Aufführung am 07.04.2018
Eine sehr selten gespielte Oper: nun zum dritten Mal seit der Uraufführung 1838 in einer überbordenden Bebilderung von „Monty Python“
In dem oft etwas bizarren Werkverzeichnis von Hector Berlioz gibt es nur vier „Opern“: „Les Troyens“, „La damnation de Faust“, „Béatrice et Bénédict“ und „Benvenuto Cellini”, wovon die beiden Letzteren beinahe nie aufgeführt werden. Dafür gibt es gute Gründe: „Béatrice et Bénédict“ ist eine problematische Opéra comique nach einer Komödie von Shakespeare, „Benvenuto Cellini“ eine dreimal überarbeitete Erstlingsoper nach den fantasievollen Memoiren des gleichnamigen Bildhauers, in Wien voral wegen eines Salzfasses bekannt. Sie wurde seit der Uraufführung 1838 nur drei Mal an der Pariser Oper gespielt, 1993 zum letzten Mal im Rahmen des Berlioz-Zyklus, mit dem man die neue Opéra Bastille 1990 eröffnet hatte. Doch die Vorstellungen stießen auf so viel Ablehnung, dass der Zyklus nicht weitergeführt wurde. 25 Jahre später versucht man es nun wieder mit einer ganz anderen Art von Inszenierung.
Niemand ist Prophet im eigenen Lande, doch die Probleme die Berlioz bis heute an der Opéra de Paris hat wurden schon bei der Uraufführung 1838 durch ihn selbst vorprogrammiert. Der geniale Komponist rieb sich immer wieder mit den offiziellen Musikinstanzen, indem er Werke komponierte, die als nicht spielbar oder nicht aufführbar galten. Wie so oft bei ihm, klafft eine richtige Kluft zwischen der hochkarätigen literarischen Vorlage, einem eher mittelmäßigen Libretto und einer überbordenden Musik, in der ungefähr alle möglichen Genres zusammengewürfelt wurden. Es war eine geniale Idee, um aus den damals in Frankreich völlig unbekannten Memoiren Benvenuto Cellinis eine Oper machen zu wollen.
Niemand weniger als Johann Wolfgang von Goethe hatte als einer der ersten den historischen und literarischen Wert dieser Memoiren aus 1558 erkannt – anscheinend die allerersten ausgeschriebenen Künstler-Memoiren überhaupt -, die erst 1728 verlegt wurden und die Goethe 1796 mit seiner Übersetzung einer breiteren Leserschaft zugänglich machte. Ein wunderbarer Stoff, der bis heute viele Künstler fasziniert und inspiriert. Berlioz, der 1832 dem Karneval in Rom beigewohnt hatte, wollte ursprünglich aus Cellinis „Vita“ eine Komödie machen. Doch als die Opéra Comique das Werk verweigerte, bat er seine Librettisten Léon de Wailly und Auguste Barbier das Werk in eine Tragödie umzuändern, die dann an der Opéra de Paris uraufgeführt werden sollte. In seinen Memoiren beschreibt Berlioz wie schrecklich die drei Monate Proben an der Pariser Oper waren und vergisst dabei zu erwähnen, dass es in Wirklichkeit mehr als sechs Monate Proben waren, über die man einen ganzen Roman schreiben könnte.
So wie Wagner kurz nach ihm, verstand Berlioz sich überhaupt nicht mit dem Haus-Dirigenten und reagierte wenig flexibel auf jede Bitte der Direktion. Wie seine Kollegen musste er kurz vor der Premiere widerwillig noch zusätzliche Arien für rebellierende Sänger komponieren, die ihm gar nicht gefielen – und die heute als die besten Momente der ganzen Oper gelten. Die Uraufführung 1838 war ein völliges Fiasko: nach drei Vorstellungen warf der Tenor das Handtuch, und die lange Oper wurde kurzerhand durch die Direktion der Opéra de Paris zu einem Akt zusammengeschnitten (der dann an einem Abend zusammen mit einem Ballett gegeben wurde).
Daraufhin zog Berlioz sein Werk mit einem solchen Eklat zurück, dass er danach nie wieder an der Pariser Oper zugelassen wurde. Schließlich war es der gütige Franz Liszt, der Berlioz anbot, den „Benvenuto Cellini“ in Weimar aufzuführen -1852 in einer dritten Fassung, die durch Liszt und seinem Schwiegersohn Hans von Bülow erstellt wurde (aus zwei, später einem Akt in Paris wurden nun drei Akte in Weimar). Weimar führte zu einer Einladung nach London, wo Berlioz zum ersten und einzigen Mal „Benvenuto Cellini“ selbst dirigieren durfte, dazu noch in Anwesenheit der Queen Victoria. Doch auch London wurde ein Fiasko, wonach der Komponist nichts mehr mit seinem Erstlingswerk zu tun haben wollte, das auch134 Jahre nicht mehr an der Pariser Oper gespielt wurde.
