Markgräfliches Opernhaus, 6.9.2020
Programm 3 des Festivals „Bayreuth Baroque: Auftritt Joyce DiDonato. Eben noch hat das Ensemble Il pomo d’oro unter Francesco Corti eine kurze, dunkle Einleitung gespielt (Salomone Rossis Sinfonia grave à 5 aus dem Buch I der Sinfonie e gagliarde), da schreitet sie herein: als Frau des Odysseus, der seit zwanzig Jahren verschwunden ist. Illustratevi, oh cieli!, die Trauerarie um den geliebten Mann, der Monteverdi die sensitivsten Töne mitgegeben hat, klingt leidend in den Saal. Dann gesteht die Frau, die da vorn, neben dem halben Dutzend Musiker steht, einem Schlafenden, der sozial weit unter ihr steht, ihre verbotene Liebe, und die Töne, die ihrem Mund entströmen, sind nichts als zärtlich – und innig leidend. Allein sie kann auch anders. Nach zwanzig Minuten dringt das erste forte aus ihrem Mund. Ottavia, die Gattin Neros, schreit buchstäblich – aber mit welcher vokalen Kultur! – ihre Empörung über das Unrecht, das ihr angetan wurde, in die Welt hinaus. Das hochdramatische Lamento ist eine musikalische Perle, in der Verzweiflung zeigt sich noch die Delikatesse einer schönen Stimme.
Joyce Di Donato also. Sie singt die schwierigsten Passagen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Sie „kann“, bei Händel und Hasse, ausdruckstragende Koloraturketten, sie lässt das Publikum dahinschmelzen, wenn sie in zweifachem piano John Dowlands Come sweet again love verführerisch zum Besten gibt (die Minuten des Lautenisten…) und zusammen mit dem Ensemble und einer Travers-Flöte Händels Cleopatra in den zartesten aller Ausklänge schickt. Noch die dynamischen Explosionen sind bei der Königin des Abends höchst kontrolliert. Dabei klingt alles höchst artifiziell – aber keine Sekunde künstlich.
„Hello! I missed you!“, sagt sie in den Raum, in dem kaum Bayreuther, aber viele auswärtige Fans sitzen, die es verstehen, den Zauber nach den einzelnen Blöcken durch ihr Gejohle zu zerstören. Donna Leon gehört eindeutig nicht zu dieser seltsam unmusikalischen Spezies – die bekannte Liebhaberin und Propagandistin der Barockoper kam eigens nach Bayreuth, um das Konzert ihrer Freundin Joyce DiDonato zu hören, über die sie 2015 in einem Essay über die Sängerin (wieder abgedruckt im köstlichen Bändchen In der Oper mit Donna Leon) einmal schrieb, dass sie „eine der besten und bewegendsten Opernsängerinnen“ sei, die sie „als Opernbesucherin jemals“ gehört habe.
Joyce DiDonato beglaubigt es an diesem Abend, an dem sie das relativ kurze, aber höchst konzentrierte und musikdramaturgisch überlegte Programm, coronabedingt, zweimal hintereinander sang, Joyce Di Donato – sie beglaubigt Donna Leons Huldigung, indem sie ihre höchst stupende Technik in den Dienst des Ausdrucks stellt, in dem die sängerische Virtuosität und die Leidenschaften ihrer Figuren ineins fallen. Sie spielt Theater – und sie achtet auf den Klang; wenn in der Arie der Titelheldin (Intorno all idol mio) aus Pietro Antonio Cestis L’Orontea die dunkleren Töne mit dem Liegeton der Orgel verschmelzen – was soll man da noch schreiben? Mit einer Zugabe aus Händels Theodora, der Arie As with rosy steps the morn, findet der Abend schließlich ein Finale, das von Miss DiDonato, im Hinblick auf „diese Zeiten“, mit Bedacht gewählt wurde: As with rosy steps the morn, Advancing, drives the shades of night, So from virtuous toil well-borne, Raise Thou our hopes of endless light. Endless light…
Frank Piontek, 8.9.2020