Premiere am 14. September 2019, besuchte Aufführung am 22. September 2019
Pappkönige statt Masken
Im Gegensatz zu manchen früheren Opern Giuseppe Verdis entwickelt sich die Handlung des melodramma Un ballo in maschera (Ein Maskenball) konsequent und plausibel, wohl weil der Textdichter Antonio Somma sich auf ein Drama des theatererfahrenen Eugène Scribe bezog. Allgemein bekannt dürfte sein, daß darin König Gustav III. von Schweden als Titelheld genannt wurde und Verdi gezwungen durch Zensurbeamte die Handlung nach Boston verlegen mußte, sodaß nun kein König Gustav sondern ein Gouverneur Riccardo auf der Bühne ermordet wird.
In Münster versuchte Regisseur Marc Adam beides zu verknüpfen, indem ein Machthaber namens Riccardo seinen Hofstaat zwang, Scribe´s Drama über den theaterbegeisterten König Gustav auf einer dafür in seinem Arbeitsraum errichteten Bühne (Monica Gora) aufzuführen und selbst dessen Rolle spielte – wieder einmal Theater auf dem Theater!
Trotz seiner Kürze mit dem u.a. vom Orchester unter Leitung von GMD Golo Berg exakt gespielten Fugato des Staccato-Themas der damit als rückwärtsgewandt charakterisierten Verschwörer wurde das Vorspiel damit bebildert, daß Riccardo links am Bühnenrand das Kostüm König Gustavs anlegte. Dieses legte er dort zum Schluß sterbend wieder ab. Damit starben in einem der dargestellte König und sein Darsteller. Diese Idee vom Theater auf dem Theater blieb indes bis auf diese beiden Szenen beschränkt ohne Konsequenz für den Rest der Inszenierung, etwas Umkleiden und Blättern im Dramentext half da auch nicht viel weiter. Vielmehr wurde die Handlung ganz konventionell und manchmal mit viel Herumstehen fast langweilig dargestellt.
Bis auf Rokoko-Anklänge im Schlußbild waren Kostüme ebenso wie das Einheitsbühnenbild in ebenfalls langweiligem Schwarz bis Grau gehalten. Wahrsagerin Ulrica trat etwa zuerst auf auch in grauschwarz auf einem hohen Turm bewegungslos wie ein Götzenbild. Dämonische Züge erhielt ihre Szene weniger durch reichlich Bühnennebel als durch das kontrastreiche Orchestervorspiel und den dunkel-timbrierten voluminösen Mezzo von Monica Walerowicz , hier besonders in der Beschwörungs-arie Redell´abisso (König des Abgrunds) bis hin zum ganz tiefen Ton bei silenzio. Der begleitende Damenchor war unter ihr wie in einem grossen Reifrock platziert.
Auch die unheimlich Friedhofsatmosphäre des zweiten Akts wurde mehr durch das Vorspiel des Orchesters als durch die vom Finale des ersten Akts übriggebliebenen jetzt als Grabsteine grauweiß geschminkten Chormitglieder beschworen.
Erfreulicher waren die Gesangsleistungen und da ist vor allem Filippo Bettoschi als Renato zu loben. Warmes Timbre und sorgfältige Phrasierung beim langsamen Tempo überzeugten gleich in seiner Freundschaftsarie für Riccardo Alla vita (Für dein Glück). Ebenso gelang schnelles Parlando gegen Ende des zweiten Akts. Gegensätzliche Stimmung zwischen wilden Rachegefühlen gegen Riccardo und traurige Erinnerung an die frühere Liebe zu Amelia drückte er stimmlich gekonnt aus in seiner grossen Arie im dritten Akt Eri tu (Nur du). Da auch die Verschwörer mit Christoph Stegemann als Tom und Gregor Dalal als Samuel passend besetzt waren, folgte ein wuchtiges Racheterzett.