Diese verwickelte Entstehungsgeschichte erklärt alle bis heute andauernden Schwierigkeiten mit „Benvenuto Cellini“: Nach einer langen Ouvertüre (die Berlioz später zum „Carneval Romain“ umarbeitete) folgt ein wildes Karnevalstreiben, in der sich eine opernübliche Dreiecksgeschichte abspielt: der verkannte Künstler Cellini (Tenor) verliebt sich in ein junges Mädchen, Teresa (Sopran), doch ihr geldgieriger Vater, Balducci (Bass), möchte sie an einen erfolgreicheren Bildhauer, Fieramosca (Bariton), verheiraten. Cellini will daraufhin Teresa im wilden Karnevalstreiben entführen – als Mönch verkleidet.
Doch im besagten Moment reichen zwei Mönche Teresa die Hand, da Fieramosca ihr Gespräch belauscht hat und nun auch als heiratswilliger Mönch erschienen ist. Es folgt ein heilloses Durcheinander, das mit einem tödlichen Duell endet. Doch im zweiten Akt erscheint der Papst höchstpersönlich im Atelier Cellinis und vergibt dem Rebellen alle seine Sünden, denn für hochbegabte Künstler gelten eben andere Gesetze als für den Normalbürger. Terry Gilliam, einer der Mitbegründer der berühmt-berüchtigten „Monty Pythons“ in den 1960/70er Jahren, stieß auf diesem Stoff, als er 2011 sein Debüt als Opernregisseur mit „La damnation de Faust“ an der English National Opera gab. Und 2014 erarbeitete er zusammen mit seiner Koregisseurin und Choreographin Leah Hausman diese Inszenierung von „Benvenuto Cellini“, die seitdem auch in Amsterdam, Barcelona und Rom gespielt wurde. Wer die Monty Python-Filme kennt, weiß also worauf man sich jetzt gefasst machen kann.
Schon während der Ouvertüre fing das wilde Treiben an, mit Akrobaten auf der Bühne, einem ekstatischen Karnevalszug der durch das Parkett zog und einem riesigen Regen von bunten Konfetti, so wie wir es noch nie in einem Opernhaus erlebt haben. Wir waren zugleich amüsiert und irritiert, denn dabei ging die Musik der Ouvertüre – die Berlioz als das Beste vom ganzen Werk bezeichnete – vollkommen unter. Das war auch global unser Eindruck des ersten Aktes: vor lauter Karnevalstrubel, war an ein konzentriertes Zuhören kaum zu denken. Doch im zweiten handlungsärmeren Akt gab es weniger Trubel und kam die Musik viel mehr zu Geltung, vor allem in den drei Arien, die Berlioz noch kurz vor der Premiere komponiert hatte (es wurde eine Mischfassung mit vielen Strichen gespielt, die „nur“ drei Stunden dauerte.) Szenisch verlief der Abend wie ein „Musical“, mit akrobatischen Pantomimen und Tanzeinlagen, wofür entsprechende Seiltänzer und Zirkus-Künstler engagiert worden waren. Auch das Bühnenbild von Aaron Marsden und die Kostüme von Katrina Linsday waren explizit – für Opernaugen etwas „billig“ – in der Musicalwelt angesiedelt.
Aber in mitten dieses bunten Treibens wurde durchgehend auf hohem Niveau gesungen. Die Besetzung der Hauptrollen war noch die aus London und wurde angeführt von John Osborn in der höllisch schwierigen Partie des Cellini. Wir erinnern uns noch genau an den jungen Sänger, der 1996 den Operalia-Wettbewerb gewann und dem wir damals eine große Karriere prophezeiten. John Osborn hat sich klug seine Rollen ausgesucht, blieb mehr als zehn Jahre im Belcanto-Fach, bevor er sich langsam aber sicher als einer der international gefragtesten Interpreten der französischen Grand Opéra (Meyerbeer, Halévy etc) profilierte. Osborn beherrscht den Stil perfekt und verfügt über eine exzellente Technik, die es ihm erlaubt mit einer „voix mixte“ perfekt fokussiert über das große Orchester zu kommen (in der riesigen Opéra Bastille für viele Sänger ein Problem). Sein Gegenspieler, der norwegische Bariton Audun Iversen, der nun an der Pariser Oper debütierte, konnte ihm als Fieramosca szenisch und musikalisch mühelos das Wasser reichen. Das kann man nur begrenzt von der Teresa von Pretty Yende behaupten, die als vollbusige Südafrikanerin szenisch in der Rolle des jungen schüchternen Mädchens nicht glaubwürdig war und die kein einwandfreies Französisch sang. Aber ihr glockenheller Sopran harmonierte wunderbar mit dem von Michèle Loisier im Gebet des zweiten Aktes „Sainte Vierge Marie, étoile du matin“. Loisier trat auf als Ascanio, eigentlich nur eine Nebenrolle als Assistent Cellinis.
