Oldenburg: „Die Walküre“

Premiere am 09.09.2017

Wir bleiben im Bergdorf

Mit der „Walküre“ wurde nun der zweite Streich im Oldenburger Projekt eines kompletten „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner bewältigt. Dabei ist „bewältigt“ eigentlich ein zu schwacher Ausdruck: Dem Oldenburgischen Staatstheater ist musikalisch und szenisch eine von der ersten bis letzten Sekunde fesselnde Aufführung gelungen, deren Niveau und deren Konsequenz an größten Häusern bestehen könnte.

Regisseur Paul Esterhazy entführte bei der „Rheingold“-Premiere in die Welt eines alpinen, abgeschiedenen Bergdorfs. Auch in der „Walküre“ bleibt er in diesem Bergdorf. Man sieht auch wieder die von Mathis Neidhardt entworfenen Räume, die mittels Drehbühne naht- und pausenlos ineinander übergehen und um die in vollem Laub stehende Esche gruppiert sind – das eheliche Schlafzimmer des „Bauern“ Wotan und seiner wieder im Rollstuhl sitzenden Gattin Fricka, die Stube beim gemeinsamen Frühstück oder die Diele mit den aufgebahrten Leichen, die ständig von den Walküren angeschleppt werden und in der sie sich nach getaner Arbeit zur Brotzeit versammeln. Die Verwandlung der Räume vollzieht sich dabei immer sinnvoll und fast unmerklich, unterstützt von einer phantastischen Lichtregie (Ernst Engel), bei der die Bühne oft in geheimnisvolles Halbdunkel getaucht und von sanften Nebelschleiern eingehüllt wird. Sogar die Assoziation einer Waldlandschaft wird dadurch möglich.

Esterhazy lässt auch die im Text erwähnten Tiere auftreten. Bei der Gewitterszene zu Beginn sieht man schemenhaft ein Wolfsrudel, Sieglinde und Siegmund tragen Wolfskostüme, der Bär, den Siegfried später fangen wird, ist zu sehen, Hunding führt seinen Schäferhund an der Leine und in einem Käfig sitzt der spätere Waldvogel. Esterhazy weist in seiner Inszenierung sehr kunstvoll auf vergangene und auf zukünftige Elemente der Handlung hin. Alles greift sinnvoll ineinander über. So geistert bereits hier schon Erda über die Bühne, etwa wenn Wotan seiner Tochter Brünnhilde eröffnet, dass diese ihre Mutter ist. Grane ist ein „Begleiter“ Bünnhildes, ein Greis auf Krücken, der am Ende die Wache vor ihrer feurigen Lagerstatt übernimmt. Esterhazys Personenführung ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt. Wann hat man den langen Monolog Wotans im zweiten Akt je so kurzweilig, geradezu spannend erlebt wie hier, bei einer „Plauderei“ am Frühstückstisch? Auch Kleinigkeiten zeugen von der Akribie, mit der Esterhazy zu Werke gegangen ist. Beim Walkürenritt sind nicht alle Walküren auf der Bühne, einige sind noch im Rang. Und die „Hojotoho“-Rufe dienen hier zur Verständigung über große Entfernungen in der Bergwelt. Es ist eine Inszenierung, die in sich stimmig ist und das im „Rheingold“ begonnene Konzept konsequent weiterentwickelt hat. Man darf auf den „Siegfried“ und die „Götterdämmerung“ mehr als gespannt sein.

Auch musikalisch erweist sich die Oldenburger Walküre als hochrangig. Hendrik Vestmann und das Oldenburgische Staatsorchester haben ein kleines Wunder bewirkt. Selten hat man die vom Gewittersturm durchtoste Eingangsszene so kraftvoll musiziert und mit solch elementarer Gewalt umgesetzt erlebt. Vestmann und das Orchester spielen durchgängig auf hohem Niveau. Allein Wotans Abschied wird mit einer berauschenden Klangpracht aufgefächert, dass man nur Staunen kann. Auch in Bezug auf Tempo und Dynamik kann man die Szene (und nicht nur diese) kaum besser machen. Beim Schlußbeifall zeigt sich das Orchester denn auch komplett und völlig zu Recht auf der Bühne.

Ohne Gäste geht eine „Walküre“ in Oldenburg natürlich nicht. So gibt Nancy Weißbach eine Brünnhilde mit Stahl in der Stimme, mit einer Leuchtkraft, die sich stets über dem Orchester behauptet. Wie Raketen feuert sie ihre Spitzentöne ab und gibt der Rolle zudem ein attraktives, glaubhaftes Profil. Als Wotan hinterlässt auch Michael Kupfer-Radecky einen denkbar besten Eindruck. Mit hervorragender Diktion, mit substanzreicher Pianokultur, aber auch mit großen Bögen voller Volumen bleibt er der Partie nichts schuldig – erschütternd sein Wunsch nach dem Ende und der schmerzvolle Abschied von Brünnhilde. Zoltán Nyári braucht ein paar Momente, um seinen höhensicheren Tenor von „lyrisch“ auf „heldisch“ umzuschalten, aber dann schmettert er kraftvoll sein „Ein Schwert verhieß mir der Vater“ mit den mühelosen Wälse-Rufen und findet in den „Winterstürmen“ zu innigem Ausdruck. Nadja Stefanoff hat sich vom belcantogeschulten Mezzo zum lyrisch-dramatischen Sopran (etwa als Tosca in Bremen) entwickelt.

Ihre Sieglinde glüht geradezu vor Leidenschaft, die von ihrer dunklen Stimmfarbe noch verstärkt wird. Großartig allein wie ihr emotionaler Ausbruch „O hehrstes Wunder“ in den Raum bricht. Der international gefragte Pavel Shmulevich (er singt u.a. am Mariinsky-Theater) gibt mit sehr metallischem Bass und erzener Wucht den Hunding als kaltherzigen Schurken. Aus dem eigenen Ensemble behauptet sich Melanie Lang als Fricka mit starker Persönlichkeit, der sich sogar Wotan beugen muss. Stimmgewaltig zeigt sich auch die Walküren-Schar mit bewährten Kräften des Hauses.

Wolfgang Denker, 11.09.2017

Fotos von Stephan Walzl