Stuttgart: „Der Prinz von Homburg“

Besuchte Aufführung: 20.10.2019 (Premiere: 17.3.2019)

Die Bilder stammen von Matthias Baus

Träumereien eines Außenseiters

Seit einiger Zeit steht Hans Werner Henze s Der Prinz von Homburg, für den Ingeborg Bachmann das Libretto verfasste, wieder auf dem Spielplan der Stuttgarter Staatsoper. Da Henze hier früher so etwas wie ein Hauskomponist war, ist es sehr erfreulich, dass diese beachtliche Produktion, die in der letzten Saison ihre Premiere hatte, in dieser Spielzeit wieder aufgenommen wurde. Das war insgesamt eine gelungene Aufführung, die eine Bereicherung des Stuttgarter Spielplans darstellt.

Ensemble

Aus der Taufe gehoben wurde das Werk am 22.5.1960 an der Hamburgischen Staatsoper. In Stuttgart hat man sich für die revidierte Fassung von 1991 entschieden, die erstmalig am 24.7.1992 am Cuvilliés-Theater in München zu erleben war. Im Gegensatz zur Uraufführung hat Henze hier die großen, pompösen Chorszenen gestrichen. Da die Oper durch diese Vorgehensweise an Eindringlichkeit gewinnt, ist das kein Fehler. Das Ganze geht auf ein Schauspiel von Heinrich von Kleist zurück. Der namhafte Film- und Opernregisseur Luchino Visconti war es, der Henze auf das Stück aufmerksam gemacht hatte, das der Komponist nach anfänglichem Zögern dann mit großem Eifer vertonte. In diesem Kontext hat auch die damalige Zeit eine große Rolle gespielt. Henze musste den Zweiten Weltkrieg noch aktiv miterleben und war in den 1950er Jahren nach Italien emigriert. Er hegte die Ansicht, dass Nachkriegs-Deutschland seine Identität eingebüßt hatte, weswegen er dort nicht mehr leben wollte. Auch die Textdichterin Ingeborg Bachmann war aus ähnlich gelagerten Gründen nach Italien ausgewandert. Zwischen ihr und Henze entwickelte sich neben einer tiefen Freundschaft auch eine fruchtbare Zusammenarbeit. Der Komponist intendierte mit dieser Oper die Entwicklung einer neuen Identität, einer Identität der Freiheit, der Solidarität und des Friedens (vgl. Programmbuch S.15).Frau Bachmann erteilte mit ihrem Libretto dem bei Kleist stark ausgeprägten Militarismus Brandenburgs eine klare Absage. Sie beabsichtigte die Aufzeigung eines Freimuts sondergleichen, den alle Figuren in dem Textbuch atmen – eine Luft der Freiheit, die uns heute selbstverständlich erscheint (vgl. Programmbuch S.16). Individualismus und Humanismus stehen bei ihr im Vordergrund. Darüber hinaus hat sie Kleists Schauspiel in einigen Punkten geschickt abgeändert. Diese Variationen haben sich bewährt. Dadurch hat das Werk enorm an inhaltlicher Stringenz gewonnen.

Prinz, Moritz Kallenberg (Graf Hohenzollern)

Immer wieder sehenswert ist die Inszenierung von Stephan Kimmig, für die Katja Haß das Bühnenbild und Anja Rabes die Kostüme beisteuerten. Gekonnt hat das Regieteam das Geschehen in einem modernen Rahmen angesiedelt. Die Kostüme verweisen größtenteils in die Gegenwart, enthalten beispielsweise aber auch Zitate aus den 1950er Jahren. Letzteres ist als Anspielung auf die Entstehungszeit der Oper zu verstehen und erscheint durchaus legitim. Dem Bühnenraum kommt die Funktion einer Projektionsfläche für die Träume des Prinzen zu. Frau Haß hat einen weiß gekachelten Schlachthof auf die Bühne gestellt, der seine besten Zeiten hinter sich hat. Die Wände weisen Rostspuren auf und das Ganze wirk ziemlich marode. In diesem Ambiente treiben die Handlungsträger eifrig Sport. Sie ergehen sich in Leibesübungen und probieren an der Ballettstange. Der Kurfürst beteiligt sich ebenfalls. Alle beteiligten Personen erscheinen in Sportanzügen, auch die Frauen. Natalie übt sich offenbar im Boxen, jedenfalls trägt sie Boxhandschuhe. Einen davon ergreift der Titelheld im ersten Bild. Der militärische wird von sportlichem Drill abgelöst, bei dem man auch mal lediglich Unterwäsche trägt. Und Tanzen gehört zur militärischen Ausbildung. Die bürgerlich kostümierten Soldaten beschmieren sich fast alle mit Blut. Nur der Graf Hohenzollern beteiligt sich nicht an diesem Ritual. In diesem Augenblick befindet er sich nicht in demselben Kollektiv wie die anderen Handlungsträger. Er ist in der Schlacht lieber vorsichtig. Bemerkenswert ist, dass der Obrist Kottwitz in der Kampfszene als Samurai erscheint, der fernöstliche Kampftechniken pflegt. Er symbolisiert einen strengen Regeln folgenden ausländischen Kampfsport.

