Premiere. 15. 6. 2014
Hommage an Schikaneder
Es ist nicht weithin bekannt, dass Emanuel Schikaneder vor seiner Zeit in Wien in Regensburg tätig war. Von 1787 bis 1789 bekleidete er dort das Amt des Theaterdirektors. Im Jahr der ausbrechenden Französischen Revolution musste er nach einigen Skandalen, in die er verwickelt war, seinen Hut nehmen und floh nach Wien, wo er 1791 zusammen mit Mozart die „Zauberflöte“ aus der Taufe hob. Die Entscheidung von Intendant Jens Neundorff von Enzberg, als letzte Opernpremiere der Saison dieses Werk zu präsentieren, kann als aufrichtige Reverenz an seinen berühmten Vorgänger als Leiter des Regensburger Theaters verstanden werden. Das informative Programmheft stellt glaubhaft die Behauptung auf, dass Schikaneders „Zauberflöten“-Libretto einen Spiegel der damaligen Regensburger Verhältnisse darstelle und untermauert diese durch die Aufzeigung von Parallelen zwischen der Oper und der Situation am Regensburger Fürstenhof. Das ist interessant zu lesen und durchaus nachvollziehbar.
Yinjia Gong (Tamino), Jongmin Yoon (Sprecher)
Leider hat dieser Aspekt keinen Eingang in die Inszenierung von Matthias Reichwald gefunden. Er und sein Bühnen- und Kostümbildner Toto huldigen mehr Mozart als Schikaneder, wenn praktisch den ganzen Abend über das Gesicht des Salzburger Meisters samt dessen Namenszug auf einem riesigen, mehrstöckigen und transparenten Kubus präsent bleibt. In diesem tummelt sich bereits zu Beginn allerlei Volk, das dem Kommenden aufgeregt entgegenblickt. Unter ihm befindet sich auch Pamina in einem überdimensionalen Kleid. Als lebendes Bild wird sie Tamino vorgeführt, der bereits ganz am Anfang vor den Vorhang tritt und das Folgende nur zu träumen scheint. Das ist ein legitimer Ansatzpunkt. Man kann das so machen. Die Kostüme sind einerseits der Mozart-Zeit angeglichen ( die drei Knaben erscheinen als junge Alter Egos des Komponisten), teilweise sind sie neueren Datums. So zeigen sich die Priester als Vertreter einer fiktiven Moderne, die durch den zeitgenössischen Zuschnitt ihrer Kostüme ihre geistige Überlegenheit ausdrücken wollen. Die Regie sieht die Bruderschaft indes nicht sehr positiv. Deren übergeordneter Status ist in ihren Augen recht zweifelhafter Natur. Sie predigen zwar den Fortschritt auf geistiger Ebene, verbreiten aber letztlich nur eitel Blendwerk.
Victorija Kaminskaite (Pamina), Anna Städler und Michael Lämmermann (Wesen)
Herr Reichwald entwickelt seine Deutung stark aus der Musik heraus und wartet zudem mit einem guten Schuss Psychologie auf. Nicht auf eine simple Schwarz-Weiß-Zeichnung kommt es ihm an, sondern auf die Vorführung von Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen. Es gibt bei ihm weder nur Gut noch nur Böse, sondern lediglich verschiedene Motivationen, die die Handlungsträger zu ihrem jeweiligen Verhalten veranlassen. Das Schwergewicht seines Ansatzpunktes liegt auf der Aufzeigung von Ambivalenzen und der unlösbaren Verknüpfung einzelner Personen miteinander. Sarastro ist ein nicht durchweg positiver Charakter und die Königin der Nacht sucht durchaus auch das Gute. Beide sind durchweg darum bemüht, Tamino und Pamina auf ihre Seite zu ziehen. Dem Prinzen kommt hier nicht das Flair eines strahlenden Helden zu, der sich todesmutig in jedes gefährliche Abenteuer stürzt. Er ist ein ganz normaler Mensch, der auch mal Angst verspürt, zu Beginn vor der Schlange – wer will heutzutage noch eine solche auf der Bühne sehen? – in Ohnmacht fällt und später von dem etwas mutiger gezeichneten Papageno den gefährlichen Weg in Sarastros Reich erst einmal vorsichtig auskundschaften lässt. Dieser Ansatzpunkt des Regisseurs geht ganz konform mit dem Text. Und auch Pamina weist negative Seiten auf. Insbesondere hat der im zweiten Akt immer wieder vom Band eingespielte Racheschwur ihrer Mutter in ihr ein Trauma ausgelöst. Sie wird von Abträumen geplagt, versucht aber immer wieder der Situation mit Optimismus zu begegnen. Darin ist sie Papageno nicht unähnlich. Und dass man dem arg gebeutelten, nicht wirklich bösen Monostatos seine Wünsche und Sehnsüchte nicht verwehren darf, wird bei Reichwald nur zu deutlich. Er überschreibt seine Regiearbeit gleichsam mit „Menschlich, Allzumenschliches“, um mal ein Zitat von Nietzsche zu verwenden. Dieses ganz auf Humanität ausgerichtete Konzept ist durchaus berechtigt.