Doch sie wurde bei der Uraufführung 1838 durch Rosina Stolz gesungen, der Hosenrollen-Star vieler Opern Meyerbeers, was es ihr ermöglichte, kurz vor der Premiere (auch) eine eigene Arie einzufordern. So komponierte Berlioz das dramaturgisch vollkommen unwichtige Lied „ Tra la la la la, Mais qu’ai-je donc? Tout me pèse et m’ennuie ! “, das seit der Uraufführung als musikalischer Höhepunkt der ganzen Oper gilt (und die einzige Arie aus „Benvenuto Cellini“ ist, die man gelegentlich auch im Konzertsaal hört). Michèle Loisier sang es lupenrein, mit perfektem Stilgefühl und bekam dafür den größten Applaus des Abends. Maurizio Muraro und Marco Spotti verfügten mit soliden Bässen über die nötige Autorität als Vater Balducci und als Papst Clemens VII. Bei den Comprimari erkannten wir mit Vergnügen zwei frühere Sänger des Atelier Lyrique: Vincent Delhoume als Francesco und Rodolphe Briand als Pompeo. Der durch José Luis Basso einstudierte Chor meisterte die rhythmisch oft höllisch schwierigen Karnevalsszenen, doch verlor jedoch dabei öfters die Intonation und den Kontakt zum Orchester . Das lag auch an den sehr zügigen Tempi von
Philippe Jordan, dem wohl nichts anderes übrigblieb als dem sehr hohen Tempo auf der Bühne mit seinen Musikern hinterherzulaufen – so gut sie es halt konnten.
Die Reaktionen auf diese neue Inszenierung sind in Paris sehr gespalten. Während sie in London und Amsterdam – so die Pressesprecher – anscheinend unter dem Motto „so bringt mein Junge Leute in die Oper“ bejubelt wurde, waren die Pariser Premieren-Kritiken vollkommen vernichtend. Die Tageszeitung „Le Monde“ brachte eine ganze Seite mit der Überschrift „Enttäuschend“ und meinte, dass man einen Tag später den Goldregen schon wieder vergessen hätte (zum Finale gab es goldfarbenes Konfetti). Das stimmt, doch in diesem Fall muss ich ausnahmsweise den Intendanten und den Regisseur vor den ewig nörgelnden Pariser Kritikern in Schutz nehmen. Was wäre die Alternative gewesen? Noch eine klassische Inszenierung, nachdem „Benvenuto Cellini” nur zweimal im ganzen 20. Jahrhundert szenisch an der Opéra de Paris gegeben wurde? – 1972 und 1993, beide Male ohne Erfolg (wir erinnern uns nur noch vage an einen langweiligen Abend). Wieder unverständliches Regie-Theater wie zum Auftakt des jetzigen Berlioz-Zyklus, an dem „La damnation de Faust“ in der unsäglich schlechten Inszenierung von Alvis Hermanis trotz Starbesetzung (Jonas Kaufmann, Bryn Terfel etc) einstimmig ausgebuht wurde (siehe Merker XII 2015)? Deswegen wurde „Béatrice et Bénédict“ in der letzten Spielzeit nur noch konzertant gegeben – was in einem Opernhaus nun wirklich keine Lösung ist. Also dann lieber szenisch! Und auch wenn uns persönlich diese Inszenierung nicht überzeugt hat, haben wir uns gefreut über die vielen jungen Leute die im Parkett saßen, da sie an der Abendkasse die vielen unverkauften Plätze für nur 20 statt 240 € ergattern konnten. Und sie sind unser Publikum von morgen. Nächste Spielzeit wird der Pariser Berlioz-Zyklus abgerundet mit „Les Troyens“. Wir sind schon gespannt!
Waldemar Kamer 10.4.2018
Bilder (c) Agathe Poupeney