Prinz

In diesem Umfeld erscheint der Prinz als ein Außenseiter. Zu Beginn steht er auf einer riesigen Leiter, was als deutliches Zeichen für seine träumerische Abgehobenheit zu verstehen ist. Träumen kommt in dieser Oper zentrale Relevanz zu. Darüber ist sich Kimmig durchaus im Klaren. Nachhaltig stellt er die Frage in den Raum: Was ist Traum und was Realität? Die Grenzen scheinen fließend zu sein. Wenn im zweiten Akt durch ein Spiegelkabinett, in dem sich der Prinz und Natalie reflektieren, das Ineinanderfließen von Traum und Wirklichkeit aufgezeigt wird, stellt das den Gipfelpunkt der ansprechenden Inszenierung dar. Auch die gelungenen Projektionen tragen dazu ihren Teil bei. Der Prinz ist mit dem auf Rationalität fußenden System unzufrieden und sinnt auf dessen Veränderung. Emotionen müssen her. Mit großer Schärfe wirft der Regisseur das Problem auf, inwiefern die Träumereien der Titelfigur als Motor für die Wandlung des Systems fungieren können. Das ist der Hauptpunkt seiner Konzeption. Intendiert wird die Möglichkeit eines freien Zusammenlebens, womit sich Kimmig voll und ganz in das Fahrwasser von Ingeborg Bachmann begibt.

Prinz, Natalie

Fraglich ist indes, ob sich das System verändern kann und ob es überhaupt dazu bereit ist. Das ist ein Problem. Eine Antwort wird nicht gegeben. Zu einer Änderung des Systems kommt es schlussendlich nicht. Die Suche geht weiter. Am Ende wird hier kein Loblied auf den Militarismus gesungen. Auf den Satz Zum Sieg, in Staub mit allen Feinden Brandenburgs wird in dieser Produktion kein Wert gelegt. Stattdessen wird dem oben bereits erwähnten Postulat von Frau Bachmann von der Luft der Freiheit der Vorrang eingeräumt. Dazu erscheinen die beteiligten Personen mit Fanschals, auf die in unterschiedlichen Sprachen Forderungen für die Zukunft aufgeschrieben sind. Empathie, Mitgefühl, Neugierde, Brüderlichkeit, Vision und Toleranz kann man da lesen. Der wieder gänzlich seiner Traumwelt anheim gefallene Prinz erscheint in einem T-Shirt mit der Aufschrift Freiheit. Ein Hemd mit demselben Schriftzug trägt auch der Kurfürst. Doch vergebens ist alles Trachten: Hier wird lediglich eine Utopie beschworen. Dieses Konzept war sehr überzeugend. Mittels einer ausgefeilten Personenregie wurde es von Kimmig auch stringent umgesetzt. Während der Zwischenspiele senkte sich stets ein Zwischenvorhang herab, wodurch die einzelnen Szenen etwas Sequenzartiges erhielten.

Prinz

Auch musikalisch hinterließ der Prinz von Homburg einen starken Eindruck. Hier hat Henze wahrlich ausgezeichnete Arbeit geleistet. Unterschiedliche Musikstile sind gleichberechtigt nebeneinander gestellt. Henze war ein moderner Komponist. Passend ordnet er der militärischen Welt Brandenburgs und dem Gesetz etliche Zwölftonreihen insbesondere der Blechbläser zu. Die Traumwelt des Prinzen und seine Liebe zu Natalie werden dagegen in äußerst romantisch wirkende, dem Belcanto entlehnte Klangflächen von Holzbläsern und Streichern gehüllt. Hier wird eine gewisse Nähe zu Bellini spürbar. Neben imposanten dramatischen Ausbrüchen wurden aber auch die belkantischen Passagen von Dirigent Thomas Guggeis trefflich herausgearbeitet. Bombastische Klänge wechselten sich mit weichen, getragenen und emotionalen Phrasen ab. Das gut gelaunte Staatsorchester Stuttgart war ihm ein versierter Partner.

Hier StuttgartPrinzvonHomburg15oo – Ensemble

In der Partie des Prinzen von Homburg zog Christian Miedl alle Register seines großen Könnens. Schon darstellerisch war er sehr überzeugend. Er hatte sich die Konzeption des Regisseurs bestens zu eigen gemacht und stürzte sich voller Elan in seine Rolle, der er auch gesanglich mit profundem, trefflich gestütztem Bariton voll entsprach. Eine hervorragende Leistung erbrachte Vida Mikneviciute als Natalie. Sie verfügt über einen in jeder Lage bestens fokussierten, farbenreichen und in der Höhe prachtvoll aufblühenden jugendlich-dramatischen Sopran bester italienischer Schulung. Auch schauspielerisch war sie ausgesprochen überzeugend. Ihr Spiel war durchweg äußerst intensiv. Von den beiden Tenören Moritz Kallenberg (Graf Hohenzollern) und Stefan Margita (Kurfürst) hätte man sich etwas mehr Körperverankerung ihrer Stimmen gewünscht. Mit nicht allzu großem Mezzosopran, aber recht geradlinig sang Helene Schneidermann die Kurfürstin. Mit sonorem, vorbildlich sitzendem Bassmaterial stattete Friedemann Röhlig den Obrist Kottwitz aus. Als Feldmarschall Dörfling gefiel der immer noch über beträchtliche Baritonreserven verfügende Michael Ebbecke. Tadellose Stimmen brachten Mingjie Lei, Pawel Konik, Michael Nagl und Johannes Kammler für die drei Offiziere und den Wachtmeister mit. Gut gefielen auch die tiefgründig singenden drei Hofdamen von Catriona Smith, Anna Werle und Deborah Saffery.

Fazit: Ein phantastische Werk, das anderen Bühnen dringend zum Nachspielen empfohlen wird!

Ludwig Steinbach, 21.10.2019

Die Bilder stammen von Wolf Silveri