Auch das verhinderte Liebespaar konnte sich hören (und auch sehen) lassen. Kristi Anna Isene als Amelia verfügte über die notwendige Stimmkraft gegenüber dem hier im Verhältnis zu Verdis früheren Opern stärkerem Orchester und dem Chor. Bei Spitzentönen glaubte sie manchmal forcieren zu müssen. Beeindrucken konnte sie besonders mit leiseren Tönen und langen Legatobögen, etwa in der Friedhofsarie zu Beginn des zweiten Akts hier auch mit passender Tiefe und dem grossen Stimmsprung bei miserere. Das galt noch mehr für ihre grosse Arie mit der Bitte, noch einmal ihren Sohn sehen zu dürfen, zu Beginn des dritten Akts, mit bewundernswerten p-Stellen und ohne Orchesterbegleitung getroffenen Spitzenton. Auch Garrie Davislim als Riccardo verfügte stimmlich vor allem über kräftige sichere Höhe und gefühlvolles Legato. Auch Leichtsinn gegenüber der Todesdrohung ausdrückende Passagen wie etwa das elegante E scherzo è folie (Nur Scherze sind´s) gelangen. So wurde das grosse Liebesduett im zweiten Akt zum Höhepunkt des Abends, auch im Wechsel von ff- und pp-Gesang, kulminierend im emotionalen Liebesaufschrei der beiden bei t´amo und irradiami.
Auch anders als in früheren Opern zeigt Verdi mit der Hosenrolle des Pagen Oscar heiteren Gegensatz zum üblichen tragischen Dreieck Tenor, Bariton und Sopran. Hiermit konnte besonders im zweiten Teil Marielle Murphy brillieren, so etwa mit Trillern und Staccato bei Ankündigung des Maskenballs im dritten Akt, wo sie sich parallel mit Amelia singend bis zu hohen Spitzentönen gegen die Verschwörer behauptete. Ebenso gelang während des Balls die Kanzone mit Gegensatz zwischen ironischem Legato und kecken Staccato-Koloraturen.
Aufhorchen ließ in der kleinen Partie des Silvano Valmar Saar mit gut geführtem Bariton.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten Chor und Extrachor in der Einstudierung von Joseph Feigl mit rhythmisch exaktem Gesang im zweiten Akt überzeugen. Auch das schnelle vivacissimo des Finales gelang. Hier war der Chor, in bunten Kostümen schreitend (Pascale-Sabine Chevroton), nicht etwa maskiert, sondern die Chormitglieder versteckten sich hinter mannsgrossen Pappbildern des Königs, sodaß Renato ohne die Auskunft Oscars nicht hätte wissen können, wer Pappkönig und wer der echte König war, den er ermorden wollte.
Ganz hinten oben im Schlußbild thronte Ulrica jetzt ganz in weiß. Zwecks Erfolgskontrolle ihrer Prophezeiung sah man sie dann zum Schluß beim sterbenden Riccardo.
Wie schon angedeutet gingen die melodischen, rhythmischen und emotionalen Impulse vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von GMD Golo Berg aus. Seine Tempi entsprachen wohl den von Verdi selbst festgelegten Metronom-Angaben. Zu bewundern waren Soli einzelner Instrumente, so des Englisch Horn bei Amelias Friedhofsarie, des Cello bei ihrer Arie im letzten Akt, von Flöte und Harfe beim kantablen Mittelteil von Renatos Arie oder der Klarinette bei Riccardos letzten Worten.
Das Publikum spendete wenig Szenenapplaus, dafür war der Beifall nachher einschließlich Bravos umso kräftiger. Es war auch kein übliches zahlendes Publikum, sondern der Oberbürgermeister hatte wie jedes Jahr einmal Honoratioren aus Münster und Umgebung eingeladen, die das Parkett und den ersten Rang füllten. In seiner Begrüssungsrede ging es vor allem um den Neubau eines Konzertsaales mit Musik- und Musikhochschule, die unter dem Namen Musikcampus zusammen mit der Universität ausserhalb der Stadt gebaut werden soll, obwohl in der Nähe des Theaters ein passendes Grundstück verfügbar wäre.
Sigi Brockmann, 23. September 2019
Fotos Oliver Berg