Premiere: 23.4. 2022
„Unser Abend besinnt sich schlussendlich auf die reine Essenz des Tanzens“, sagt Goyo Montero, der Chef der Nürnberger Compagnie. Wieder hat er zwei Kollegen eingeladen, um deren Arbeiten mit einer eigenen zusammenzukoppeln; wo der Kontrast herrscht, wird Eigenes umso deutlicher und Anderes in eine Relativität gestellt, die ihr nicht immer gut tut. Oder anders: Es ist für keinen Choreographen leicht, neben dem Schwergewicht Montero die eigene Handschrift mit einer einzigen Arbeit so zu präsentieren, dass sie gleichberechtigt neben Montero bestehen könnte. Es mag ungerecht sein, aber Gelb wirkt neben Blau eben anders als neben rot, und neben grün wirkt gelb nun wieder ganz anders. Kommt hinzu der unabdingbar subjektive Blick des Betrachters, seine persönliche Vorliebe für einen oder mehrere spezifische Tanzstile und -arten der Gegenwart. Was also hat uns Ohad Naharins Secus, am Ende des Abends, zu sagen? Worin unterscheidet sich Naharins choreographischer Gestus von dem seiner Kollegen Montero und Clug?
Manieristisch: so sieht auch Clugs Arbeit Handman aus, wobei die Manier darin besteht, sich (fast immer) in Humor, ja in Komik aufzulösen. Secus ist, heisst es, sei ein „geordnetes Chaos“, aber das hat es ein bisschen mit Handman und Monteros meisten Arbeiten gemein, ist insofern auch kein Spezifikum irgendeines modernen Tanzes. Wir sehen also, im hellen, warmen Licht von Avi Yona Bueno (Bambi), auf eine urbane Atmosphäre; die sportiven Übungen erhalten einen verstärkenden Akzent durch die Kostüme von Rafeket Levy, mit denen man durch den Central Park joggen könnte.
Ganz so hell, wie manch Rezensent Secus sah, ist es jedoch nicht. Das Stück wird im zweiten Teil erst richtig interessant, wenn sich die Tänzer und Tänzerinnen selbst schlagen, in Reihen aufstellen, ihre Innenflächen und entblößten Seiten dem Publikum präsentieren und wie zwanghaft immer wieder die selben Bewegungen reproduzierenb: Variationen eingeschlossen. Nein, hell ist das nicht mehr, auch wechselt der Electro-Pop der spannenden Ton-Collage in andere Sphären – was gestisch bleibt, ist der Wechsel der Rhythmen. Man könnte Secus, wäre der zweite Teil nicht so verstörend, geradezu als abstrakte Bewegungsstudie beschreiben – aber gibt es das überhaupt: „abstrakten“ Tanz?
Es mag so etwas wie einen abstrahierten Ausdruck im Tanztheater geben. Wenn Goyo Montero behauptet, dass seine 2018 entwickelte Arbeit Submerge keine Geschichte erzählt, sondern von psychischen Zuständen berichtet, hat er zugleich recht und unrecht. Ausgehend von seinen Erfahrungen mit dem damals erlernten und praktizierten Tieftauchen entwarf er ein Ballett, in dem sich die Compagnie – diesmal etwas anders als gewöhnlich bei Montero – nicht in Widerspruch zu einem Individuum setzt. Diesmal geht es nicht um den Konflikt oder die Zusammenarbeit eines Einzelnen mit oder gegen das Kollektiv. Schält sich allmählich heraus, dass eine einzelne Tänzerin eine hervorgehobene Bedeutung hat, bleibt der Fall angenehm rätselhaft. Der Ausklang des Stücks, in dem das Licht Martin Gebhardts die Figuren auf ihrem choreographischen Tauchgang in eine innere, meist heftig erregte Welt scharf anschneidet und die Originalkomposition von Monteros Hauskomponisten Owen Belton eine zwischen Ruhe und Panik changierende Atmosphäre kreiert – der Ausklang von Submerge zeigt eben jene Frau in einem Trio mit zwei Männern, schliesslich ein Duo, in dem sie im milden Monterolicht nach hinten getragen und zugleich präsentiert wird: ein wenig christusgleich…
Bleibt Handman, eine Arbeit von Edward Clug, ein lustiges Intermezzo, ein komisches Zwischenspiel, allerdings einem mit Gewicht. Auch hier tanzt die Compagnie mit unfassbarer Virtuosität. „Wie im Leben“, so bezeichnete eine Zuschauerin in der Pause die Arbeit, in der es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, die der Choreograph in gelind groteske, lustige und ironische Bilder der Körperkomik auflöst. Schwer, das zu beschreiben. Man muss das gesehen haben, um zu begreifen, dass Humor im Tanztheater möglich ist – wenn sich Mann und Frau und Mann und Mann etc. begegnen, mit den Köpfen buchstäblich unter den Armen.
Die Gestik passt vollkommen zur jazzigen Klavier plus Schlagzeug-Musik von Milko Lazar, nicht allein der Sound ist funky, auch das Bewegungsrepertoire. Handman, lesen wir auf dem Waschzettel zum Abend, reflektiert flüchtige zwischenmenschliche Beziehungen. Exakt das ist es: in einer Sprache, die eben jene Beziehungen im ewigen Hin und Her auf den choreographischen Punkt bringt.
Riesenbeifall für alle Tänzer und Arbeiten – und die hervorragende Compagnie.
Frank Piontek, 24.4. 2022
Fotos: Jesús Vallinas