Münster: „Die Entführung aus dem Serail“

Premiere 18. Mai 2019

Heute mal: Die Entführung aus der Beziehungskiste

Am vergangenen Samstag war am Theater Münster wieder Premiere eines Bühnenwerks von Mozart, dem Singspiel Die Entführung aus dem Serail auf ein Libretto frei nach C. F. Bretzner bearbeitet von J. G. Stephanie d. J. Die musikalische Leitung hatte dieses Mal Stefan Veselka. Im Gegensatz zum veralberten Don Giovanni fast genau vor einem Jahr deutete Regisseur Philipp Kochheim das bekannte Singspiel sehr ernsthaft um.

Langjährigen westfälischen Opernbesuchern ist er noch vom Opernhaus Dortmund während der Intendanz von John Dew u.a. bekannt durch seine Mitwirkung an einer Oper über Willy Brandt und an einer über R. Wallenberg, dem Retter ungarischer Juden vom Holocaust. Inzwischen ist Kochheim Intendant der Dänischen National Oper (den Jyske Opera) Aarhus, die auch diese Inszenierung übernimmt.

Erfreulicherweise blieb dem Zuschauer erspart, daß das zur Zeit Mozarts beliebte für orientalisch gehaltene dekorative Flair von Schauplatz und einzelner Musik-Nummern (Türkenmusik) aktualisiert wurde zur Darstellung von islamischer Clan-Herrschaft in Großstadt-Vierteln oder brutaler Mißhandlung von Geiseln etwa durch den IS. Allerdings mußte man sich nach der Pause über Lautsprecher Teile einer Rede von President Trump über Einwanderung aus Mexiko in die USA anhören – weder passend zur Inszenierung noch erst recht nicht zu Mozarts Singspiel.

Aktualisiert wurde ganz anders, was im Programmheft ausführlich durch ungewohnte Interpretation der Handlung verdeutlicht wird. So stellte die Bühne von Emily Bates anstelle orientalischer Pracht eine moderne Eingangshalle mit kalten Betonwänden dar, geschmückt u.a. mit moderner Kunst, etwa. Giacometti´s Nase oder ein wie bei Yves Klein übliches blaues Gemälde. Diese wurden im Laufe der Handlung immer wieder beschädigt, die Bühnenbildnerin bezeichnet sich ja auch als performance designer. Den Mittelpunkt bildete ein vielfach nutzbares grosses Sofa, dahinter ein Wasserbecken, das im ersten Akt von den Sängern aus unerfindlichen Gründen zum Planschen genutzt wurde.

In diesem Rahmen wurden dargestellt Zuneigung und Liebe der beiden Frauen schwankend zwischen den um sie werbenden Männern, also Konstanze zwischen ihrem armen früheren Verlobten Belmonte und dem reichen Bassa Selim, bei dem sie wohnte, sowie Blonde zwischen Pedrillo und Sicherheitschef Osmin, dies nur möglich in heutigen Kostümen (Mathilde Grebot) Auf den Einsatz des Chors wurde verzichtet, nicht aber auf die für ihn bestimmte Musik. (Sparmaßnahme?) Es wurden neue Dialoge erarbeitet. Da hörte man wie heute üblich moderne Kraftausdrücke, z.B. Klugscheisser . Teile dieser neuen Dialoge wurden vor allem im ersten Akt auf Englisch gesprochen, vielleicht, weil die Darstellerin der Konstanze einen starken englischen Akzent hatte, wenn sie Deutsch sprach. Folgerichtig hatte der Bassa natürlich keine Möglichkeit, durch physischen Druck Konstanze zu halten.Er konnte nur versuchen, sie in Art eines goldenen Käfigs (Serail) an sich zu binden, einmal durch Singen eines englischen Schmachtfetzens (natürlich nicht von Mozart!) vor allem aber durch Möglichkeit luxuriösen Konsums, angedeutet wurden Luxus-shopping oder Bestellung von teurem candle-light-dinner. Dabei gescheitert konnte er zum Schluß dann nur noch Osmin mitzuteilen, daß die vier gehen wollten. Da es in dieser Fassung nichts zu verzeihen gab, wirkten die Danksagungen des Vaudeville übertrieben..

