Münster: „Die Liebe zu den drei Orangen“, Sergei Prokofjew

Premiere am 6. April 2019

Lebendiges Musiktheater

Scherz, Satire, Ironie (Zitat nach C. D. Grabbe) zeigen sich schon im Titel und prägen auch den Inhalt der Oper Die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew auf einen französischen Text des Komponisten nach Carlo Gozzi`s gleichnamigem der Commedia dell’arte nachempfundenen Märchenspiel.

König Treff will abdanken. Als Nachfolgerin lehnt er ab seine ungeliebte Nichte Clarice. Diese wird unterstützt vom Premierminister Leander und der bösen Fee Fata Morgana. Lieber sähe der König seinen Sohn als Nachfolger, dieser wird unterstützt vom Spaßmacher Truffaldino und dem guten Zauberer Celio. Der Prinz ist krank und kann nur durch Lachen geheilt werden. Dafür sorgt ganz ohne Absicht Fata Morgana. Hier könnte die Oper enden, wenn nicht letztere aus Rache den Prinzen dazu verfluchte, drei Orangen zu lieben. Die sie bewachende Köchin wird überlistet. Beim Öffnen der dritten Orange findet der Prinz in ihr seine grosse Liebe Ninetta. Trotz weiterer Intrigen von Fata Morgana kommt es zum happy end, getrübt dadurch, daß Fata Morgana die Bösewichter Prinzessin Clarice, ihre Sklavin Smeraldine und Leander vor dem Galgen retten kann.

Unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg war am Samstag im Theater Münster Premiere. In der deutschen Übersetzung von Werner Hintze inszenierte Sebastian Ritschel.

Die auch von ihm entworfenen Kostüme sowie das Bühnenbild nach Entwürfen von Pascal Seibicke passten zu einer Art Spielcasino, wie wir es uns etwa im Las-Vegas der Zeit der Uraufführung der Oper 1921 vorstellen. Unangenehm blendete Zuschauer besonders in den ersten Reihen die grosse sich drehende Party-Kugel in den Höllenszenen. War die Bühne verkleinert, bildeten drei Symbolräder eines Spielautomaten den Hintergrund. In diesen tauchten auch die drei Orangen erstmalig auf. Dabei war der König wohl der Casino-Boss (mit mal jammerndem und mal übertrieben würdigem Baß Stephan Klemm).

Da war es auch logisch, daß der Prinz an Spielsucht erkrankt war und nicht etwa daran. was die als Karikaturen ihres Berufes auftretenden Ärzte exakt staccato singend diagnostizierten.

In der Rolle des Prinzen zeigte Garrie Davislim neben rollengemässer Spielfreude erfolgreich den Umfang seiner tenoralen Fähigkeiten, weinerlich als Kranker, (auch wenn er nur Vokalisen sang) exakt in der langen Lachsalve mit von Prokofjew eingebautem Terz-Kopfmotiv aus Beethoven’s fünfter Sinfonie. Schließlich karikierte er glanzvoll heldentenorale Ausbrüche im Liebesduett mit Ninetta (mit entzückendem Sopran Marielle Murphy)

Zusätzlich zur gut geführten Tenorstimme war betreffend spielerischem Einsatz Pascal Herington als spassiger Truffaldino Hauptperson der Aufführung – musikalisch gibt es ja auch fast als einzigem für ihn eine Art Leitmotiv. Im Laufschritt, auch einmal mit Purzelbaum, sauste er akrobatisch über die Bühne und den Steg vor dem Orchestergraben und zeigte mit Körperhaltung und Grimassen witzig seine jeweilige Gemütsstimmung.

Die beiden Zauberer – Christoph Stegemann als Celio und Kristi Anna Isene als Fata Morgana – sorgten für Höhepunkte im Kartenspiel der Höllenszenen des ersten und im Duett des vierten Akts. Celio konnte zudem zu dessen Beginn seine stimmlichen Möglichkeiten in den sich dynamisch und im Tempo steigernden Rufen nach Erscheinen des Windgottes Farfarello zeigen. Fata Morgana verfluchte Kundry-artig mit mächtiger Stimme den Prinzen zur Suche nach den Orangen.

Im Spiel und stimmlich brachte das Publikum zum Lachen Michael Zehe in der Baßpartie der hier mannstollen Köchin Kreonta, die die Orangen bewacht – ebenso überzeugte er vor allem akrobatisch als Windgott Farfarello.

Verführerisch in Erscheinung und Stimme war als böse Prinzessin Clarice Chrysanthi Spitadi – dies besonders im ersten Akt im Duett mit dem auch in der Körperhaltung schleimigen Leander von Gregor Dalal. Erwähnt seien noch Filippo Bettoschi als stimmgewaltiger dem König ergebener Pantalone und Katrin Filip als Smeraldina, schnippische Gehilfin Fata Morganas. Alle weiteren Nebenrollen waren passend besetzt, teilweise mehrere Rollen von einem Sänger.

Grosse Aufgaben bewältigten auch Opernchor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk und Joseph Feigl. Eigentlich waren es fünf Chöre, besonders gefordert, wenn sie im Prolog (statt orchestraler Einleitung) als die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen, die Hohlköpfe und die Spötter – einmal auch eine Fuge karikierend – über den Inhalt der aufzuführenden Oper stritten. Auch später mischten sich die Chöre einzeln oder zu mehreren immer wieder in die Handlung ein oder kommentierten diese. Für die kleinen Teufelchen genügte auch ein gesungenes Ih! Ih. Dabei mußten sie Regie-bedingt manchmal im Rhythmus der Musik hin- und her-hüpfen!

Prokofjews Musik war dank des Sinfonieorchesters Münster unter der Leitung von GMD Golo Berg das eigentliche Highlight der Aufführung. Ihre Darstellung der bizarr-komischen, in Instrumentation und Harmonik farbenreichen, rhythmisch akzentuierten und vor allem die Handlung genial begleitenden Theatermusik verlieh der Aufführung besonderen Rang. In dieser Hinsicht war das höllische Kartenspiel des zweiten Akts mit seinem wilden Orchestersatz und den Sforzato-Schlägen bei Aufdecken der entscheidenden Karte ein musikalischer Höhepunkt. Auch instrumentale Parodien traditioneller Opernklischees konnte man hören. Wie bei grossen Opern üblich waren weitere Höhepunkte die instrumentalen Zwischenspiele, von denen die gleichzeitig auf der Bühne stattfindenden Aktionen kaum ablenkten. Genannt seien etwa das langsame dunkeltönende Vorspiel zum dritten Akt oder in demselben Akt ganz gegenteilig das schnelle Zwischenspiel, das die Fahrt von Prinz und Truffaldino zur bösen Köchin darstellt – als deren Charakterisierung sei die Tuba auch stellvertretend für die vielen anderen instrumentalen Soli besonders gelobt.

Nachdem die Aufführung mit dem beleuchteten Schriftzug Jackpot oben rechts auf der Bühne als Zeichen des glücklichen Ausgangs endete, gab es grossen Beifall mit Bravos für die Hauptdarsteller, den Dirigenten und das Orchester, dann auch für das weitere Leitungsteam. Fraglich erscheint, ob es eine gute Idee war, den ohrwurmartigen Marsch der Oper als Klatschmarsch für den Beifall zu verwenden, besonders, da im Programmheft erwähnt wird, Prokofjew hätte dessen losgelöste Schlagerexistenz später bitter beklagt!!

Sigi Brockmann 7. April 2019

Fotos Oliver Berg