Aufführung am 17.12. (Premiere)
Vom supertechnologischen “Macbeth” der Scala zu einer mit den Häusern in Ferrara und Reggio Emilia koproduzierten Inszenierung, die nach den Worten des Regisseurs Gianmaria Aliverta bewusst, um nicht zu sagen, gewollt, auf eine Gestik der Sänger setzte, wie wir sie aus Opernverfilmungen der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts kennen (O-Ton Aliverta: „Bei jedem Spitzenton des Tenors das Schwert hoch“). Da dieser Regisseur für intelligent innovative Inszenierungen bekannt ist, bleibt nur die Annahme, dass er sich einen alten Herzenswunsch erfüllt hat, den es „abzuhaken“ galt (oder er von Intendantenstelle angesichts des in den genannten Städten besonders konservativen Publikum einen diesbezüglichen Wink erhielt). Wie dem auch sei, Aliverta gelang es, die Sänger zu lebendiger szenischer Gestaltung zu führen, darin auch von den historisierenden Kostümen von Sara Marcucci unterstützt.
Das von ihm gemeinsam mit Alice Benazzi verantwortete Bühnenbild bestand in erster Linie aus Versatzstücken wie einem Himmelbett, einem Tisch für ein Festmahl oder Blumenschmuck für die Hochzeitsfeierlichkeiten im letzten Akt. Ergänzt wurde es von Videoprojektionen (Luca Attili), und angesichts der pandemischen Lage war der (wieder von Corrado Casati ausgezeichnet einstudierte) Chor des Hauses hinter transparente Vorhänge verbannt, während Figuranten in der Bewegungsregie von Silvia Giordano dessen Aktionen mimten.
Angesichts schmaler Budgets eine insgesamt passable Lösung, umso mehr, als für die vier anspruchsvollen Hauptrollen ausgezeichnete Sänger aufgeboten waren. Die Titelrolle sang Gregory Kunde: Opernliebhaber wissen, dass es sich bei diesem Künstler um ein Phänomen handelt,hat er doch im nicht mehr jugendlichen Alter stimmlich vom koloraturgewandten Rossinihelden zu einem dramatischer Natur gewechselt.
Auch als Ernani strahlte sein Tenor ohne Abstriche; angesichts der begeisterten Reaktion des Publikums sei ihm verziehen, dass er manchen Spitzenton über die Geschmacksgrenze hinaus lang anhielt. Francesca Dotto, eine Sängerin, die vor allem mit „Traviata“ bekannt wurde, besitzt einen schön timbrierten und technisch gut geführten Sopran. Dass die (gerade bei Elvira stark geforderte) untere Mittellage nicht immer anspricht, teilt sie mit vielen heutigen Kolleginnen ihrer Stimmlage. Insgesamt aber eine gute Leistung, da sie auch um szenisch überzeugende Umsetzung bemüht war. Nicht allzu stark als Persönlichkeit, aber vokal interessant der Silva des Russen Evgeny Stavinsky, der in seiner Diktion mit gut geführtem Bass der slawischen Schule die Ehre erwies. (Das ist natürlich Geschmackssache, aber ich liebe Boris Christoff und den Akzent, den er im Italienischen für Charaktere wie Filippo, Guardiano oder Ramfis einsetzt). Interessant der Fall von Ernesto Petti, hat der 35-jährige Sänger aus Salerno doch vor weniger als fünf Jahren von einem Schattendasein als Tenor ins Baritonfach gewechselt. Mehr als zufriedenstellender Stimmumfang, aber vor allem ein Timbre, das dem Hörer im Ohr bleibt, zeichnen ihn aus. Hinsichtlich Phrasierung ist noch einiges zu tun (es gab abrupte Übergänge in ein fast geflüstertes Piano, offenbar um zu zeigen, dass er das auch kann), aber bei richtiger Führung hat der Künstler (auch ohne das eingelegte hohe „g“ in seiner Arie) Chancen auf eine schöne Karriere. Unter den Comprimari Federica Giansanti (Giovanna), Raffaele Feo (Don Riccardo) und Alessandro Abis (Jago) fiel letzterer mit angenehmem Bass auf.
Leider war die musikalische Leitung durch Alvise Casellati nicht auf dem Niveau der Sänger. Rechtsanwalt bis 2011, hat er die Dirigentenkarriere seit kurzem eingeschlagen. Um rechtlichen Konsequenzen zu entgehen erwähne ich die politische Stellung seiner Mutter, der er offenbar seine Verpflichtungen als Dirigent verdankt, nicht. Schade.
Das beifallsfreudige Publikum feierte in erster Linie die Sänger.
Eva Pleus 29.12.21
Bilder: Gianpaolo Parodi