unten, wenn Puccini tenoralen Höhenglanz verordnet hätte – doch im Stimmumfang fehlt es seiner Tiefe dann an der nötigen Klarheit, so dass ich über seine sängerischen Qualitäten an dieser Stelle gar nicht urteilen mag. Vielleicht wäre ein von der Seite singender Ersatz die bessere Wahl gewesen, doch so hat die Premiere zumindest nicht abgesagt werden müssen. Ivan Thirion komplettiert das kleine Solistenensemble als Vater Guglielmo mit sonorem, Ehrfurcht gebietendem Bariton.

Der von Puccini vorgesehen Erzähler entfällt in dieser Produktion, da das, was zwischen Robertos Abschied und Annas Tod im sündigen Mainz (man stelle sich das heute vor) passiert, von den exzellenten, ausdrucksstarken Tänzerinnen und Tänzern dargestellt wird. Die Damen und Herren des von Jori Klomp betreuten Chores haben indes nicht nur zu singen, was sie hervorragend tun, sondern ebenfalls allerhand zu tanzen und begeistern mich damit nicht minder. Im Graben hält Karel Deseure die Fäden fest zusammen, lässt Silenzio beinahe spätromantisch klingen und verleiht Le Villi einen spritzig-frischen Anstrich. Das Publikum im ausverkauften Parktheater ist am Ende der Vorstellung begeistert und nicht mehr auf den Stühlen zu halten – und auch ich empfehle Ihnen diese Produktion, die noch bis Mitte Juni an verschiedenen niederländischen Theatern zu sehen sein wird.
Ihr
Jochen Rüth
20. Mai 2025
Silenzio
Vorspiel von Karmit Fadael
und
Le Villi
Oper von Giacomo Puccini
Produktion der Operazuid
Parktheater Eindhoven
Premiere: 18. Mai 2025
Regie und Choreografie: Dreya Weber
Musikalische Leitung: Charles Deseure
Philsouth