Matthias Wölbitsch (Papageno), Julia Zhukovska-Fischer (Papagena), Anna Städler, Robert Herrmanns und Michael Lämmermann (Wesen)
Im Zentrum steht der Kampf, den jeder Mensch mit seinem inneren Dämon auszutragen hat. Dementsprechend hat der Regisseur den Protagonisten drei solcher Wesen an die Seite gestellt, die das Geschehen vorantreiben und denen neben der psychologischen auch eine praktische Seite zukommt. Manchmal wird der ursprünglich anderen Personen zugeordnete Text von ihnen gesprochen. Sie sind es, die Tamino und Pamina durch die Prüfungen begleiten und auch für die Requisiten zuständig sind. Darüber hinaus schlüpfen sie in die Rolle der wilden Tiere, die sich durch das Flötenspiel des Prinzen besänftigen lassen. Sie sind gleichsam die spiritus rectores der Handlung, die das Ganze auf eine allegorische Ebene heben und für die verschiedenen Möglichkeiten des Menschen stehen, mit sich selbst umzugehen und sich zum Bösen oder zum Guten hin zu entwickeln. In welche Richtung er sich letztlich ziehen lässt, muss jeder für sich entscheiden. Es waren schon einige interessante Ideen, die Matthias Reichwald hier aufgeworfen hat. Wirklich neu muten sie indessen nicht an. Insgesamt bewegte sich seine Inszenierung auf eher konventionellen Pfaden. Ansprechend war sie dennoch. Nicht ganz nachzuvollziehen war die Entscheidung, die Pause erst mitten im zweiten Akt zu platzieren.
Aurora Perry (Königin der Nacht)
Die gesanglichen Leistungen beeindruckten durch ihr insgesamt hohes Niveau. Yinjia Gong war ein kräftig und mit guter Fokussierung seines angenehmen Tenors singender Tamino. Wunderbares, italienisch fundiertes Sopranmaterial, das sie sehr emotional einzusetzen wusste, brachte Victorija Kaminskaite für die Pamina mit. Obwohl indisponiert, weswegen sie sich ansagen ließ, schlug sich Aurora Perry als Königin der Nacht auf beachtliche Art und Weise. Ihr Sopran weist eine gute Stütze auf und erreichte solide die extremen Spitzentöne der Partie, die lediglich am Ende ihrer ersten Arie etwas fulminanter hätten ausfallen können. Die Rachearie gelang ihr trefflich. Der Sarastro von Mario Klein begann in der Höhe noch etwas halsig, auch zitterte ihm mal das tiefe f, er konnte sich im Lauf des Abends aber steigern. Indes hätte man sich von ihm eine etwas einfühlsamere Auslotung seiner Rolle gewünscht. Ein Versprechen für die Zukunft gab Matthias Wölbitsch ab, der den Papageno mit noch nicht ganz ausgereiftem, aber gute Anlagen aufweisendem Bariton solide sang und hervorragend spielte. Julia Zhukovska-Fischer sang die Papagena schön im Körper. Einen homogenen Gesamtklang bildeten die drei Damen von Gesche Geier, die tiefgründiger klang, als man es bisher von ihr gewohnt war, Vera Semieniuk und Carolin Neukamm. Boris Leisenheimer war ein darstellerisch etwas vampyrhaft anmutender Monostatos, der seinen Part mit etwas zu hoher Stütze sang. Dasselbe gilt für den ersten Geharnischten von Cameron Becker. Den – mit Blick auf die in dem Werk auch sonst vorherrschende Zahl drei – in zwei Sänger aufgespaltenen zweiten Geharnischten teilten sich die imposant singenden Mikhail Kuldyaev und Jongmin Yoon. Letzterer gab mit sonorem Bass auch einen erstklassigen Sprecher. In jeder Beziehung gefielen Julius Fischer, Kilian Brandscherdt und Marc Pritschet von den Regensburger Domspatzen als die drei Knaben. In Gestalt der drei Wesen geisterten Anna Städler, Robert Herrmanns und Michael Lämmermann durch die Handlung. Gut gefiel der von Alistair Lilley einstudierte Chor.
Im Graben gelang GMD Tetsuro Ban und dem gut gelaunt aufspielenden Philharmonischen Orchester Regensburg eine flüssige und differenzierte Umsetzung von Mozarts Partitur. Teilweise warteten sie mit recht markanten und gefühlvollen Klängen auf, wurden aber auch den mehr volksliedhaften Elementen der Musik gut gerecht. Beide vermochte der Dirigent gut voneinander abzugrenzen. Auch wusste er mit so mancher farblichen Nuance zu erfreuen.
Ludwig Steinbach, 17. 6. 2014
Die Bilder stammen von Jochen Quast.