Oldenburg: „Jesus Christ Superstar“

Premiere am 29.10.2017

Eine moderne Leidensgeschichte

Was für ein Abend! Standing Ovations und rhythmisches Klatschen bis zum Abwinken – eine Publikumsbegeisterung, wie man sie seit vielen Jahren in Oldenburg nicht erlebt hat. Der Anlass war das Musical „Jesus Christ Superstar”, das in einer hinreißenden Produktion präsentiert wurde. Andrew Lloyd Webber war bei der New Yorker Uraufführung seines Musicals “Jesus Christ Superstar“ im Jahr 1971erst 23 Jahre alt und noch weitgehend unbekannt. Mit dieser „Rockoper“ begann sein Weltruhm, den er mit populären Stücken wie „Evita“, „Cats“, „Starlight Express“, „Phantom der Oper“ oder „Sunset Boulevard“ festigte. Aber schon „Jesus Christ Superstar“ ist ein ausgesprochener Geniestreich und genießt bis heute besonderen Kultstatus.

Andrew Lloyd Webber hat sein Werk als „Rockoper“ bezeichnet. In Oldenburg hat man den Focus mehr auf „Rock“ und weniger auf „Oper“ gelegt, was sich vor allem in der Wahl der Fassung ausdrückt. Es gibt kein großes Orchester, lediglich fünf (ausgezeichnete!) Musiker kommen um Einsatz: Jürgen Grimm (Keyboard und Leitung), Tobias Deutschmann (Keyboard), Peter Engelhardt (Gitarre), Rainer Wind (Bass) und Robert Walla (Schlagzeug). Damit ist eine tolle Band aufgeboten, die im Hintergrund auf einer erhöhten Spielfläche agiert. Die Musiker liefern Sound und Drive von allererster Güte und servieren die Songs von Andrew Lloyd Webber sehr eindringlich, spielen dabei wirklich rockig und fetzig.

Die musikalische Fassung korrespondiert bestens mit der Interpretation von Regisseur Erik Petersen. Hier geht es um Starkult. Petersen hat die Geschichte sinnvoll in die heutige Zeit verlegt und aus Jesus von Nazareth den Frontsänger einer Rockband gemacht „The Prophets“ nennt sie sich. Zu den Bandmitgliedern zählen auch Judas Ischariot, Petrus und Maria Magdalena. Jesus ist in seinem schwarzen Büßergewand eine charismatische Persönlichkeit mit Weltverbesserungs-Visionen, die von seinen fanatischen Fans bejubelt wird. Er selbst aber ist ein ausgebrannter Mann, der am Ende seiner Kräfte angelangt ist, von Selbstzweifeln getrieben wird und sein nahes Ende spürt. Gleich zu Anfang sieht man ihn bei einem Auftritt mit seiner Band, zu dem er sich regelrecht überwinden muss. Petersen zeigt die Szene aus einer gelungenen Perspektive: Die Musiker und der Sänger stehen mit dem Rücken zu den Theaterzuschauern und spielen für ein imaginäres Publikum im Hintergrund. Wir befinden uns quasi im Backstage-Bereich. Dort tummeln sich dann die Mitglieder der Rockband. Die Ausstattung von Sam Madwar zeigt eine attraktive Showbühne, die sich am Ende aber zu einem Kabinett des Schreckens wandeln soll.

Die Verlegung in das Milieu von Popstars ist dabei bestens gelungen und beißt sich auch nicht mit dem Text. Petersen wirft ein Schlaglicht auf den modernen Starkult. Auch Popstars werden von ihren Fans oft wie ein Messias verehrt und dann ebenso schnell wieder fallengelassen. Wie leicht die Massen zu beeinflussen sind und wie dicht hysterische Begeisterung und fanatischer Hass beieinander liegen, wird in dieser Inszenierung erschreckend deutlich. Judas ist dabei nicht einfach nur der Verräter, sondern ein kritischer Beobachter, der deutlich spürt, dass die Ideale von Jesus zunehmend dem Starkult geopfert werden. Die Regie bleibt der Spritzigkeit und der Turbulenz, die von einem Musical erwartet werden, nichts schuldig, was sich auch in der lebendigen Choreographie von Yoko El Edrisi und in der ironisierenden Personenführung etwa von Herodes und dem Priester Kaiphas ausdrückt. Aber von der Auspeitschung Jesu bis hin zur finalen Kreuzigung schlägt die Stimmung um. Zwar ist das Kreuz mit roten Lampen ausstaffiert, aber die Szene wird so intensiv gestaltet, dass am Schluss nur noch das Mitleid mit einer wahrhaft geschundenen Kreatur bleibt. Dieses bedrückende Ende geht direkt unter die Haut. In dieser tief berührenden letzten Szene hat sich Regisseur Petersen von der falschen Glanzwelt des Showbusiness verabschiedet.

Getragen wird die Aufführung von einem hervorragenden Ensemble, allen voran von Oedo Kuipers in der Titelpartie. Er gestaltet seinen Part mit flexibler, wandlungsreicher Stimme und bestechender Bühnenpräsenz. Den Charakter der Figur zwischen Verzweiflung, Jähzorn und Zuversicht zeichnet er mit feinsten Nuancen. Sein „I only want to say“ ist einfach begeisternd. Nicht weniger eindrucksvoll agiert Rupert Markthaler als sein Gegenspieler Judas Ischariot, der gesanglich wie darstellerisch die Vielschichtigkeit der Figur verdeutlicht. Aus dem Opernensemble sind Martyna Cymerman (Magdalena), Paul Brady (Herodes) und Henry Kiichli (Kaiphas) dabei. Maria Magdalena wirkt zunächst wie ein Groupie, hat aber doch echte Gefühle für Jesus. Martyna Cymerman verleiht ihnen mit ihrer Ballade „I don’t know how to love him“ mit seidigem Sopranglanz tiefen Ausdruck – ein besonderer Höhepunkt. Paul Brady hat sich den Musical-Ton ganz zueigen gemacht und liefert mit „Try and see“ als Herodes eine schillernde und perfekte Show-Nummer. Herodes wird von Kaiphas protegiert, der wie ein konkurriender Impresario daherkommt, aber von Henry Kiichli nicht optimal gesungen wird. Mark Weigel kann als zynischer Pontius Pilatus überzeugen, Kim David Hammann ist als Petrus rollendeckend. Der Chor in der Einstudierung von Thomas Bönisch gefällt mit Klangfülle und sehr individualisiertem Spiel.

Wolfgang Denker, 31.10.2017

Fotos von Stephan Walzl