Musikalische Glanzpunkte ließ Youn-Seong Shim als Belmonte hören. In seiner zweiten Arie ließ er ausdrucksvoll sein Herz klopfen, betonte er, übertrieb aber nicht die feurigen sforzati, hielt ohne falsches Vibrato die langen Töne und sang sorgfältig die Koloraturen. Letzteres galt noch mehr für den grossen stimmlichen Sprung mit folgenden Koloraturen am Ende des Adagio-Teils der Arie Wenn der Freude Tränen fliessen.

Marielle Murphy als seiner geliebten Konstanze lag vor allem die lyrische Arie über ihr trauriges Los. Für die Koloraturen verfügte sie über die passende Höhe und dort stimmliche Beweglichkeit, etwas Schwierigkeiten bereiteten tiefe Töne und dadurch die grossen Stimmsprünge. Beim schwersten Stück ihrer Partie, der Martern-Arie, wurde ihr das Singen zusätzlich dadurch erschwert, daß Bassa Selim alle möglichen Kleidungsstücke und lärmend Schuhe in ihre Richtung warf – schlimme Regie ohne Rücksicht auf die Musik! Vom Staatstheater Oldenburg kommend spielte und sang Martha Eason keck mit passendem Timbre die Partie der Blonde. Vor allem die Andante grazioso – Arie Durch Zärtlichkeit mit Tonleitern und Koloraturen bis hin zum hohen e bewies ihre Gesangskunst und spielerisch ihre Kunst, Osmin in ihrem Sinne zu becircen.

In der Partie des letzteren gelang es Christoph Stegemann, seine Wut auf die Fremden mit übertrieben komisch gesungenen Koloraturen auszudrücken und in der Arie O wie will ich triumphieren mit exakten Oktavsprüngen die Haremsmäuse schleichen zu lassen. Auch das gefürchtete lange tiefe d deutete er an.

Gegensätzliche Gemütsstimmungen zeigte Pascal Herington zwischen mutigem Forte und zaghaftem p in seiner Arie Auf zum Kampfe . Für die berühmte Romanze zur mandolinenartigen pizzicato-Streicherbegleitung gelang lyrisches Legato..

Zum musikalischen Höhepunkt geriet das Quartett der beiden Paare im zweiten Akt, auch weil die Inszenierung hier den Gesang nicht behinderte. Gerade dieser stützte durch Darstellung von Glücksgefühl, Vorwürfen, Verzeihen und Hymne auf die Liebe den Ansatz der Inszenierung.

Musikalisches Highlight der Aufführung war das Spiel des Sinfonieorchesters Münster unter Leitung von Stefan Veselka, der auch die Sänger gefühlvoll begleitete, wenngleich rasche Tempi ihnen das Singen nicht immer leicht machten. Wenig Vibrato bei den Streichern, dabei aber der Einsatz von vier Triangeln, Naturtrompeten, Barockpauken und verschiedenen Trommeln sorgten für musikalische Darstellung der menschlichen Emotionen vor allem auch für rhythmische Schärfe etwa bei den Janitscharen-Klängen. (je mehr lärmen je besser schrieb Mozart an seinen Vater) Soli einzelner Instrumente waren zu bewundern, so etwa die Oboe bei Belmontes zweiter Arie, die melancholischen Bassetthörner bei Konstanzens Klage oder nacheinander Flöte, Oboe, Violine und Cello im Vorspiel zu ihrer Martern-Arie.

Konnte man die Inszenierung weitgehend als Vorwegnahme der Konstellation von Cosi fan tutte empfinden, so gab es zum Schluß Vorwegnahme der Götterdämmerung. Zu den Klängen der Janitscharen-Musik schichtete Bassa Selim starke Stücke des Mobiliars zu Hauf. Bevor er das darüber gegossene Benzin mit einem Feuerzeug anzünden konnte, fiel dankenswerter Weise der Vorhang.

Das Publikum im ausverkauften Haus spendete reichlich Beifall für die Sänger, mit Recht vor allem für Dirigent und Orchester, während dem Leitungsteam neben einzelnen Bravos massive Buhrufe – auch zu Recht – entgegenschallten.

Sigi Brockmann 19. Mai 2019

Fotos (c) Oliver Berg